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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 12 (Zweites Septemberheft 1914)
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Marik, Marijan: Totengebete
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht [17]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0090

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Und wurde zu entgötüichem Höhnen
Das meine Seeie iangsam zerbröckeite . .

O wie das buhlende Leben Dich lockte!

Sein häßlicher heißer Atem rötete Deine Wangen
Sein böses Begehren schlich in Deine Augen
Und war in dem höllischen Glanz Deines Haares
Und kicherte in den süßen Winkeln Deines Mundes
O in der gräßlichen Flut von Feuer und Verlangen
Rang ich um Dich

Die brennenden Wellen wollten mein Haupt ver-

schlingen

Zischende Schlangen preßten meinen Leib

Die fressende rote Glut biß an meine Augen

Und ich rang verzweifelt um Dich

Und mein Gesicht schlug blutig Dein grausames

höhnendes Lachen

O die verheerende Fiut
Zerschlug die Pracht meiner Träume
Beschmutzte geifernd mein einsames Heiligtum
Und immer und immer schlug mein Gesicht blutig
Dein grausames höhnendes Lachen . . .

*

Da schrie meine verzweifelnde Seele zu Gott —
Gott war nicht mehr mit mir . . .

Und ich riß Deine Seele von meiner
Mit der sie seit Ewigkeit war . .

Verblutend

Kniete meine Seele vor dem Blicke Gottes:
Deine tote Seele brachte ich 1hm zu Opfer . . .

*

*

Oh ich allein mit Deinem Tod . . .!

* *

*

Und dann

Stark und mächtig wurde mein grausamer

Schmerz

Und lachte über die kleine Pracht
Ueber das kleine Glück des Lebens
Seine trotzige Stirne lehnte am Knie Gottes
Gottes unendlich heilende Hand streichelte seinen

Nacken...

* *

*

Da nahm ich Deinen bleichen Tod in meine Arme

Auf den höchsten Gipfel

Meiner harten Einsamkeit stieg ich.

Hilflos wimmernd schlug das Meer des Lebens
Gegen meine harte harte Einsamkeit . .

Und ich — schmerzendes Lachen und

verzweifelnde Kraft

Ich küßte noch einmal Deinen bleichen Tod
Und schenkte ilm dem Lebeii . .


*

Leise schluchzt in meiner Seele die Sehnsucht nach

Deiner heiligen Schönheit
Ich senke mein müdes Haupt vor der mordenden

Nacht

Sie spielt mit meinen Tränen

Und legt sich todesschwer auf m&ine arme Seele

Meine Seele friert

Und stammelt Deine Totengebete.

Marilan Atarik

Der Weg
durch die Nacht

Roman

Aage von Kohi

FortsetzuRg

Er zuckt auf einmal zusammen, hört plötzlich
diese letzten Worte —:

Getötet und ... ?!

Ueber Nacht getötet und be . . . !?!

So wie Annie über Nacht von Mörderhand . . ??

Er steht da, am Fußende ihres Bettes, totmüde

— und starrt schaudernd und eiskalt um sich.

Er enfsinnt sich auf einmal, wie aus einer Fin-
sternis dahinter heraus, wms er vor einer Weile
gedacht hat —: irgend etwas, das für sie gemacht
werden müsse . . . und für ihre Eltern!

Und gleich darauf, ehe er es selbst noch recht
weiß, hat er seine Jacke abgerissen, die Weste:
das ailes ist st&if von Blut! — Er dreht sich auf
seiner Ferse herum, eilt nach dem Badezimmer,
reißt die Tür weit auf — und bleibt dort eine Se-
kunde stehen, an den Türpiosten gelehnt.

Ihm geräde gegenüber fällt der Tagesschimmer
bunt durch die breite, farbige Fensterscheibe; da
hinten, rechts, Ieuchtet das riesige, ovale Becken
aus blendenem Marmor; die schweren Messing-
hähme darüber flammen wie Gold; hoch dort oben
krümmt der blanke Strahlenverbreiter der Dusche
sich hinab; auf dem Fußboden die weißen und
schwarzen glatten Fliesen —:

Ja!

Annie, meine Geliebte!

Ich komme — jetzt bin ich bereit! . . .

Er hat den Hahn ftir das heiße Wasser schon
geöffnett — brüllend stürzt es aus dem goldenen
Mund heraus, füllt den Raum mit seinem rauchen-
den Atem, mit seiner Wärme und mit seinem wei-
ßen Dampf.

Währenddes ist er wieder in das andere Zim-
mer geeilt, hat sich über das Bett gebeugt, hat sie
behutsam auf seine Arme gehoben. Er zögert
eimen kurzen Augenblick dort an der Schwelle,
schon umhüllt vont dem Flor der lauen, dichten
Nebel — verschwindet gleich darauf..

