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Sturm (Berlin)
Gesamtschau Expressionisten - Gemälde/Bildwerke, Aquarelle/Zeichnungen: Juli/August 1919, erste Ausstellung Berlin-Osten : auf Einladung der "Freien Jugend" Berlin O — Berlin: Der Sturm, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.74472#0007
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empfangen. Wie der Liebende, der Hassende, der Freudige, der
Traurige. Aber dadurch, daß er diesem Eindruck einfach sagt oder
erzählt, ist nie eine Wirkung entstanden. Der Liebende versuche
einmal, einem andern zu erklären, warum er liebt. Oder warum
er haßt. Der andere wird nur hören, daß er liebt oder haßt. Der
Künstler, der meine Geliebte oder meinen Feind malt, malt sie nur
für mich. Fr muß die Liebe und den Haß malen, wenn alle die
Wirkung der Triebe empfinden sollen. Es gibt keine Kunst für
Stände und Klassen. Die Kunst gehört tatsächlich dem ganzen
Volke, wenn das ganze Volk der Kamst gehört. Das heißt, wenn
jeder in der Kunst nicht seine Erfahrungen oder Erlebnisse sucht,
sondern das allgemein Menschliche. Das allgemein Menschliche
aber ist das Gefühl, In uns lebt weder Salome noch die Madonna
noch der Gardasee oder der Grunewald. In uns lebt die Sehnsucht
und der Wunsch nach Schönheit.
Was ist Schönheit?
Was ist die Schönheit des Bildes?
Die Schönheit des Bildes ist die Verbindung der Farben und
Formen, färben und Formen sind schön verbunden, wenn sie für
das Auge eine geschlossene Wirkung geben, wenn Farben und
Formen in einem inneren Verhältnis zu einander stehen. Alles Or-
ganische ist schön. Ein Ochse ist ebenso schön wie eine Nachtigal.
Nur muß der Ochse nur Ochse sein wollen und die Nachtigal nur'
Nachtigal. Und das Bild nur Bild.
Die Malerei der letzten Jahrzehnte wurde Impressionismus
genannt. Sie wollte den Eindruck von außen geben. Oder wie ein
Theoretiker es nannte: einen Ausschnitt aus der Natur, gesehen
durch das Temperament. Also nicht einmal die Natur, sondern nur
einen Ausschnitt. Wir sehen nun aber nicht mit dem Temperament,
sondern mit den Augen. Und wenn wir nicht das Temperament des
betreffenden Künstlers haben, schneidet er uns die Natur gerade
da aus, wo sie uns zu gefallen anfängt. Da ist die Photographie
viel zuverlässiger, sie sieht viel ehrlicher mit ihrer Linse, und wir
können uns den Apparat dorthin stellen, wo uns die Natur gefällt.
Wir verbinden mit dem Photo unsere Erinnerung und sind befrie-
digt. Nur ist damit kein Kunstwerk geschaffen, auch nicht, wenn
es mit Oelfarbe ange'strichen wird. Die Natur, das heißt die Nach-
ahmung dessen, was wir zu sehen glauben, hat nichts mit der Kunst
zu tun. Man muß doch nicht die Namen der Blumen kennen, um
einen Garten schön zu empfinden. Man muß auch nicht die Gegen-
stände erkennen können, um ein Bild schön zu empfinden. Man
freut sich über den Sonnenuntergang, weil man die Schönheit der
Farben bewundert. Oder freut man sich etwa darüber, daß die
Sonne untergeht? Oder ist der Himmel natürlicher, wenn er be-
wölkt ist? Am Himmel der Kunst strahlen seltene Farben. Wozu
 
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