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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 19/20 (Erstes und zweites Januarheft 1915)
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Knoblauch, Adolf: Die schwarze Fahne: Eine Dichtung
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Zech, Paul: Das Vorgesicht
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0130

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den Scimees vermischen zu können. Das Schiuch-
zen eines Kindes geht hiifios in den Zimmern, in
der Nacht voii weihnachttichen Friedens unter; es <
schcint zu verioren zu sein, ais daß sich eine er-
barmende Stimmc seiner annehmen könnte, zu
enttäuscht und verzweifeit, ais daß es je gestiiit
und eigeschiäfert werden könnte. Es ist zu ieise
und doch aiizu durchdringend, ais dati es im
Schnee überiiört werden könnte. Im Schuee? O,
nein, aus dem Nebenzimmer, durch die verschios-
sene. verhangene Ttir hört Bran das unbekannte
Kind schiuchzen, dringt zu ihm eine so ieidende
Hüifiosigkeit, daß er sich ergriffen ins Zimmer
wendet, steht nnd nach dem Nebenzimmer hin-
überhorcht. Es dauert iange, ehe ein Geräusch
nebenan aufwacht, ehe eine weibiiche Sorge in der
Nacht Licht macht und sich ans Bett des Kindes
drängt, oime daß sein Weinen aufhört. Gieich-
mäßig faiicn seine heißen Tropfen nieder und er-
weichen.das Herz des Horchenden, während die
weibiiche Stimme, ohne auch nur im geringsten zu
scheiten, sanft zuredet und mahnt, wie ein Arzt
vieileicht einen Kranken: schiucks Tränchen hin-
unter, kieiner Uii, schiucks Tränchen hinunter.
Die Stimme wiederhoit immer dasselbe, das Kind
weint ieise weiter und weit noch, ais Bran im
Bette iiegt nnd schiäft. Das Leben hat sich erhoben
in der Gestait dieses traurigen Weinens, unfaßiich
geht es durch die Räume des Hauses, hauchgleich
durchdringt es die Nacht und erfüiit sie mit einem
trüben Geheimnis, überali antwortet ihm eine
schwere Sorge, itberaii begleiten es die armen
Worte: Ich bin ja bei dir, ich hab dich iieb.

Morgen

Stumm gespenstisch, ungeheuer ergiimmt die
Sonne über einem biauweißen, unermeßiichen
Bahrtuch im niedren erdfernen Stande. Vom
Schneefaii der vergangenen Nacht ist eine geister-
hafte Heüe über und in den Häusern, und Bran,
dessen Bett mit dem Kopfende neben dem schönen
großen Fenster steht, sieht in die Frühe hinaus
und schaut das rote kaite Eisen Stück der
Sonne neben der Wand des Nachbarnhauses unter
dem Ziegeidache hängen, wo es für ein Weitchen
sichbar bieibt.

Der rote Schein der Wintersonne steht im kah-
ien Raum, auf dem armseiigen Kärtchen von Siis-
Maria, das in einige rohe Stäbchen gefügt ais ein-
ziger Zimmerschmuck über Brans Bette ange-
bracht ist. Die Erinnerung an den grünen schö-
nen Bergsee von Siis-Maria, an die iange schmaie
Chaste, auf deren Feisen eine verwitterte Gedenk-
tafe! an Friedrich Nietzsche ruht mit der stoizen
Inschrift seines edien Menscheniiedes.

Morgen um Morgen sieht Bran die Sonne zu
ihrer roten Herrschaft iiber den Schnee ansteigen,
zu ihrer frostklaren Herriichkeit. Tag um Tag
senkt sich der Neuschnee iiber das Land, die biäu-
lichen Ackerfurchen werden ausgefüüt und mit
seinem unendiichen Leintuch Straßen, Gärten, Hii-
gel und Feider wölbend zugedeckt. Und Bran sieht
rot, b!au, griin am Himmet kommen und schwin-
den wie die bemessenen siciieren Leidenschaften.
Das erste frühe scharfe Rot, das dem Auge weh
tut, ist das Rot früh zum Gaigen, zum Henkers-
tod durch den Gerichtshof der Großstadt. Es gibt
nichts so Unerbittliches, Kaites und bald Vor-
iibergegangenes wie diese rote Gianz- mid Licht-
losigkeit.

