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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 9 (Erstes Augustheft 1914)
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Friedlaender, Salomo: Für Hunde und andere Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0071

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eigenen Identität beibringen, nnd Sie komnien mir
mit monistisch. Ihre Identität ist selbst ein sehr
netter Spiegel.

Ein hübsches Mysterium zum Verblüflen ah-
nungsloser Qrossisten. Fahren Sie fort!

Gern! Sie sind wirklich ahnungslos. Merken
Sie gar nicht, daß der Spiegel die einzige Mög-
lichkeit gibt, Identisches zu alterieren? Sein Sie
nicht so stumpfsinnig!

Erlauben Sie, mein Reflex ist nicht mein Ori-
ginal. Ich bin. Dann kommt der Spiegel, dann
mein Abbild in ihm —

Weit gefehlt, mein sehr mein Lieber! Der
Spiegel ist was ganz Nachträgliches, ein bloßer
Reflex des Originals: und das absolute Welt-Ori-
ginal, dessen bloßer Reflex die W,elt ist, muß so
schöpferisch gedacht werden, daß eben seine ge-
samte Schöpfung von selbst sein Reflex wird,
Reflex seiner eigenen Projektion, Spiegel seines
Urlichtes.

Herr, das ist dunkeü Uber Licht sollte man
heller denken!

Bitte! Was Sie da Licht nennen, ist für mich
nur eine hellere Art Finsternis, und beides, Licht
wie Finsternis, sind nur der hellere und dunklere
Reflex des sie projezierenden optischen Originals,
das eben auf sich selbst reflektiert. Ich bin nicht
dunkel. Ich bin nur Klärobskurant, Mockel. Das
Iebendige Medium, die schöpferische Indifferenz,
der Sehende selber, ist unmöglich ohne den
'Spiegel seiner Qesichte.

Sehen Sie wohl, Herr Exekutor, auch Sie haben
zuletzt Ihre Unmöglichkeit: Licht, Medium und
Finsternis sind ohne einander unmöglich —
haha. Und wer sagte vorhin, Unmöglichkeiten
sind Unfähigkeiten?

Wir sind zum AII, zur AHmöglichkeit gezwun-
gen, verpflichtet, in unserm Falle zum optischen
AH: Unmöglichkeit wird das Motiv zu aller Mög-
lichkeit; Ohnmacht motiviert zur AHmacht. Sie
müssen den Sinn meiner Worte bedenken. Un-
möglichkeit ist nie simpel absolut. Sie triviali-
sieren mich. Unfähigkeiten sind nie absolut, sind
aufzuregen, aufzupeitschen; es sind Halbfähig-
keiten, und jedes Unmögliche ist bereits halb
wirklich. Wenn Sie das Phänomen Licht voll und
rund denken, müssen Sie — genau nach Goethe —
Nichtlicht und beider Verkehr im lebendigen Me-
dium mitdenken.

Und was würde folgen?

Setzen Sie die Unendlichkeit, die Enor-
mität des Sehenden als des optischen Ori-
ginals, dann würde, außer der Ebenbürtigkeit
von Projektion und Reflexion, folgen, daß im
Projektor ein ewig lebendiger Übersciiuß
vorhanden wäre, daß die Gleichung zwischen
einfallendem und reflektiertem Licht, bei aller
Mechanität, für den genauen Blick einen son-
derbar lebendigen Rest ließe — dieser Rest sind
wir, bester Mockel, sind die „Seelen", diese leben-
digen Welt-Nichtse, die sich in Originale oder Re-
flexe hineinlokalisieren.

So so! Mit anderen Worten: mein Leib, optisch
genommen, wäre von der Valenz eines Spiegel-
bildes? Von der gleichen Valenz mit allen übri-
gen Spiegelbildern? Und das Original? Wo
haben Sie mein Original?

Oh oh! Begreifen Sie immer noch nicht! Rein
optisch gewertet, gibt es kein primäres Original,
Mockel. AHenfalls könnte man eher den Primat
der optischen Indifferenz zu behaupten wagen,
das Geheimnis der Seele muß im Welt-Nichts
stecken.

Sie sagten doch, es wäre eine Gleichung? Na,
wo ist das andere Glied?