Und nun vernimmt man von da drinnen her
beständig den brausenden Lärm jenes kochenden
Gießbaches, hin und wieder das fauchende Krei-
schen von Stoffen, die zerrissen werden. Man
hört d.en Laut seiner Schmerzensrufe, das Kläffen
seiner Oual — während er zitternd. Punkt für
Punkt, sein Unternehmen ausfiihrt! Ach, ja, sein
Herz rast und steht jäh darauf stiü. rast und steht
von neuem still. Er beißt knirschend seine Zähne
zusammen, preßt seinen Mund gegen ihre Wange

— er stöhnt wild und keiß, küßt wieder die feucht
schimmernde Haut, auf der unablässig Perlen ge-
boren werden! Sein Sinn ist plötzlich nicht mehr
geteilt, er hat vollkommen vergessen, ihn,
der tötete, und die andern, die da unten war-
ten, aües und aüe hat er vollkoinmen vergessen

— in aüen seinen Fibern weiß er nnr eins: eine
schwiudelnde Zärtüchkeit, eine schmerzdurch-
bohrte und br,eunende Liebe, eine Welt vcn sen-
gerider Liebe — die zugleich zerreißt und heüt, die
sein Herz grausani in Fetzen zerfleischt und gleich-
zeitig es so stark und ganz macht wie nie zuvor!
Ach, und seine Hände. sie umfassen so schneü, so
sautft unü so kundig ihre Glieder — während die
Dämpfe das aües verschleiern! Er verrichtet mit
flammender Sorgfalt dies Gräßliche und Schöne,
das notwendig ist! Mein Gott. aus dem lauen
Wirbel der wogenden Nebel. aus dem beständig
rinnenden Fluß der heißen Wasser. die das Wnn-
der ihres entblößten und weißen Körpers umspü-

len — tauchen wieder und wieder seine geschäfti-
gen, demütigen Hände von neuem äuf, sie baden
und waschen, sie greifen so fest und so gut zu,
sie löschen sorgfältig und zitternd die Spuren aus,
Sie machen sie neu und schön, wie sie immer
war! . . .

Die Stunden vergehen.

Die Stunden kommen, er hört sie nicht.

Die Stunden vergehen — uad er bemerkt sie
nicht.

Dier Stunden kommen und gehen, aber er ach-
tet ihrer nicht — eine jede von ihnen ist Tausende,
Miilionen von Jahren, die weder gezählt, noch ge-
sammelt, noch gefaßt werden können.

Und er eilt beständig hin und her, bald in die
Schlafstube, vor weit geöffnete, duftende Schub-
laden und Schränke, oder vor das Bett — und bald
wieder in die Badestube. Er lacht, er bleibt hin
und wieder auf einmal stehen, sein Herz krampft
sich qualvoü zusammen, tut so wahnsinnig weh.
Sein Lieb ist wieder zart und schön, nun kleidet
er sein Lieb wiederum in Spitzen und in Seide,
er schmückt ihren Körper, den er immer so innig
geliebt hat — sein Gemüt ist zu Tode durchfurcht
von der Sehnsucht nach ihr, durch deren Hilfe er
all seiine Zeit gelebt hat!

Die Stunden kommen und gehen . . . und end-
iich ist sie bereit.

Ja!

Jetzt könnt ihr kommen:

Sie liegt da auf einem gischtweißen Bett, in
einem schäumenden Bräusen von Weiß! Das gol-
dene, das mächtige Har ist zu beiden Seiten könig-
lich an der hohen Schönheit ihres Antlitzes ent-
Iang ausgebreitet; das dunkle und blanke Gespinst
der Augenwimpern berührt die zarten Wangen!

Weiß liegt sie da, wie auf Marmor — aus Gold
und Marmor selbst! Jung, wunderbar schön —
liegt sie da umd schlummert lautlos und tief. Durch
däs weit geöffnete Fenster streicht der Mittags-
wind herein und bringt labend diesen zarten,
'diesen kühlen und süßen Duft von frühen
Rosen mit — den Annie so sehr liebte . . . und da
sinkt er machtlos neben dem Rande des Bettes
nieder, er birgt bebend sein Antlitz in den Händen-,
seine Schultern zittern auf einmal, zwischen seinen
Fingem quellen Tränen hervor.

VI

Glaß Aforton ließ langsam seinen Nacken hin-
teniibcr sinken.

Er saß in eintem der großen, roten Lederstühie,
da unten in seinem Arbeitszimmer — starrte zu dem
gelblichen Vc-rhang hinaus, der vor die Fenster
gezogen wär; das Morgenlicht stand schon so klar
hinter dem feinen Gitterwerk der sich kreuzen-
den Fäden. Aus dem Garten hörte man das Ge-
räusch zwitschernder Vögel. Iin weiter Ferne un-
terschied man plötzlich ein langgezogeues, geüem
des Kreischen: die erste Straßenbahn, die in die
Stadt fuhr, bog aus ihrem Schuppen heraus.

Sein Herz war voüer Frieden; es bewegte sich
kein Gedanke in seinem Kopf.

Die Alinuten schritten dahin, er saß unbeweg-
lich da.

Draußen vom Wege her hörte man eine Weile
später das Traben eines Pferdes, den gedämpft
roüenden Lärm eines Fuhrwerkes. das sich näherte
— und noch mäher kam, ganz nahe, still stand: ein
Sprung. ein munteres und meloüisches Pfeifen, ein
Pufen uud der klirrende. rasselnde Lärm von ge-
ftiüten und leeren Kannen.

Glaß saß mit zwinkernden Augen da und
lauschte auf dies aües nm sich her, mit teilnahms-
loser, mit ruhiger und angenehm bertihrter Auf-
merksamkeit.

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