Für Hunde
und andere Menschen
Mynona
Sie sind, sagte der Exekntor, der Aleinung, daß
Sie ieben? Aber sehen Sie sich nur um! Dieser
Meinung sind hier vieie, Sie sind gar nicht das
einzige Gespenst, weiches sein Schattendasein auf
einem Pianeten für eine reaie Existenz häit — und
anders wäre euch auch nicht wohh
Aber wir existieren doch, gestikuiierte Heinz
Mockei, wir sind reai, seibst wenn wir Schatten
sirtd. Was fäiit ihnen ein, mein bester Exekutor?
Was mir einfäiit? Existieren tut ihr schon —
aber da gibt's doch noch Unterschiede; Unter-
schiede in der Reaiität seiber. Der Schatten, der
sich für das Ding häit, weiches ihn wirft, verdient,
irreai zu heißen: ergo ....
Verdient! Verdient zu heißen! Heinz Mockei
schneuzte sich. Sie geben kiein bei, und ergo war
irreai in Ihrem Munde bioß ein Schimpfwort.
Schämen Sie sich! Er zitterte und wurde rot:
worüber sich der Exekutor gewaitig freute, aber
heimiich. Laut sagte er mit düsterer Miene:
Lieber Mockei, woiien Sie, wie Sie da sind,
Sie pauvres Gespenst, Ihr eigenes wahrhaft leben-
diges Wesen sehen? Den Körper, von dem Sie
der Schatten sind? Woiien Sie? Soil ich, der
Exekutor, die vitale Maschinerie Ihres Lebens
spieien iassen? Teurer Freund, reizen Sie mich
zu keiner Exekution! Ich kann Sie auf und ab
deklinieren und Ihr bißchen Identität dermaßen
fiektieren, Ihre Grade, Ihre Skaia aufroilen, daß
Sie sehr drastisch begreifen müssen: Heinz
Mockel, der hier vor mir steht, ist nur eine dürf-
tige Mögiichkeit seiner vielen so gut wie irreal
im Vergleich zu der pluraiischen Kraft, welche in
ihm gelähmt ist und eventuell elektrisiert werden
könnte. Ein kleines Beispiel für viele. (Der Exe-
kutor verdoppelte sich; es war, wie wenn sein
ganzer Leib das Schielen kriegte. Aber sofort
ging er wieder in sich zusammen, lächelte ange-
strengt.) Was Wetter, keuchte er, Lähmungen,
mein Lieber, kann man schon überwinden. Aber
freilich, wenn man, wie Ihr, sich gar nicht einmal
als gelähmt empfindet — ia dann, ja dann —.
Habe ich Sie recht verstanden, Exekutor,
trotzte Mockel, Sie wolen mir einbilden, ich könnte
mich durch Ankämpfen gegen gewisse Lähmungen
verdoppeln, verdrei-, vervier-, verixfachen? Und
wenn schon — was, was, was h ä 11 e ich schon
dadavon??
Mockel, krähte der Exekutor, Sie sind mords-
mäßig dumm, wenn Sie nicht mindestens zwei
Folgerungen sofort zu Ihrem Vorteile daraus zie-
hen. Erstlich können Sie sich nicht bloß verix-
fachen, sondern überhaupt alterieren, variieren,
wie Sie wollen. Zweitens sind x-Leiber doch eine
unermeßliche Wohltat gegen den einen, lumpigen,
fast irrealen, dieses Fragment, dieses Minimum
von Dasein. Ich kann Ihnen nur sagen, werden
Sie recht sehr mißtrauisch gegen Ihre Ohnmächte,
gegen Ihre verfluchten Unmöglichkeiten. Ihre Lo-
gik stinkt ja ordentlich nach Impotenz, nach Ver-
boten, Toden und weltvernagelnden Brettern. Sie
tun mir weh und amtisieren mich doch damit. Wie
soll ich mir eigentlich vorkommen? Ich bin doch
geradezu toll vor Nüchternheit. Sagen Sie schon
etwas, gottvoller MockelB
Erlauben Sie, Exekutorchen, Ihr kleiner Ansatz
zur Selbstverdoppelung muß natürlich logisch
untergebracht werden, das gebe ich gern zu.
WoIIen Sie (er aß einen Bonbon) mich verleiten,
Unmögliches für möglich (ftir w i r k I i c h , schrie
der Exekutor), für realisierbar zu halten?
