Das Verstehen der Kunst
Die neue Bewegung in den bildenden Künsten unterscheidet sich
grundsätzlich dadurch von der Kunst der letzten Jahrhunderte, daß
sie aufhört, Abbildungen statt Bilder zu geben. Die größten
Künstler aller Zeiten wollten zwar stets dasselbe und erreichten es
auch auf ihre Weise. Die größere Mehrheit der künstlerischen Be-
gabungen fühlte sich aber stets im Bann der hervorragenden Er-
scheinungen ihrer Zeit. Für die Gleichartigkeit ihrer Bestrebungen
erfanden die Kunstwissenschaftler Namen, die da Gemeinsame des
Kuristwillens bezeichnen solllen. Jedes Geschlecht beklagt die Ver-
kennung der Künstler des Vergangenen. Und immer wieder erhebt
sich ein großes Staunen: weshalb konnten unsere Vorfahren nicht
sehen, was wir sehen und nicht hören, was wir hören. Man erklärt
es gewöhnlich damit, daß der Künstler seiner Zeit voraus, ist. Der
Künstler aber ist jeder Zeit voraus, weil er außerhalb der Zeit steht.
Dennoch sind gerade die größten Künstler für jeden Menschen zu
fassen, wenn jeder Mensch von der Kunst nicht mehr und nicht
weniger verlangen würde als Kunst. Um ein Bild sehen zu können,
gehört vor allem dazu: das Bild zu sehen ohne Vorurteil und
ohne Nachurteil, überhaupt möglichst ohne Urteil.
Die Kunst und die Tatsache sind zwei Welten, die nichts mit-
einander zu tun haben. Der Wert der Kunst für die Menschen
besteht nicht darin, die Kunst zu werten, er besteht darin, die Kunst
zu fühlen. Das Gefühl kann nicht erlernt werden, aber man kann
es bilden. Allerdings nicht auf die Weise, wie die Bildung des so-
genannten Gebildeten zustande kommt. Nämlich durch Vergleich.
Mit dem Vergleichen und sogar mit#dem Denken kommt man nie
an die Kunst heran. Die Menschen sammeln Erfahrungen, meistens
nicht einmal die eigenen, sondern die anderer, und bauen damit
Wände um sich herum, über die sie nicht mehr hinwegsehen können.
Oder nur dann, wenn das Stärkste im Menschen, der Trieb, dagegen
stürmt. Da nimmt sich jemand vor, er würde nur einen Menschen
heben, der so oder so aussähe, oder so oder so wäre. Plötzlich
liebt er einen Menschen. Er hat ihn nie gesehen, ihn nie gedacht.
Der Trieb blüht auf und die Liebe ist. Der Haß ist. Die Freude ist.
Die Trauer ist. Und die Kunst ist. Das ist die Wirklichkeit der
Kunst. Der Künstler schafft . nicht den Eindruck von außen, er
schafft den Ausdruck von innen. Er kann den Eindruck von außen
Die neue Bewegung in den bildenden Künsten unterscheidet sich
grundsätzlich dadurch von der Kunst der letzten Jahrhunderte, daß
sie aufhört, Abbildungen statt Bilder zu geben. Die größten
Künstler aller Zeiten wollten zwar stets dasselbe und erreichten es
auch auf ihre Weise. Die größere Mehrheit der künstlerischen Be-
gabungen fühlte sich aber stets im Bann der hervorragenden Er-
scheinungen ihrer Zeit. Für die Gleichartigkeit ihrer Bestrebungen
erfanden die Kunstwissenschaftler Namen, die da Gemeinsame des
Kuristwillens bezeichnen solllen. Jedes Geschlecht beklagt die Ver-
kennung der Künstler des Vergangenen. Und immer wieder erhebt
sich ein großes Staunen: weshalb konnten unsere Vorfahren nicht
sehen, was wir sehen und nicht hören, was wir hören. Man erklärt
es gewöhnlich damit, daß der Künstler seiner Zeit voraus, ist. Der
Künstler aber ist jeder Zeit voraus, weil er außerhalb der Zeit steht.
Dennoch sind gerade die größten Künstler für jeden Menschen zu
fassen, wenn jeder Mensch von der Kunst nicht mehr und nicht
weniger verlangen würde als Kunst. Um ein Bild sehen zu können,
gehört vor allem dazu: das Bild zu sehen ohne Vorurteil und
ohne Nachurteil, überhaupt möglichst ohne Urteil.
Die Kunst und die Tatsache sind zwei Welten, die nichts mit-
einander zu tun haben. Der Wert der Kunst für die Menschen
besteht nicht darin, die Kunst zu werten, er besteht darin, die Kunst
zu fühlen. Das Gefühl kann nicht erlernt werden, aber man kann
es bilden. Allerdings nicht auf die Weise, wie die Bildung des so-
genannten Gebildeten zustande kommt. Nämlich durch Vergleich.
Mit dem Vergleichen und sogar mit#dem Denken kommt man nie
an die Kunst heran. Die Menschen sammeln Erfahrungen, meistens
nicht einmal die eigenen, sondern die anderer, und bauen damit
Wände um sich herum, über die sie nicht mehr hinwegsehen können.
Oder nur dann, wenn das Stärkste im Menschen, der Trieb, dagegen
stürmt. Da nimmt sich jemand vor, er würde nur einen Menschen
heben, der so oder so aussähe, oder so oder so wäre. Plötzlich
liebt er einen Menschen. Er hat ihn nie gesehen, ihn nie gedacht.
Der Trieb blüht auf und die Liebe ist. Der Haß ist. Die Freude ist.
Die Trauer ist. Und die Kunst ist. Das ist die Wirklichkeit der
Kunst. Der Künstler schafft . nicht den Eindruck von außen, er
schafft den Ausdruck von innen. Er kann den Eindruck von außen