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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 9 (Erstes Augustheft 1914)
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Friedlaender, Salomo: Für Hunde und andere Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0072

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könnte man in Ansehung der differenzierten Welt
geradezu Gott nennen. Was ist denn, damit ver-
güchen, Ihre gesamte Sinnenwelt! Man könnte
sie verschwinden lassen, und es wäre nichts ver-
loren. — Sie erlauben also, daß ich nunmehr auch
Gehör, Geruch, Geschmack und vor allem Getast
indifferenziere, indiskret mache?

Aber das hieße dann ja soviel wie.er-

sparen Sie mir diese Gotteslästerung!

AHerliebster! Sie hören ja, daß es mit den Dif-
ferenzen der Sinne nicht soviel auf sich hat; es
bleiben Ihnen z. B. doch noch die Differenzen des
Urteils! Diese sind ja weit wichtiger! Sinn-
liches Unterscheidungsvermögen haben ja auch
die Tiere, aber kein 1 o g i s c h e s.

Na, es dürfte Ihnen nicht allzu schwer fallen,
auch die logische Indifferenz herzustellen, also den
U n s i n n zum Weltprinzip zu machen.

Sie sind, wie Gegner meistens sind, voller Zu-
trauen zur Blödsinnigkeit des anderen: ohne Ja
kein Nein! Darauf folgt noch lange nicht die sterile
Identität beider in ihrer Indifferenz.

Was denn sonst? Es ist doch ihre Ununter-
scheidbarkeit!

Wohl, aber diese doch nur als das schöpferische
Prinzip zu ihrer notwendigen Entgegenset-
z u n g! Es ist ihre schöpferische Identität, in sich
widerstreitend, jedem Versuch, sie steril zu iden-
tifizieren, sich prinzipiell widersetzend, obgleich
beide in sich enthaltend, ihr neutrum commune
disiungens: ihr Leben in eigener Person.

Das wollen Sie experimentell herstellen? ?-

Hören Sie mir zu! AHes Unterscheidbare geht
auf eine solche lebendige Indifferenz zurück, wenn
Sie nur nicht die originale Indifferenz, das absolut
Ununterscheidbare mit seinen sehr wohl und leicht
unterscheidbaren Symbolen und Analogien ver-
wechseln. Wenn ich z. B. sagte, die Welt sei die
Explikation eines subjektiven Zentrums zur objek-
tiven Kugel, so ist irgendeine Kugel, die Sie mir
vorweisen können, doch nur eine sehr kümmer-
liche, wenn auch nicht uninstruktive IHustration
des Urverhältnisses. Nenne ich dieses etwa „Gott"
— warum wäre das Experiment. seiner eigenen
Herstellung eine Lästerung?

Ah! Wenn ich recht verstehe, wollen Sie dar-
auf hinaus, man könne den sinnfälligen Menschen
indifferenzieren, ohne daß deshalb sein Wesen ver-
loren gehe; es riecht ein wenig naoh Astralleib.

Lassen Sie diese mokanten Assoziationen! Den-
ken Sie sich die Sache so: Die Sinne sind eine recht
bunt auskolorierte Logik. Ich achromatisiere zu-
nächst diese Logik! Nun bleiben noch die Schwarz-
Weiß-Zeichnungen der Logik, die sind schwerer
zu beseitigen, aber es geht. Commencons!

Halt, halt! Eh' Sie beginnen, — was bleibt denn
dann??

Das eigenste Selbe! Das göttliche Nichts! Wie
können Sie fragen? Die Sinne sind komplementär,
die Logik ist komplementär. Wenn ich komple-
mentäre Farben ineinander bringe, entfärbe ich.
Ebenso alogisiere ich die Logik.

Wa s b I e i b t ? ?

Herr je! Die eigene Klarheit bleibt, bester
Mookel! AIso die schöpferische Prädisposition zur
ganzen Chose.

