kommt es nicht darauf an, die Berühmtheit
eines Namens zu beseitigen, um einen
andern Namen berühmt zu machen. Es
kommt aber darauf an, die unmittelbare
Erkenntnis vom Wesen der Kunst zu fördern.
Wenn hier also ausschliesslich von Be-
rühmtheiten gesprochen werden muss, so
handelt es sich nicht darum, Buhm zu
nehmen. Es werden diese Beispiele ge-
nommen, weil die Werke dieser Grössen
jedem zugänglich sind und jeder nach-
prüfen kann und mag, dass nicht nur
meine bösen Beispiele gute Spiele verderben.
Aufgabe dieser Kritik ist es, das Erkenntnis
vom Wesen der Kunst so zu fördern, dass
der Einzelne ein Kunstwerk erkennt, auch
wenn ein Name oder kein Name einer be-
rühmten Persönlichkeit darüber oder da-
runter steht. Es liegt nichts daran, dass
nach der Erkenntnis meiner Arbeit man
Heinricffvon Kleist, Henrik Ibsen und Lud-
wig Anzengruber für berühmter hält als
Goethe, Schiller und Heinrich Heine. Auch
sie sollen nur Beispiele sein. Denn alle
guten Spiele sind namenlos.
III
Goethe gilt als der grosse deutsche Lyriker.
Das liberale Bürgertum erkennt ausser ihm
noch Heinrich Heine an. Nun muss ge-
sagt und es soll nachgewiesen werden,
dass beide keine Lyriker sind. Goethe hat,
etwa wie in der Malerei Rembrandt, eine
solche Namensautorität, dass die Kenner
Goethe nicht nach der Kunst, sondern die
Kunst nach Goethe werten. Der Beweis
für die Künstlerschaft Goethes wird da-
durch erbracht, dass man Goethe für den
grössten Denker und den grössten Menschen
erklärt. Der Begriff des grossen Menschen
ist dem Begriff der Persönlichkeit gleich-
zustellen. Was man bei Goethe etwa da-
runter versteht, das Freisein von nationaler
oder religiöser Beschränkung, ist eine so
selbstverständliche Voraussetzung jeder
geistigen Tätigkeit, dass man dafür unmög-
lich den Begriff der Grösse ansetzen kann.
Nun ist aber Goethe kein grosser Denker
gewesen. Er war ein grosser Nachdenker,
wenn man will. Ein Eklektiker. Goethe
sagt von sich selbst, dass seine Methode
stets eine zergliedernde untersuchende und
nicht eine ordnende gestaltende gewesen ist.
Aus analytischer Erkenntnis heraus ist nie
ein Kunstwerk entstanden. Aus der Analyse
kann man nur ein Kunstwerk erkennen.
Goethe war zweifellos ein guter Analytiker.
Deshalb decken sich seine Auffassungen über
Kunst, Dichtung und Theater noch heute
mit unserer absoluten Auffassung der Kunst.
Kunst erkennen heisst aber nicht Kunst
schaffen. Goethe selbst hat zur grössten
Verwunderung seiner Verehrer seine eigne
Künstlerschaft nicht anerkannt. Er war
viel zu sehr nachdenklich, bedenklich, an-
regend und angeregt, um Künstler sein zu
können. Er schrieb nicht, er beschrieb.
Er stellte Eindrücke fest. Eindrücke von
der Natur, von Reisen, von Menschen, von
griechischer und orientalischer Kunst. In
seinen Dramen deutet er Sagen und Ge-
schichte und Gedanken Kants menschlich
aus. Dramen sind für ihn erläuternde
Beispiele seiner Weltanschauung eines ge-
niesserischen freigeistigen Weltbürgertums.
Seine Gedichte sind Beschreibungen per-
sönlicher und erotischer Erlebnisse. Sie
sind nie unmittelbar, haben also nur ein
mittelbares unkünstlerisches Interesse für
die, die sich aus irgend einem Grunde für
irgend einen Menschen interessieren. Seit
Jahrhunderten wird das Gehirn derMenschen
darauf geschult, nachzudenken statt zu
denken. Die Menschen werden geübt, Ge-
dachtes aufzunehmen und zwar mit dem
Gedächtnis, statt sich Gedanken zu machen.
Diese Gedanken gelten als absolute Wahr-
heiten und deshalb tritt jeder für die ab-
solute Wahrheit ein, die er gerade gelernt
hat. Wenn es überhaupt eine Relativität
gibt, so ist es die Relativität der Gedanken.
Jedes Denken ist nun relativ. Denn das
Positive eines Gedankens setzt sein Nega-
tives voraus oder das Negative sein Posi-
tives. Deshalb kann ein absolutes Denken
nur dialektisch ausgedrückt werden. Die
Dialektik ist höchst unbequem für die, die
sich auf absolute Wahrheiten beschränken
wollen. Die absolute Wahrheit ist bequem,
aber stets unrichtig. Sie beschränkt sich
auf einen willkürlich gewählten Teil eines
Gedankens und schliesst selbstherrlich
seinen Gegenteil aus. Die begriffsmässige
Logik scheidet also schon für das absolute
Denken aus. Was kann die Kunst als Ge-
staltung unmittelbaren Fühlens mit Gedanken
oder gar mit verstandesmässiger Logik zu
tun haben. Jede Beschreibung ist eine
99
eines Namens zu beseitigen, um einen
andern Namen berühmt zu machen. Es
kommt aber darauf an, die unmittelbare
Erkenntnis vom Wesen der Kunst zu fördern.