Wir bleiben i m m e r hinter der Möglichkeit
zurück — gerade, weil sie unausschöpfbar ist
(hier riß der Exekutor sich seinen Kopf ab und
schleuderte ihn, während ihm sofort ein neuer
auf dem Rumpfe saß, unter die Q-Bahn). Unmög-
lichkeiten sind Unfähigkeiten. Ich will aus einem
Zeitwort ein paar europäische Fürsten machen.
Ich bin Exekutor, vergessen Sie das nicht!
Ein Kreis ist kein Viereck — unmöglich, sagte
Mockel einfach und kreuzte sublim die Arme.
Kreis, kauerte es retour, Viereck — Gotte
doch, was für Sachen. Mockel, Mockel, Sie gehen
,noch an Ihren Konstruktionen zugrunde. Nicht
wahr, j a ist unmöglich n e i n? Mein lieber Freund
Mockel, machen Sie es mir nicht so leicht, Sie
zu genieren. Sie leiden unsäglich an ganz un-
verdaulichen Definitionen. Purgieren Sie sich,
Ärmster, nehmen Sie eine Dosis Infinitivin und
Panalethinin, Sie sind von Differenzierungen ver-
stopft: man steigt nicht einmal in den selben
Fluß und keinmal in einen andern; Mockel,
ich bin außer mir, Sie verletzen mich, und ich habe
Nerven, Schmerzempfindlichkeit noch in den ab-
straktesten Begriffen, spüre sie wie Zähne; quälen
Sie mich nicht!
Es wird ja immer schöner, betonte Mockel und
entkreuzte seine ernsten Arme. Ih, da soll ja
doch gleich! Ein netter Wirrwarr, eine Logik des
Wahnsinns, Methodik der ToIIheit. Hat man
Worte! Herr Exekutor, die Logik ist die Polizei
der Welt, Sie benehmen sich direkt polizeiwidrig.
Aha! Mockel, Sie sind durchschaut: Polizei?
Ja so! Ich bin gerade auf Ihre Verbrechen sehr
neugierig. Dachte ich's doch, es ist nichts schuld
als Furcht, und Furcht lähmt. Mockel, hören
Sie, begleiten Sie mich in mein Laboratorium, ich
nenne es auch gerne Annihilatorium: euch Men-
schenkerlen kann man mit reiner Logik allein
nicht beikommen, die Sinnlichkeit ist eure mäch-
tige Göttin. Ihr würdet nicht einmal an die
Schönheit glauben, wenn Ihr sie nicht mit Sinnen
wahrnähmet. Wir armen, armen Unvorsinnlichen!
AHons, Mockel!
Der Exekutor nahm aus seiner Tasche einen
kleinen runden planen Glasspiegel, der hinten mit
einer Art Uhrgehäuse versehen war, er brachte
ein paar Schrauben ins Drehen und hielt ihn dem
Mockel vors Gesicht. Lieber Mockel, sagte er ver-
bindlich: Sie können blind sein oder sehen oder —
das ist das sonderbare Dritte — beides zusammen
sein, perspicax, durch und durch schauend. AIso,
lieber Mockel, keine Besorgnis, ich mache die
Sache mit Ihnen rein optisch ab, mein Laborato-
rium ist soeben die Welt Ihrer schönen Augen —
aufgepaßt!
(Mockel sah, das Auge auf den schnurrenden
Spiegel gerichtet, auf einmal nichts mehr, dennoch
sah er. Der Spiegel hatte sein Gesicht auf den
NuIIpunkt geschraubt, wo Finsternis mit Licht einen
trüben Glanz bildeten, der aus Reflexion und
Durchsichtigkeit zusammen zu bestehen schien.
Mockel tastete nach seinem eigenen und dem Leib
des Exekutors, das Getast gab die Anwesenheit
beider zu verstehen. Da auch der Erdboden, auf
dem sie standen, optisch verschwunden war, hatte
Mtockel das seltsame Gefühl, inmitten einer Leere
im AII zu stehen, ihm schwindelte, und 6r hörte
sich zum Exekutor sprechen): Exekutor, was be-
deutet's?
Mein bester Mockel, es ist die Vorbedingung
für unser Verixfach'ungs- und Alterationsexperi-
ment. Wer und wo und was sind Sie jetzt eigent-
lich? Haben Sie Grenzen? Haben Sie Figur?
Sind Sie nicht ich? Nicht alles in allem? Bitte
um Antwort!