Da hammersch! Exekutor, Sie sind auf 'ne ver-
teufelt bequeme Selbst-Vergottung aus.

Ich werde Sie beexekutern. Ha'm Sie 'ne Ah-
nung! Mein sehr Lieber, das, was ich herstelle,
die sinnliche Indifferenz, ist weiter von Gott ent-
fernt als der physische Punkt vom mathematischen.
Sie Rindsvieh!

Temperieredir! Experimentieren Sie gefälligst,
statt zu schimpfen.

!

Mockel! t '

Exe—

Ochse, ist es zu schiidern?

Ne! Tolle Chose — warum haben Sie nicht
gleich gesagt, daß Sie nur unsere sinnlichen Diffe-
renzen vernichten wollten? Ich würde mir weniger
gegrault haben.

Ich habe es Ihnen ja sechsmal versichert, Sie
Lausewenzel! Es war das Reich der sogenannten
Faustischen Mütter. Setzt Ihr Denken auch nur
einen einzigen Augenblick aus?

Daß ich nicht wüßte!

Sie konnten nicht die geringsten sinnlichen Un-
terschiede mehr konstatieren, während Sie um so
leichter die allerfeinsten Gedanken-Differenzierun-
gen betätigten?

Geb' ich Ihnen, vor Freude weinend, zu! Be-
sonders merkwürdig war ja das Aussetzen des Ge-
tasts — da legst dich nieder!

Das hat nun die wahnwitzigsten Vorteile. Vor
allem ist es die bequemste Reisegelegenheit, die es
gibt. Sie stellen das sinnliche Nichts von Peters-
burg her und differenzieren es zum sinnlichen
Paris.

Ih! Wie?

Sie unterschätzen eben die Exekutivkraft Ihrer
eigenen Person; sie kultivieren menschlich das Ob-
jekt; statt daß eine enorme Kultur des Subjekts
alles Objekt zum automatischen Diener machen
würde. Vergessen Sie nicht, daß bereits der alte
Kant die Spontanetät des Gedankens erlebt und
gelehrt hat; leider hat er sie den Sinnen zum Fraße
hingeworfen und hundert bloß gedachte Taler für
hundert harte weggeschenkt

Na, Exekutor, zum Henker, in Geldsachen
würde die Gemütlichkeit.

Ist es die Möglichkeit, Sie Dickhäuter! Be-
greifen Sie denn nicht, daß Härte, und sei es Täler-
härte, eine bloße Eigenschaft des Willens ist; daß
nur Gedanken, denen der Wille fehlt, bloße Gedan-
ken bleiben müssen? Und daß freilich der diffe-
renzierte, der zersplitterte Wille erst in der Faust
des ungeteilten schließlich so erhärtend wirkt, daß
leiseste Gedanken durch ihn sofort zur härtesten
Tatsache werden müssen? (Der Exekutor griff
hundert harte Taler aus der Luft und hielt sie
Mockeln hin.)

Jesus!

Ne! Nich Jesus, sondern ganz einfach beson-
nenste Tatkraft ohne Apparate!

Wer das könnte, bei dem könnten Rothschilds
hausieren gehen!

Jesus! Das känn jeder, wenn er will. WoIIen
kann man aber nur, wenn man das Nichts der gan-
zen Affaire persönlich ist — erst dann hält man
jede gewollte Differenz beim Schlavittchen. Das
ist der Witz der persönlichen Indifferenz, den kein
Mensch versteht, weil kein Mensch sich selber im
Innersten versteht! Mockel, haben Sie Mut, jetzt
unser Nichts in des Wortes verwegenster Bedeu-
tung zu erleben? Passen Sie mal auf, was Sie dann
für 'ne Tatkraft kriegen. Einzige Bedingung: Sie
geben jeden Widerstand, auch in Gedanken, gegen
mich auf. Zuerst hebe ich nur wieder das sinnliche
Unterscheidungsvermögen auf. Sie können dann
noch phantasieren, denken, fühlen, wollen, so diffe-
renziert Sie sein mögen.

