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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 6.1915-1916

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Nummer 1/2 (Erstes und Zweites Aprilheft)
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Karinthy, Frigyes: Der Zirkus
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https://doi.org/10.11588/diglit.37113#0012
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Direktor- Er zog mit einer Hand den turnten Vor-
hang des Eingangs beiseite und plärrte: „Herein-
spaziert, nur hereinspaziert, meine Herrschaften,
gleich, ist Anfang, gleich ist Beginn! Nur herein-
spaziert!" Die Menschen strömten herbei, in unge-
heuerer Zahl, in dichtem Gedränge: allerhand bun-
tes Yo!k, Dienstmädchen, Soldaten, Damen mit Fe-
derhüten und glatt rasierte Herren. Sie stießen ein-
ander,. lachten, unterhielten sich und plauderten
laut. Ich wußte, der Direktor werde mich sofort
erblicken, und er erblickte midi auch 'tatsächlich.
Während er meinen Arm erfaßte, sagte er: „Her-
einspaziert! Hereinspaziert! Haben Sie schon ein
Billett? Wenn ja, beheben Sie hereiuzuspazteren,
falls nicht, scheren Sie sich zum Teufel!" Da
krampfte sich mein Herz erschrocken zusammen,
ich begann zu .stammeln, daß ich nicht in den Zm
schauerräum wolle, sondern mit meiner Geige . . .
Verzweifelt wies ich auf meine Geige, die ich
selbstverständlich unter den Arm gepreßt hielt. Er
beugte sich zu meinem Mund nieder und wartete
erlrost bis ich hervorgesbitnmdt hatte, daß ich
kein Bill et besäße, aber ein Lied komponiert habe,
ich ganz allein, und dieses Lied werde ich, wolle
ich, wenn, er mir den Eintritt gestatte, dem Publi-
kum Vorspielen. Darauf begann er so laut zu
lachen, daß ich ihm iw die Kehle hincinsah. wie in
einen tiefen Tuund. Bann sagte er schroff, Wort
für Wort betonend: Junger Kämpfer, Rappelkopf,
dein Herz ist wie ein Bienenstock. Dies dünkte mir
ein über ans geistvoller Vers und ich sah, meine un-
willkürliche Anerkennung behage dem Direktor. Er
klopfte mir auf die Schulter und sagte, ich solle
warten. ViGleich werde sich etwas machen lassen,
man könne darüber reden.
Später kehrte er in den finsteren Gang zurück,
wo ich immer bebend stand, und sagte mit herab-
lassendem Wohlwollen, dag Geigenspiel für sich
allein, sei ein Par,a#depipedon. Woraus ich sofort
entnahm, dies bedeute, er setze in meinen Erfolg
kein großes Vertrauen. Ich begann zu schwören,
worauf er ernst wurde und mir zu verstehen gab.
es sei schon gut, er wolle es mit mir versuchen,
doch, müsse vorerst die militärische Behörde ver-
ständigt werden, woselbst ich ieiue Marke als kai-
serlich und königlicher Gctrcidcbauier) bekommen
werde. Bis dahin werde er mir den ganzen Zir-
kus zeigen, von vorne und von hinten, die Artisten
und die Türe, kurz alles, damit ich eine Idee davon
habe, um was es sich eigentlich handle, was das
Publikum brauche. Mein Herz pochte vor glück-
licher Erregung darüber, daß ich es so weit ge-
bracht hatte, doch zugleich fühlte ich mich geäng-
stigt. Die Geige unter meinem Arm preßte ich
krampfhaft und mühte -mich, die Melodie ja nicht zu
vergessen. Der Direktor führte mich zwischen un-
geheure Vorhänge, auf denen allerhand lebende
Bilder waren, ln der Höhe arbeiteten dürftig be-
kleidete Menschen. Ich erwartete, auch Artisten
und Kunstreiterinnen zu Gesicht zu bekommen,
doch nein, wir kamen nur über viele breite Trep-
pen. loh vermochte dem Direktor kaum zu folgen,
so rasch lief er die Treppen hinan. Daun kamen wir
durch samttapezierte Stuben. Zufälüg öffnete ich
die Türe, durch die schriller Lärm stürzte und
zahllos wimmelnde Menschenköpfe zu sehen waren.
Der Direktor schrie mich an, ich solle rasch die
Türe Zuschlägen, dies sei das auf die Vorstellung
wartende Publikum, das nicht hereinschauen dürfe.
Dann tat er eine kleine Eisentür auf; eine rie-
sige halbkreisförmige Halle gähnte in der Tiefe.
