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Sturm (Berlin)
Gesamtschau Expressionisten - Gemälde/Bildwerke, Aquarelle/Zeichnungen: Juli/August 1919, erste Ausstellung Berlin-Osten : auf Einladung der "Freien Jugend" Berlin O — Berlin: Der Sturm, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.74472#0008
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braucht man einen Strich, den der Himmel nicht einmal hat, um
diese Schönheit der Farben zu bewundern. Dieser Strich, diese
Linie hat nur dann einen Sinn für das Bild, wenn durch sie die
Farben verbunden oder getrennt werden. Das Bild ist die Schön-
heit der Fläche. Das Bild ist, wie jedes Kunstwerk, ein Ganzes,
ein Unteilbares. Es hat keinen Vordergrund und keinen Hintergrund.
Das Bild ist also auch nicht körperlich und nicht perspektivisch.
Das sind Vortäuschungen. Weder Vortäuschung noch Nachahmung
können aber Sinn der Kunst sein.
Das Bild muß des Bildes wegen gesehen werden.
Wir empfinden Musik, aber können sie nicht verstehen. Sie
bewegt uns, sie zwingt uns, aber sie sagt nichts aus, sie erzählt
uns nichts.
Nur so ist auch die Malerei zu „verstehen". Wir haben in der
Welt der Tatsachen nie diese Töne gehört, diese Verbindung der
Töne. Warum müssen wir die Verbindung der Farben und Formen
gesehen haben, damit wir bewegt oder gezwungen werden. So
fühlen die Künstler, die den Ausdruck, die Expression, statt des
Eindrucks, der Impression, geben.
Die Gegner der Kunst behaupten, daß alle Künstler dasselbe
wollten. Sie wollten es wohl, versuchten es aber mit kunstfremden
Mitteln. Gewiß, jede Kunst begann einmal mit der Nachahmung,
nur daß die Naturalisten vergangener Jahrhunderte künstlerischer
nachahmten. Sie bildeten nämlich das nach, was sie wirklich sahen,
und nicht das, was sie wußten. Das Ziel jedes Künstlers aber ist
Vereinfachung und Verinnerlichung. Mit anderen Worten: Das
Nachgeahmte, also das Gegenständliche in der Malerei, ist nicht
Zweck, sondern Mittel. Es ist aber nicht das einzige Mittel. Und
die Künstler früherer Zeiten, die wirklich Künstler waren, haben
das Gegenständliche nie des Gegenständlichen wegen gemalt. Es
war für sie nur ein Element dessen, was man eben Bild nennt.
Und es hat große Künstler gegeben, deren Namen nie bekannt und
genannt wurden, und die bedeutendere Bilder schufen, als berühmte
Kunstmaler. Die sogenannte Volkskunst ist weitaus bildhafter als
das meiste, was die Museen als Bilder zeigen. Die oberbayerischen
Bauernmaler etwa haben mit ihren Glasbildern, die Neger mit ihren
Plastiken Kunstwerke geschaffen. Das Volk und das Kind sieht.
Der Gebildete sieht nur noch das Ideal, das nicht zu sehen ist. Sein
Ideal ist seine Erfahrung. Die Kunst hat kein Ideal. Die Kunst ist.
Herwarih Waiden

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