Na, Mockel?

Muß ich zugeben. Ich sehe aber immer noch
nicht den Witz der Sache ein, nämlich den willkür-
lichen Rückweg aus diesem Nichts der Sinne zu
jeder von mir beliebten Differenz derselben, z. B.
also zu hundert harten Talern. Ich gebe übrigens
sogar eine enorme Kräftigung meines Innern zu.

Es wollte mir vorkommen, wie wenn dieses erst
recht erwachte und vom Willen beseelt würde, die
verschwundene Welt der Sinne spontan aus sich
hervorzubringen; ich vermißte nur aHein die Tat-
kraft unser Energierung!

Die kann sich auch erst hervortun, Mockel,
wenn wir nun auch noch die inneren Differenzen,
gerade um frei über sie verfügen zu können, ra-
dikal vernichten, dann erst haben wlr unseren in-
nersten Willen zu aller Tatkraft komprimiert.

Exekutor! Um Gottes willen, vernichte ich da-
mit nicht auch jeden inneren Unterschied zwischen
dem höchsten, allervollkommensten Wesen und

— verzeihen Sie — mir???

Mockel, wie können Sie daran zweifeln? Das
ist ja gerade der Kernpunkt! In uns liegt, wie
Goethe (f 1832) sagt, „des Gottes eigene Kraft"

— fragt mich nur nicht, w i e — d. h. wie träg und
tot sie im Menschen liegt, der nur durch diesen
Tod seines innersten ununterscheidbaren Unter-
scheidungsvermögens bloßer Mensch bleibt.

Exekutor! Mir wird die Sache zu brenzlich.
Ich gehe auf Ihre Bedingungen nicht ein! Lieber
behalte ich die Sehnsucht nach harten Talern un-
stillbar in mir, als daß ich einwilligte, die Distanz
zwischen 1hm und mir wegfallen zu lassen. Das
wäre ja die unverschämteste Dummdreistigkeit
von der Welt!

Im Gegenteil! Diese Distanz gerade ist was
ganz Äußerliches und ist gerade außen nur dann
äm allerstrengsten festzuhalten, wenn sie inner-
lichst wegfällt: denn nur dieses Wegfallenlassen
Ist erst Innerlichkeit; und auch im Innersten noch
sich gegen Gott im mindesten sträuben, sich auch
hier noch von ihm unterscheiden wollen, ist weiter
nichts als der schlechte, äußerliche, unvermögende,
unmagische Wille, der sich Mensch nennt.

Aber —

Kein Aber, Mockel! Sie haben sich selbst ge-
richtet! Bleiben Sie, was Sie sind, ein Hund von
einem Menschen vor der eigenen Göttlichkeit in
Ihrem Innersten!

Aber Herr Exekutor, Sie schieben mir das
Nicht-eingehen-woIIen auf ein vorgeschlagenes Ex-
periment ins Gewissen hinein — nanu?

Oh, Mockel! Mockelchen! Es ist das einzige
experimentum crucis der Welt. Ich wlll nicht
mehr sagen. (Er zündete sich eine Zigarre an und
verschwand, ganz in ihren Dämpf eingehüllt;
Moakel sagte): Nemo contra Mockelum nisi
Mockel ipse.

Finis

Gedichte

August Stramm
Erinnerung

Welten schweigen aus mir raus

Welten Welten

Schwarz und fahl und licht!

Licht im Licht!

Glühen Flackern Lodern
Weben Schweben Leben
Nahen Schreiten
Schreiten

AH die weh verklungenen Wünsche
AIl die harb zerrungenen Tränen
AII die barsch verlachten Ängste
AII die kalt erstickten Gluten
Durch den Siedstrom meines Blutes
Durch das Brennen meiner Sehnen
Durch die Lohe der Gedanken
Stürmen stürmen
Bogen bahnen

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