Wie weit verschieden ist sie vom Rot des
spätabendlichen Sonnenbrandes, dem Rot der
WoHust, der Rache und des Unterganges. Im Azur-
grün, im tiefsten Zenithblan ziehen die Wolken-
gesta!ten stiü dahin, schmal faßlich wie Griffei, oder
die Rücken scharfer Klingen, baid herrlich blutrot
durch blaue Tore, karmosinene Riesenwale vom

Anfang der Schöpfnng, bald in Rauch und Zerstö-
rung, auf ragenden Zinnen, die schimmernden Fit-
tiche der großen Erzengel Miltons . . der rote, ent-
ziindete, frühe Morgen ruft, iäutet, maimt — der
biaue betäubende Aiittag häit rastend inne uud
schaut vorwärts die ferue Bahn, — der azurgrüne
hetle Abend, paradiesisch ieuchtend wie der klare
Bergsee von Siis-Maria, steht vor dem bezauber-
ten heüen Lande. Auf breit hingeiagerten enthüü-
ten Stufen iiegt ein lichtes brennendes Rot iiberaü
ausgegossen, das Rot der feierlichen Gelübde, des
märchenhaften Bergbiickes in ferne Zukunft, sanf-
ter Vermähiungswonne, heiiiger Ruhe und gewis-
ser Entsagung, das Rot aüen Abgrundes, Erken-
nens und Fernhinschreitens . . .

Brans Blick fälit zurtick, die Sonnenscheibe
schwindet hinter der Hauswand, die Scheide ver-
schluckt die lachende Blutrinne des schon geziick-
ten Degens. Brans Leib iiegt ieichnamshaft in den
biauen Kissen, zartgegiiedert ruht er neben dem
furchtbaren Feuergestirn . . . Sein Antiitz, auf-
gerichtet im Tage, ist von einetn alten goldenen
Heiligen.

Portsetzung fotgt

Gedichte

August Stramm
Wecken

Die Nacht
Seufzt

Um die schlafen ScMäfen
Küsse.

Eisen ktirrt zerfalden.

Haßt reckt hoch
Und

Schlurrt den Traum durcli Furchen.
Wiehern stampft
Schatten lanzt der Waid.

Ins Auge tränen

Sterne

Und

Ertrinken.

Schlachtfeld

Schoüenmürbe schläfert ein das Eisen

Blute filzen Sickerflecke

Roste krumen

Eleische schleimen

Saugen brünstet um Zerfaüen.

Mordesmorde

Blinzen

Kinderbiicke.

Wuude

Die Erde blutet unterm Eleimkopf

Sterne faüen

Der Weltraum tastet.

Schauder brausen

Wirbeln

Einsamkeiten.

Uebel

Weinen

Ferne

Deinen Blick.

Vernlchtung

Die Himmel wehen
Blut marschiert
Marschiert
Auf

Tausend Füßen

Die Himtnei wehen
Biut zerstiirmt !

Zerstürmt

Auf

Tausend Schneiden.

Die Himmet wehen
Btut zerrinut
Zerrinnt

In ;

Tausend Eäden

Die Himmci wehen
Biut zersiegt
Zersiegt
In

Tausend Scharten.

Die Himmel wehen
Biut zerschiäft
Zerschläft
Zu

Tansend Toden

Die Himmel wehen
Tod zerwebt
Zerwebt
Zu

Tausend Füßen.

Werttod

Eluchen hüMt die Erde
Wehe schellt den Stab
Morde k&imen Werde
Liebe klaffen Grab
Niemals bären Ende
Immer zergen Jetzt
Wahnsimi wäscht die Hände
Ewig

Unverietzt.

Signal

Die Trommel stapft
Das Horn wächst auf
Und

Sterben stemmt

Das Haupt durch flattre Sterben

Sträubt

Gehen Gehen

Geht

Und geht und geht
Und geht und geht

Und geht und geht und geht und geht

Geht

Stapft

Geht.

Das Vorgesicht

Paul Zech

Einmai geschah es, daß Severin Roubaud den
erkrankten Steiger Poulein plötzlich vertreten
mußte, weii er der Aeiteste auf der Sohie war.

Severin aber betrachtete den Auftrag, einen
veriodderten Fiöz wieder berggerecht zu schaffen,
sozusagen a)s Prüfungsaufgabe für den Hiifssteiger-
Posten, der zu vergeben war.

Er spannte. von brutalem Ehrgeiz getreten, Hirn
und Muskein an. Trieb die fünf Kameraden wie
Ochsen und fluchte bei der Einfahrt wie der Berg-
inspektor.

Jacques, der jüngste von den Kerien, iockerte
im ersten Zorn schon das Messer.

Der verwahrioste Schacht stundete bereit ein
paar Jahre und war schlüpfrig wie ein Sumpf.

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