Aber mein G e t a s t —
Blutiger Heiländ! unterbrach ihn der Exekutor
explosiv — seiu Getast, seinGetast! Ist es erhört,
Sie unsauberer Geist? Ohne alles Abstraktions-
vermögen! Wenn Sie mir nicht so leid täten,
würde ich Ihnen mit eins Ihr Getast radikal ex-
trahieren wie einen festsitzenden Zahn . . . es ist
nur ein festsitzender Zahn. Herr Mockel! Ich ver-
lange Ihren ganzen Ernst, ehe ich Ihnen faul zu
witzeln gestatte — noch e i n solcher logischer
Schnitzer, und ich vernichte Sie, daß Ihnen alle
Sinne vergehen oder vielmehr . . . eingehen; also
Hände an die Hosennaht! Sie sind „Weltauge",
sonst nichts — ist es Ihnen zu wenig?
Das nicht, Herr Exekutor, es hat zwar etwas
Künstliches, das Gesicht ist doch schließlich inr
Kontinent aller übrigen Sinne enthalten, man kann
es doch nur allenfalls zu Experimentierzwecken
so räumlich isolieren, ich habe eine ziemlich un-
angenehme Empfindung — aber bitte, lassen Sie
sich nicht stören; fahren Sie fort, Herr Exekutor!
Der Exekutor sagte:
Mockel, sagte der Exekutor, pardauz, passen
Sie auf, hören Sie mir zu! Sie sind jetzt überall,
doch scheint Ihnen eine Stelle besonders betont?
Lassen Sie sich heute bloß nicht in das Bockshorn
von Ihrer eigenen Stimme jagen! Wie?
Na, mir scheint, Sie nehmen es mit der einen
besonders betonten Stelle merkwürdig leicht; ich
aber nicht — s o leicht lasse ich mir mein Indivi-
duum nicht wegeskamotieren, bitte.
Davon, Mockel, ist ja gar keine Rede. Nur,
mein Lieber, übertreiben Sie nicht! Es hilft Ihnen
nichts, Sie sind die ganze Geschichte, das bißchen
Zentralgefühl braucht Sie nicht gleich um alle Pe-
ripherie zu bringen. Dieses Mehr-hier-als-dort-
sein erklärt sich perspektivisch: und perspektivisch
sind Sie, Mockel, weil Sie ein Weltkerl sind, ein
unmöglicher, ein unendlicher Kerl. Die Perspek-
tive schreibt sich aus einem besonderen Auge her,
und dieses besondere Auge hätte keine, wenn
es nicht ein Auge aus Augen wäre, ein monströses,
hyperbolisches, ein Weitauge — verstanden?
Es geht mir zu rasch, Herr. Wie komme ich
zu der ganzen Affäre? Was geht mich das W;elt-
auge an? Ich bin ein schlichter Grossist namens
Mockel, und wenn ich nicht das Malheur gehabt
hätte, ausgerechnet ich, auf den Exekutor zu
stoßen, so stände ich jetzt, ich weiß nicht wo. Was
geht mich das Weltauge an?
Herra! Das ist es ja gerade! Ginge es Sie
wirklich nichts an, so würden Sie in diese Lage,
zu fragen, was es Sie angehe, niemals gekommen
sein. Das ist es ja eben! Ihr seid so beschränkt.
Ihr glaubt, es sei leicht, auszumachen, was euch
angehe. Hähä, Mockele, da sein Sie vorsichtig!
Sie und ich, wir sind jetzt die Welt-Licht-Nacht,
die sich mit sich selber unterhält, im Klaren und
Unklaren zugleich über sich ist. Was wäre ein
Entweder ohne ein Oder? Ja und Nein klingt
ebenso richtig wie Ja oder Nein. Im Ernst, mein
lieber Mockel, Sie müssen Ihrer Lokalisation besser
mißtrauen lernen, Sie sind hier und dort und über-
all, Ihr Punkt inkludiert den Raum, das begreift
ein Kind.
Hm!
Hum! Sie lokalisieren sich bloß relativ, Sie
sind im Absoiuten gelähmt, Sie AHe hier. Wenn
Sie Möglichkeiten wenigstens aufdämmern Iießen.
Ihr seid so dumpf!
Und d a s nennen Sie experimentieren? Worte,
Worte, Worte. Im übrigen, als ob mein Leib nicht
auch optisch Figur hätte, haben könnte und in
der Tat hatte, bevor Sie mit Ihrem netten Spiegel
eine monistische Sauße draus machten.