Wenn hier also ausschliesslich von Be-
rühmtheiten gesprochen werden muss, so
handelt es sich nicht darum, Buhm zu
nehmen. Es werden diese Beispiele ge-
nommen, weil die Werke dieser Grössen
jedem zugänglich sind und jeder nach-
prüfen kann und mag, dass nicht nur
meine bösen Beispiele gute Spiele verderben.
Aufgabe dieser Kritik ist es, das Erkenntnis
vom Wesen der Kunst so zu fördern, dass
der Einzelne ein Kunstwerk erkennt, auch
wenn ein Name oder kein Name einer be-
rühmten Persönlichkeit darüber oder da-
runter steht. Es liegt nichts daran, dass
nach der Erkenntnis meiner Arbeit man
Heinricffvon Kleist, Henrik Ibsen und Lud-
wig Anzengruber für berühmter hält als
Goethe, Schiller und Heinrich Heine. Auch
sie sollen nur Beispiele sein. Denn alle
guten Spiele sind namenlos.
III
Goethe gilt als der grosse deutsche Lyriker.
Das liberale Bürgertum erkennt ausser ihm
noch Heinrich Heine an. Nun muss ge-
sagt und es soll nachgewiesen werden,
dass beide keine Lyriker sind. Goethe hat,
etwa wie in der Malerei Rembrandt, eine
solche Namensautorität, dass die Kenner
Goethe nicht nach der Kunst, sondern die
Kunst nach Goethe werten. Der Beweis
für die Künstlerschaft Goethes wird da-
durch erbracht, dass man Goethe für den
grössten Denker und den grössten Menschen
erklärt. Der Begriff des grossen Menschen
ist dem Begriff der Persönlichkeit gleich-
zustellen. Was man bei Goethe etwa da-
runter versteht, das Freisein von nationaler
oder religiöser Beschränkung, ist eine so
selbstverständliche Voraussetzung jeder
geistigen Tätigkeit, dass man dafür unmög-
lich den Begriff der Grösse ansetzen kann.
Nun ist aber Goethe kein grosser Denker
gewesen. Er war ein grosser Nachdenker,
wenn man will. Ein Eklektiker. Goethe
sagt von sich selbst, dass seine Methode
stets eine zergliedernde untersuchende und
nicht eine ordnende gestaltende gewesen ist.
Aus analytischer Erkenntnis heraus ist nie
ein Kunstwerk entstanden. Aus der Analyse
kann man nur ein Kunstwerk erkennen.
Goethe war zweifellos ein guter Analytiker.
Deshalb decken sich seine Auffassungen über
Kunst, Dichtung und Theater noch heute
mit unserer absoluten Auffassung der Kunst.
Kunst erkennen heisst aber nicht Kunst
schaffen. Goethe selbst hat zur grössten
Verwunderung seiner Verehrer seine eigne
Künstlerschaft nicht anerkannt. Er war
viel zu sehr nachdenklich, bedenklich, an-
regend und angeregt, um Künstler sein zu
können. Er schrieb nicht, er beschrieb.
Er stellte Eindrücke fest. Eindrücke von
der Natur, von Reisen, von Menschen, von
griechischer und orientalischer Kunst. In
seinen Dramen deutet er Sagen und Ge-
schichte und Gedanken Kants menschlich
aus. Dramen sind für ihn erläuternde
Beispiele seiner Weltanschauung eines ge-
niesserischen freigeistigen Weltbürgertums.
Seine Gedichte sind Beschreibungen per-
sönlicher und erotischer Erlebnisse. Sie
sind nie unmittelbar, haben also nur ein
mittelbares unkünstlerisches Interesse für
die, die sich aus irgend einem Grunde für
irgend einen Menschen interessieren. Seit
Jahrhunderten wird das Gehirn derMenschen
darauf geschult, nachzudenken statt zu
denken. Die Menschen werden geübt, Ge-
dachtes aufzunehmen und zwar mit dem
Gedächtnis, statt sich Gedanken zu machen.
Diese Gedanken gelten als absolute Wahr-
heiten und deshalb tritt jeder für die ab-
solute Wahrheit ein, die er gerade gelernt
hat. Wenn es überhaupt eine Relativität
gibt, so ist es die Relativität der Gedanken.
Jedes Denken ist nun relativ. Denn das
Positive eines Gedankens setzt sein Nega-
tives voraus oder das Negative sein Posi-
tives. Deshalb kann ein absolutes Denken
nur dialektisch ausgedrückt werden. Die
Dialektik ist höchst unbequem für die, die
sich auf absolute Wahrheiten beschränken
wollen. Die absolute Wahrheit ist bequem,
aber stets unrichtig. Sie beschränkt sich
auf einen willkürlich gewählten Teil eines
Gedankens und schliesst selbstherrlich
seinen Gegenteil aus. Die begriffsmässige
Logik scheidet also schon für das absolute
Denken aus. Was kann die Kunst als Ge-
staltung unmittelbaren Fühlens mit Gedanken
oder gar mit verstandesmässiger Logik zu
tun haben. Jede Beschreibung ist eine
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