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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 10.1919-1920

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Fünftes Heft
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Schwitters, Kurt: Ein solider Artikel
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https://doi.org/10.11588/diglit.37115#0083
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kämpfe.) Das Wort Merz ist aber un-
solide, ist reiner Zufall. (Junges Mäd-
chen total automatisch.) (Ob er auch
gesund ist?)
Ich: Das Wort entstand im streng organi-
schen Schaffensprozeß der Kunst. (Na-
tionales Kreisschwimmfest.)
Der solide Doktor: Warum schreiben
Sie das Wort nicht selbst? Ich schreibe
doch meine soliden Artikel auch selbst.
(Mir können Sie sogar noch schwieri-
gere Aufgaben stellen.) (Ob er mich
liebt?) Und stehe doch nicht im orga-
nischen Zusammenhang mit der Kunst
(weil einfach die Preise nicht festzustel-
len waren).
Ich: Quer durch Neukölln (Gelb steht mir
nicht).
Der Doktor: Ich sage einfach: ,,So und so
und so macht man Kunst, und wer das
nicht so und so und so macht, drückt
einfach nichts Empfundenes aus." (Die
Ostmark ist in höchster Gefahr.) Sie
verzeihen wohl meine vielen Fragen, ich
sammle nämlich Brocken, (Riesenidiot)
weil ich sonst nicht weiß, was ich
schreiben soll. (Nieder mit dem pour-
quoi, hoch warum.) Mir liegt eben eine
solide Brockensammlung mehr, als eine
Kritik. (Ein ausgeruhtes Köpfchen.)
(Blaue Maus.) Und wenn ich diese
Brocken dann feierlich rahme, und wenn
ich diese Brocken dann feierlich rahme,
(Ein unbegreiflich soliderKlebstoff.) dann
dann brauche ich nur noch: ,,Auch eine
Kunstausstellung" darüber zu schreiben,
(Süßer und saurer Kitsch.) dann habe ich
einen soliden Artikel für die Neue Ber-
liner. Sehen Sie, Stiefelschmiere kann
ich nicht fabrizieren. (Du auch nicht.)
ich wüßte auch nicht, woher ich einen
solidenNamen dafür nehmen sollte. (Ber-
liner Boxkämpfe.) Kritiken kann ich
nicht schreiben, der Effekt wäre die
Leistung eines unverhältnismäßig an-
ständigen Oberlehrers mit untauglichen
Mitteln. (Vollblut.) Darum schreibe ich
solideArtikel. (Storch zahlt gutePreise.)
(Wir wollen Ernst machen.) Sehen Sie,
eine Kritik ist ein Wagnis. Mir liegt
aber eben eine Silberbleiregatta nicht.
Ich wage solide Artikel. (Fordern Sie
Prospekte.) Ich zetere Mauerblümchen.

(Lesen Sie den Sturm.) Leben Sie die
Zeitschrift Der Sturm? (Regenwurm
zetert.) (Das Heiligste ist bedroht.)
(Das Heiligste ist bedroht.) Aber sonst
Thema unbequem. (Das Heiligste ist be-
droht.) Wissen Sie, über Titel lassen sich
so feine Artikel schreiben, solide Ar-
tikel. (Artefacte.) Wo ist der Zusammen-
hang zwischen Ihren Bildern und mei-
nen Artikeln? (Der Meisterboxer von
Deutschland als Hundeschlächter.) Wo
ist der Zusammenhang zwischen Ihren
Bildern und meinen Artikeln?
Ich: Sehr. Lieber Herr, sehr. Du Deine:
Dich Dir. Ich habe Sie so gern. (Werde
mein!) Und muß Ihnen Kummer berei-
ten!
Der Doktor: Wo sind die Zusammen-
hänge? (Amorsäle.)
Ich: Sehr. Zusammenhänge sind schwer.
Es tut mir so sehr. Ihretwegen sehr.
(Herausforderungskampf Cohn-Wiener—
Anna Blume, Anfang 8 Uhr.) Der Titel
ist ein Schutzwall. (Morgen kommt mein
Schatz.) Solide Oberlehrer können nicht
darüber hinwegsehen. (Boxmeisterschait
von Europa.) Ein Kritiker aber über-
steigt den Wall und sieht, was dahinter
ist. (Mauerblümchen.) (Ob er weiß, wit
ich ihn liebe?) Vor dem Wall ist Wind,
hinter dem Wall ist Sturm. (Neuzeit-
liche Siedelung.) Ich würde Ihnen dar-
um raten, bleiben Sie, du lieber Doktor,
lieber Herr Doktor, Lieber lieber Vor
vor dem Wall wall. (Anna Blume hat
ein Vogel vogel.) (Ob ich ihm so ge-
falle?)
Hochachtungsvoll
Kurt Schwitters

Inhalt
Lothar Schreyer: Die neue Kunst
Wilhelm Schllchtkrull: Gedichte
Kurt Schwitters: An Anna Blume
Kurt Liebmann: Glühdirne Nacht marialicht
Empfängnis Gott
Rudolf Blümner: Auch ein Kunstkritiker
Kurt Schwitters: Ein solider Artikel
Johannes Molzahn: Drei Zeichnungen
Marc Chagall: Kleinstadt / Fünffarbendruck
August 1919

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