Monistisch? Teufel! Revozieren Sie. Ich
wollte Ihnen den unermeßlichen Unterschied, das
bis zur Verschrobenheit Perspektivische in Ihrer
66
und andere Menschen
Mynona
Sie sind, sagte der Exekntor, der Aleinung, daß
Sie ieben? Aber sehen Sie sich nur um! Dieser
Meinung sind hier vieie, Sie sind gar nicht das
einzige Gespenst, weiches sein Schattendasein auf
einem Pianeten für eine reaie Existenz häit — und
anders wäre euch auch nicht wohh
Aber wir existieren doch, gestikuiierte Heinz
Mockei, wir sind reai, seibst wenn wir Schatten
sirtd. Was fäiit ihnen ein, mein bester Exekutor?
Was mir einfäiit? Existieren tut ihr schon —
aber da gibt's doch noch Unterschiede; Unter-
schiede in der Reaiität seiber. Der Schatten, der
sich für das Ding häit, weiches ihn wirft, verdient,
irreai zu heißen: ergo ....
Verdient! Verdient zu heißen! Heinz Mockei
schneuzte sich. Sie geben kiein bei, und ergo war
irreai in Ihrem Munde bioß ein Schimpfwort.
Schämen Sie sich! Er zitterte und wurde rot:
worüber sich der Exekutor gewaitig freute, aber
heimiich. Laut sagte er mit düsterer Miene:
Lieber Mockei, woiien Sie, wie Sie da sind,
Sie pauvres Gespenst, Ihr eigenes wahrhaft leben-
diges Wesen sehen? Den Körper, von dem Sie
der Schatten sind? Woiien Sie? Soil ich, der
Exekutor, die vitale Maschinerie Ihres Lebens
spieien iassen? Teurer Freund, reizen Sie mich
zu keiner Exekution! Ich kann Sie auf und ab
deklinieren und Ihr bißchen Identität dermaßen
fiektieren, Ihre Grade, Ihre Skaia aufroilen, daß
Sie sehr drastisch begreifen müssen: Heinz
Mockel, der hier vor mir steht, ist nur eine dürf-
tige Mögiichkeit seiner vielen so gut wie irreal
im Vergleich zu der pluraiischen Kraft, welche in
ihm gelähmt ist und eventuell elektrisiert werden
könnte. Ein kleines Beispiel für viele. (Der Exe-
kutor verdoppelte sich; es war, wie wenn sein
ganzer Leib das Schielen kriegte. Aber sofort
ging er wieder in sich zusammen, lächelte ange-
strengt.) Was Wetter, keuchte er, Lähmungen,
mein Lieber, kann man schon überwinden. Aber
freilich, wenn man, wie Ihr, sich gar nicht einmal
als gelähmt empfindet — ia dann, ja dann —.
Habe ich Sie recht verstanden, Exekutor,
trotzte Mockel, Sie wolen mir einbilden, ich könnte
mich durch Ankämpfen gegen gewisse Lähmungen
verdoppeln, verdrei-, vervier-, verixfachen? Und
wenn schon — was, was, was h ä 11 e ich schon
dadavon??
Mockel, krähte der Exekutor, Sie sind mords-
mäßig dumm, wenn Sie nicht mindestens zwei
Folgerungen sofort zu Ihrem Vorteile daraus zie-
hen. Erstlich können Sie sich nicht bloß verix-
fachen, sondern überhaupt alterieren, variieren,
wie Sie wollen. Zweitens sind x-Leiber doch eine
unermeßliche Wohltat gegen den einen, lumpigen,
fast irrealen, dieses Fragment, dieses Minimum
von Dasein. Ich kann Ihnen nur sagen, werden
Sie recht sehr mißtrauisch gegen Ihre Ohnmächte,
gegen Ihre verfluchten Unmöglichkeiten. Ihre Lo-
gik stinkt ja ordentlich nach Impotenz, nach Ver-
boten, Toden und weltvernagelnden Brettern. Sie
tun mir weh und amtisieren mich doch damit. Wie
soll ich mir eigentlich vorkommen? Ich bin doch
geradezu toll vor Nüchternheit. Sagen Sie schon
etwas, gottvoller MockelB
Erlauben Sie, Exekutorchen, Ihr kleiner Ansatz
zur Selbstverdoppelung muß natürlich logisch
untergebracht werden, das gebe ich gern zu.
WoIIen Sie (er aß einen Bonbon) mich verleiten,
Unmögliches für möglich (ftir w i r k I i c h , schrie
der Exekutor), für realisierbar zu halten?