Inmitten dieser prachtvollen mit Palmen und
Springbrunnen geschmückten Halle würgte ein
schöner Mann mit zusammengepreßten Lippen und
wMdeu Augen ein Weib. Das Weib stieß dumpfe,
röchelnde KeliMaute hervor — es war ein gräß-
licher Anblick. Laut begana ich zu schreien und

forderte, man solle das Weib seinen Händen ent-
reißen. Doch der Direktor fiel mir in den Arm.
„Dummkopf", sagte er, „dies sind ja meine Schau-
spieler, das Ganze ist bloß ein Spiel. Uebrigens
sind dies doch nicht wirkliche Menschen, sondern
wächserne wie im Panoptikum". Als ich genauer
hinsah, wurde ich gewahr, das Gesicht des Weibes
war tatsächlich unnatürlich und seine Augen waren
aus Glas.
Ich schämte mich und begann, von etwas ande-
rem zu reden. Mein Herz aber pochte noch immer
unruhig. Jetzt führte mich der Direktor in eine
aufgewühlte bunte Stube, wo in schreiende Farben
gekleidete und geschminkte Menschen saßen, in
Bankreihen, wie es in der Schule üblich ist. Dies
war die Clownschule, wie ich später erfuhr. Auch
ich wurde in eine Bank gesetzt und der Direktor
rief die Prüflinge der Reihe nach an den Katheder.
Einer von ihnen ging auf den Händen hinaus und
schlug mitunter den Kopf an den Fußboden. Dieser
mußte die Produktion wiederholen. Dann wurde
ein hockg.ewachscner Manu aufgerufen, der ein
Messer hervorzog und sich in die Brust stieß. Blut
und Lunge rannen aus der Wunde — laut röchelte
der Mann und sank zu Boden. Der Direktor nickte
zufrieden:
„So ists recht," sagte er, „dies wird gefallen."
Der Selbstmörder ging auf seinen Platz zurück,
holte aus der Bank Nadel und Zwirn hervor und
vernähte sich unter Aechzen und Grimassenschnei-
den die Brust. Da merkte ich, daß diese von un-
zähligen vernähten Narben durchfurcht war.
Auch andere kamen, die wieder andere Kunst-
stücke konnten. Bauchredner gab es, die mit selt-
samer Treue die Stimmen von Menschen und Tie-
ren nachahmten, daß ich kaum meinen Ohren
traute. Der eine sprach mit deutlicher Kinder-
stimme, daß mir die Tränen in die Augen drangen.
Er imitierte nämlich ein sterbendes Kind. Als ich
ihm jedoch ins Gesicht blickte, sah ich seine Augen
und Lippen regungslos. Ein zweiter jammerte und
wehklagte wie ein Weib, dann kamen andere
Frauenimitatoren heiseres und kicherndes Gemur-
mel erscholl und :m Dunkel glimmten unheilver-
kündende Augen.
. Da blickte der Direktor in sein Buch und rief
meinen Namen. Ich stand in der Bank auf, er maß
mich und fragte dann rasch:
„Was kannst du?"
Ich wies auf meine Geige und stammelte wieder
etwag von einer Melodie, die ich komponiert hätte.
Lachen durchlief den Saal und der Direktor schlug
zornig auf den Tisch:
„Noch immer ärgerst du mich mit deiner dum-
men Geige!" rief er. „Wozu soll dieser alte
Schmarren!"
Ich wollte erwidern, daß die von mir kompo-
nierte Melodie sehr seltsam sei und ich sie sehr
gerne Vorspielen würde, wenn man es mir gestatte.
Doch er rief einen Knaben und schickte mich mit
ihm fort, damit er mir die Instrumente zeige.