Ah bah, wenn ich sage, die optische Welt ist
das runde, also in sich antipodische Spiegeibild

der optischen Seele, des Sehens, dann wissen Sie
hoffentlich Bescheid!

Keineswegs!

Das ist schade, jetzt muß ich mich Ihretwegen
selber langweilen. AIso das optisch Selbe gerät
in Koutraste bis zur Selbstopposition durch seine
eigene Exorbitanz — ist Ihnen das klar?

Halt, Sie versündigen sich an der Identität.

Halt. Identität versündigt sich, sage ich, an sich
'selber durch ihr Mehr-als-identisch-sein, dem na-
türlich sofort ein solches Minder antwortet; die
optische Welt ist die intrikate Selbstbespiegelung
des Selben.

Ja wessen?

Ihres eigenen Sehens! Begreifen Sie doch: um
aus Identischem eine Welt von geradezu essenti-
clleti Kontrasten zu schaffen, habe ich nur nötig,
einen unendlich komplizierbaren Spiegel aus dem
Identischen selbst hinauszuentwickeln. Etwas
Hyperidentisches artet notwendig in Selbstaltera-
tion aus.

Ich frage Sie nochmals: wo ist dieses Identi-
sche von allem? Dieses Urwesen, das Sie vari-
ieren? Wie sieht es aus? Was ist es? Dann
zeigen Sie es mir in seinen verschiedenen Abspie-
gelungen, und den Spiegel möchte ich auch sehen

— alles hübsch der Reihe nach.

Ihre Naivität überschreitet alle zulässigen Gren-
zen. Das Identische von allem ist selbstverständ-
lich wesentlich unwahrnehmbar, ununterscheidbar,
ununterschieden, absolut identisch. Das Hyper-
resp. Hypo-Identische dagegen zeigt Ihnen jeder
Blick.

Ich habe immer mehr den Eindruck, Sie wollen
sich um Ihr Experiment herumdriicken. Ihr Kniff
ist gut! Noch niemand hat mit solcher logischen
Noblesse die Viel- und Verschiedenheit über den
berühmten einen und selben Kamm geschoren.
Rein optisch hat es übrigens etwas Bestechendes

— schade, daß wir nicht nur aus Licht bestehen!

Teurer Freund, pochen Sie nur nicht zu sehr

darauf! Ich erinnere Sie an Ihren Kontinent aller
Sinne! Das Sehen als sublimiertes Tasten ist
schon landläufig, das führt uns vom Thema ab und
vom Experiment. Ein Spezifizieren ohne Generali-
sieren, ein Homogenisieren, ohne Heterogenisieren
beschädigt die Verwandschaft aller We-
s e n, die wesentliche Paarigkeit ihrer Diversität,
die Exxorbitanz ihrer Identität.

Gott, welche Begriffsstutzerei! Experiment,
Experiment!

Ja, das Experiment soll für euch auch d e n -
k e n, ich glaub's. Meine Begriffe sind die Begriffe
der Sinne. Und bevor wir weiterexperimentieren,
werden Sie gütigst einige Geistesanstrengung nicht
scheuen, sie ist nicht allzu stark. Identisches, hy-
perbolisch intendiert, zerspritzt in eine weit und
breite Selbstbespiegelung, in lauter Projektion des
Originals und Reflexion darauf.

Mir will scheinen, Ihre strotzende Identität ist
ein blanker klarer Selbstwiderspruch.

AIso schöpferisch!

Wie? Und wo sind alle die lieben verschiede-
nen Dinge, die sich abspiegeln? Dieses identisch
üppige Original wäre ja ein lauteres Nichts!

Gewiß, das Nichts der Unterschiede, und er-
innern Sie sich, der Hervorbringung dieser persön-
lichen Indifferenz aller Differenz galt unser opti-
sches Werkexperiment, es ist gelungen.

Und nun? Wo bekommen Sie die Differenzie-
rung jetzt her? Ich bin gespannt.

Sehr, sehr einfach! Sie ist ja bereits vorhan-
den — denn selbstverständlich ist dieser optische
Indifferenzzustahd im höchsten Grade explosiv,
überspannt, eine Art Agon mit sich, eine Paralysis
voll zitternden Lebens, eine Schwangerschaft, wel-
che zur Geburt drängt.