Wir bleiben i m m e r hinter der Möglichkeit
zurück — gerade, weil sie unausschöpfbar ist
(hier riß der Exekutor sich seinen Kopf ab und
schleuderte ihn, während ihm sofort ein neuer
auf dem Rumpfe saß, unter die Q-Bahn). Unmög-
lichkeiten sind Unfähigkeiten. Ich will aus einem
Zeitwort ein paar europäische Fürsten machen.
Ich bin Exekutor, vergessen Sie das nicht!
Ein Kreis ist kein Viereck — unmöglich, sagte
Mockel einfach und kreuzte sublim die Arme.
Kreis, kauerte es retour, Viereck — Gotte
doch, was für Sachen. Mockel, Mockel, Sie gehen
,noch an Ihren Konstruktionen zugrunde. Nicht
wahr, j a ist unmöglich n e i n? Mein lieber Freund
Mockel, machen Sie es mir nicht so leicht, Sie
zu genieren. Sie leiden unsäglich an ganz un-
verdaulichen Definitionen. Purgieren Sie sich,
Ärmster, nehmen Sie eine Dosis Infinitivin und
Panalethinin, Sie sind von Differenzierungen ver-
stopft: man steigt nicht einmal in den selben
Fluß und keinmal in einen andern; Mockel,
ich bin außer mir, Sie verletzen mich, und ich habe
Nerven, Schmerzempfindlichkeit noch in den ab-
straktesten Begriffen, spüre sie wie Zähne; quälen
Sie mich nicht!
Es wird ja immer schöner, betonte Mockel und
entkreuzte seine ernsten Arme. Ih, da soll ja
doch gleich! Ein netter Wirrwarr, eine Logik des
Wahnsinns, Methodik der ToIIheit. Hat man
Worte! Herr Exekutor, die Logik ist die Polizei
der Welt, Sie benehmen sich direkt polizeiwidrig.
Aha! Mockel, Sie sind durchschaut: Polizei?
Ja so! Ich bin gerade auf Ihre Verbrechen sehr
neugierig. Dachte ich's doch, es ist nichts schuld
als Furcht, und Furcht lähmt. Mockel, hören
Sie, begleiten Sie mich in mein Laboratorium, ich
nenne es auch gerne Annihilatorium: euch Men-
schenkerlen kann man mit reiner Logik allein
nicht beikommen, die Sinnlichkeit ist eure mäch-
tige Göttin. Ihr würdet nicht einmal an die
Schönheit glauben, wenn Ihr sie nicht mit Sinnen
wahrnähmet. Wir armen, armen Unvorsinnlichen!
AHons, Mockel!
Der Exekutor nahm aus seiner Tasche einen
kleinen runden planen Glasspiegel, der hinten mit
einer Art Uhrgehäuse versehen war, er brachte
ein paar Schrauben ins Drehen und hielt ihn dem
Mockel vors Gesicht. Lieber Mockel, sagte er ver-
bindlich: Sie können blind sein oder sehen oder —
das ist das sonderbare Dritte — beides zusammen
sein, perspicax, durch und durch schauend. AIso,
lieber Mockel, keine Besorgnis, ich mache die
Sache mit Ihnen rein optisch ab, mein Laborato-
rium ist soeben die Welt Ihrer schönen Augen —
aufgepaßt!
(Mockel sah, das Auge auf den schnurrenden
Spiegel gerichtet, auf einmal nichts mehr, dennoch
sah er. Der Spiegel hatte sein Gesicht auf den
NuIIpunkt geschraubt, wo Finsternis mit Licht einen
trüben Glanz bildeten, der aus Reflexion und
Durchsichtigkeit zusammen zu bestehen schien.
Mockel tastete nach seinem eigenen und dem Leib
des Exekutors, das Getast gab die Anwesenheit
beider zu verstehen. Da auch der Erdboden, auf
dem sie standen, optisch verschwunden war, hatte
Mtockel das seltsame Gefühl, inmitten einer Leere
im AII zu stehen, ihm schwindelte, und 6r hörte
sich zum Exekutor sprechen): Exekutor, was be-
deutet's?
Mein bester Mockel, es ist die Vorbedingung
für unser Verixfach'ungs- und Alterationsexperi-
ment. Wer und wo und was sind Sie jetzt eigent-
lich? Haben Sie Grenzen? Haben Sie Figur?
Sind Sie nicht ich? Nicht alles in allem? Bitte
um Antwort!