Ich wurde in einen anderen Raum geführt. Hier
standen riesige Maschinen und Apparate. Lauter
Musikinstrumente. Da gab es riesige Trompeten,
die durch Blasebälge in Bewegung gesetzt wur-
den, bei jedem Druck brach Donner aus ihren Keh-
len. Dann Triangeln, groß wie ein Zimmer und mit
Dampfhämmern versehen. Auf der Fläche einer
gigantischen Trommel marschierten dressierte Ele-
fanten im Kreise herum und trommelten mit den
Füßen. Auch eine merkwürdige Orgel gab es, an-
getrieben von einem Elektromotor, der gleichzei-
tig dreißig Klaviaturen und tausend Stahlpfeifcn
in Funktion setzte, denen größte so hoch war wie
ein Fabrikschornstein. Der Kapellmeister stand auf
einer hohen Brücke, und als er seine beiden Arme
in die Höhe warf, erdröhnte ein einziger Akkord

und Sturm wirbelte — ich glaubte, sofort ins Freie
geschleudert zu werden. Vor den
lagen Rollen, wie jene, die SetzmaschineM' aht^ei-
ben. Die Musikanten trugen alle Brillen und. starr-
ten ohne Unterlaß in die Noten. Mit schwi&delhr-
dem Hirn und brausenden Ohren kam ich in eine
andere Klasse, wo mich bereits der Direktor er-
wartete. Ich sagte ihm, ich hätte die Instrumente
gesehen, sei aber mit keinem vertraut und könne
auf keinem spielen. Er zuckte -die Achsebt und
sagte, es tue ihm sehr leid. Da standen wü-r v.or
zwei Vorhangtüren, die ins Theater führten. Lr tau-
senderlei Masken eilten die Schauspieler hinein
und so oft der Vorhang aufflatterte, schlug mir
vielfarbiges elektrisches Licht ins Gesicht. ich
wollte eintreten, doch der Direktor verwehrte es
mir. Sagte, ich könne nichts und es werde Wähl
besser sein, vorerst die Leichenkammer zu besich-
tigen.
Wir schritten durch eine andere Tür —. eiä fin-
sterer Gang führte in einen Keller härab. Hackem-
des Gaslicht zischelte in großen Femen. Zu beiden
Seiten, im nebligen und dichten Dunkel! führten
Kabinen. WeißmantÜge Diener mit rassigea Gesich-
tern gingen aus und ein. Beben erfaßte mich utid
ich wagte nicht hineinzuschauen. Am äußersten
Ende des Ganges blieb der Direktor stehen und
sprach mit jemand. Verstohlen blickte ich mich um.
An den Wänden zogen sich lange Blech tische
dahin — und auf diesen lagen nackte Leichen,
Greise, Kinder, auch einbalsamierte, eiuzdae Kör-
perteile. Schwerer, drückender Fonmalingeruch
stieg aus den Tiefen empor. Ich sah, nach unten
führte noch ein anderer völlig finsterer Gang. Der
Direktor sprach von mir — als habe er mich dem
Arzt empfohlen, damit ich hier bleibe. Der Argt
schaute in die Richtung des finsteren Ganges.
Da begann ich zu Hellen, man möge mich' doch
nicht zwingen, an diesem Ort zu bleiben, ich. ver-
sprach, wenn es schon nicht anders' gehe, heber
etwas zu lernen, womit ich auf treten könne. Die
beiden schüttelten die Köpfe -und der Arzt be-
merkte schließlich, man könne es höchstens mit der
Akrobatik versuchen, denn das Publikum sei schon
ungeduldig.
Nun wurde ich in eine hochgelegne bodeaarbge
Räumlichkeit geführt — durch kleine Luftlöcher
sah ich tief unter mir die Stadt. Hohe Lehern stan-
den an die Mauern gelehnt, Stricke, Recke, Netze
lagen durcheinander. Aut den Leitern arbeiteten
Artistenzöglinge in fleischfarbne Trikots gekleidet.
Ich wurde vor -eine Leiter gesteht, auf die ich em-
porzuklettern hatte. Ais ich an der Spitze ange-
langt war, wurde die Leiter von unten in die Höhe
geschleudert, der Straße zu — fest klammerte ich
mich an und überblickte hinabschauend die ganze
Stadt, auf deren Straßen die Menschen am eisen-
klein durcheinander wimmelten. Leise schrie ich
auf und verlor das Bewußtsein.
Doch dann langte ich wieder unten, an. So lernte
und probte ich lange Wochen und Monate hin-
durch. Kroch die Leiter hinan und herab. Als dies-
schon gut vonstatten ging und ich auf der Leiter-
spitze sicher stehen konnte, reichte man mir einen
Sessel hinauf. Sorgfältig equilibrierend richtete ich
den Sessel zurecht und stellte mich darauf. Später
wurde mit zwei und drei Sesseln das Gleiche voH-
führt. Und lange, lange Zeiten vergingen so.
Dann, nach diesen langen, laugen Zeiten, stand
ich endlich auf der Bühne. Doch da war mein Ge-
sicht schon schmal und runzelig und geschminkt
wie die Gesichter jener, die ich zuerst gesehen
hatte. Nun war es schon so weif gelmmmcn. daß-
ich seit vielen, vielen Jahren im Zirkus diente nun
jeden Winkel und jede Ecke kannte. Ein fleisch-
farbnes Trikot trug ich und stand müde zwischen
den in Halbdunkel gehüllten Vorhängen, durch die
 
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