Erlauben Sie! Übergewicht ist kein Gleich-
gewicht.

Erlauben Sie: anders gibt es kein Gleichgewicht
als durch eine Differenz, die es sich streitig macht.
Wir haben Waffenstillstand, aber jederzeit kann
der Krieg beginnen.

Ein Krieg um nichts und wieder nichts! Es
wäre, wie wenn ein sti!I stehendes Pendel aus
eigener Kraft wieder schwingen sollte.

Sehr interessant, Herr Mockel! Sie glauben
an einen Stillstand ohne Bewegung? — Die Schwin-
gung eines Pendels hört subjektiv niemals auf, ob-
gleich ihre Amplitode objektiv gleich Null werden
kann. Andere Sorten Ruhe sind nur Konzeptionen
lebloser Seelen. Um Ruhe streitet die ganze Be-
wegung, persönliche Ruhe vibriert vom Gegenteil
aller Ruhe. Das eigene Nichts zittert vom AH.

So so? Wissen Sie, wie das klingt? Wie
wenn das ruhende Pendel, wenn es bloß Lust be-
käme, auf einmal rund um sich selbst schwingen
könnte. Ihre Auffassung sogar zugegeben, so ver-
steht man doch gar nicht die Hauptsache: wie
vermag eine ruhig scheinende Vibration v o n
s e lb s t alle Grade der Bewegung zu durchlaufen?

Von selbst?

Ja, ist das denn nicht der springende Punkt?

Keineswegs, edler Denker! Dieses objektive
„Von selbst" ist fauler Zauber. Sie hören doch,
daß unser subjektiv eigenes schöpferisches Nichts
gepaart ist, unser Selbst sein eigener Zwilling. Der
leiseste Anstoß realisiert alle Schwingungsmöglich-
keiten des Pendels.

Dieser Anstoß ist mir ein Anstoß.

Aber mit nichten, er ist eigentlich niemals me-
chanisch und braucht auch nicht einmal so zu schei-
nen, kann außerordentlich spontan erfolgen und
sich vom antippenden Finger unterscheiden wie
ein Stern vom fallenden Stein. Unterscheiden Sie
nur, bitte, Automaten nicht so fürchterlich schroff
von . . . Heteromaten. „Selbst", „Von selbst" —
als ob Willkür ein Wunder wäre! Das ist nur
technisch geschickter verfertigt.

Ich darf Sie wohl ersuchen, deutlicher zu
werden?

Ja, gewiß, Deutlichkeit ist so recht der Wunsch
von Tauben und Blinden. Ein Wagen kann ent-
weder von etwas „Anderm" oder „von selbst" be-
wegt sein, von einem Pferd oder von einem Akku-
mulator — ist das denn ein so imponierender Un-
terschied? Ein Pendel kann entweder „von selber"
schwingen durch inwendigen Mechanismus oder
durch den Anstoß des Fingers. Kurzum, je nach-
dem ich geschickter oder plumper kombimere,
mache ich die Sache zum Auto- oder zum Hetero-
mobil. Der sogenannte eigene Wille ist eine ver-
dammt geschickte Kombination. Also eigentlich
muß doch in der Möglichkeit, so zu kombinieren,
das echteste „Von selbst" verborgen liegen. Da
suchen Sie nach!

Ich suche. Soviel ich finde, wollen Sie mit
einem schwachen Aufgebot von Witz Etwas aus
N i c h t s machen. Das Nichts der Bewegung, zu-
gestanden auch, daß es aus entgegengesetzten Be-
wegungen kombiniert und so etwas wie eine
Selbst-Opposition sei, bleibt nun eben doch,
bis auf weiteres, der unabänderliche Ruhestand.
In diesem Nichts verschwinden doch die Unter-
schiede. Wie wollen Sie sie daraus wieder zum
Vorschein bringen?-

AIs ob eine persönliche Indifferenz, die eine
Differenz lebendig identifiziert enthält, sie nicht
nach „eigenem" Gutdünken wieder daraus hervor-
treten lassen könnte! Wenn Sie nur einsehen, daß
das Ganze seine Selbst-Opposition niemals un-
persönlich restlos tot endet, so können Sie immer-
hin den schöpferischen Luxus der Automatisierung
erlauben. Die persönliche Indifferenz des Ganzen

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