Aber mein G e t a s t —
Blutiger Heiländ! unterbrach ihn der Exekutor
explosiv — seiu Getast, seinGetast! Ist es erhört,
Sie unsauberer Geist? Ohne alles Abstraktions-
vermögen! Wenn Sie mir nicht so leid täten,
würde ich Ihnen mit eins Ihr Getast radikal ex-
trahieren wie einen festsitzenden Zahn . . . es ist
nur ein festsitzender Zahn. Herr Mockel! Ich ver-
lange Ihren ganzen Ernst, ehe ich Ihnen faul zu
witzeln gestatte — noch e i n solcher logischer
Schnitzer, und ich vernichte Sie, daß Ihnen alle
Sinne vergehen oder vielmehr . . . eingehen; also
Hände an die Hosennaht! Sie sind „Weltauge",
sonst nichts — ist es Ihnen zu wenig?
Das nicht, Herr Exekutor, es hat zwar etwas
Künstliches, das Gesicht ist doch schließlich inr
Kontinent aller übrigen Sinne enthalten, man kann
es doch nur allenfalls zu Experimentierzwecken
so räumlich isolieren, ich habe eine ziemlich un-
angenehme Empfindung — aber bitte, lassen Sie
sich nicht stören; fahren Sie fort, Herr Exekutor!
Der Exekutor sagte:
Mockel, sagte der Exekutor, pardauz, passen
Sie auf, hören Sie mir zu! Sie sind jetzt überall,
doch scheint Ihnen eine Stelle besonders betont?
Lassen Sie sich heute bloß nicht in das Bockshorn
von Ihrer eigenen Stimme jagen! Wie?
Na, mir scheint, Sie nehmen es mit der einen
besonders betonten Stelle merkwürdig leicht; ich
aber nicht — s o leicht lasse ich mir mein Indivi-
duum nicht wegeskamotieren, bitte.
Davon, Mockel, ist ja gar keine Rede. Nur,
mein Lieber, übertreiben Sie nicht! Es hilft Ihnen
nichts, Sie sind die ganze Geschichte, das bißchen
Zentralgefühl braucht Sie nicht gleich um alle Pe-
ripherie zu bringen. Dieses Mehr-hier-als-dort-
sein erklärt sich perspektivisch: und perspektivisch
sind Sie, Mockel, weil Sie ein Weltkerl sind, ein
unmöglicher, ein unendlicher Kerl. Die Perspek-
tive schreibt sich aus einem besonderen Auge her,
und dieses besondere Auge hätte keine, wenn
es nicht ein Auge aus Augen wäre, ein monströses,
hyperbolisches, ein Weitauge — verstanden?
Es geht mir zu rasch, Herr. Wie komme ich
zu der ganzen Affäre? Was geht mich das W;elt-
auge an? Ich bin ein schlichter Grossist namens
Mockel, und wenn ich nicht das Malheur gehabt
hätte, ausgerechnet ich, auf den Exekutor zu
stoßen, so stände ich jetzt, ich weiß nicht wo. Was
geht mich das Weltauge an?
Herra! Das ist es ja gerade! Ginge es Sie
wirklich nichts an, so würden Sie in diese Lage,
zu fragen, was es Sie angehe, niemals gekommen
sein. Das ist es ja eben! Ihr seid so beschränkt.
Ihr glaubt, es sei leicht, auszumachen, was euch
angehe. Hähä, Mockele, da sein Sie vorsichtig!
Sie und ich, wir sind jetzt die Welt-Licht-Nacht,
die sich mit sich selber unterhält, im Klaren und
Unklaren zugleich über sich ist. Was wäre ein
Entweder ohne ein Oder? Ja und Nein klingt
ebenso richtig wie Ja oder Nein. Im Ernst, mein
lieber Mockel, Sie müssen Ihrer Lokalisation besser
mißtrauen lernen, Sie sind hier und dort und über-
all, Ihr Punkt inkludiert den Raum, das begreift
ein Kind.
Hm!
Hum! Sie lokalisieren sich bloß relativ, Sie
sind im Absoiuten gelähmt, Sie AHe hier. Wenn
Sie Möglichkeiten wenigstens aufdämmern Iießen.
Ihr seid so dumpf!
Und d a s nennen Sie experimentieren? Worte,
Worte, Worte. Im übrigen, als ob mein Leib nicht
auch optisch Figur hätte, haben könnte und in
der Tat hatte, bevor Sie mit Ihrem netten Spiegel
eine monistische Sauße draus machten.
Monistisch? Teufel! Revozieren Sie. Ich
wollte Ihnen den unermeßlichen Unterschied, das
bis zur Verschrobenheit Perspektivische in Ihrer
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