Was ist der Sturm
L. H. Neitzel
Yul
d320
Prospekte antworten: Ein Verlag — Eine Monatsschrift — Eine
Kunstausstellung — Eine Gruppe von Künstlern — Eine mo-
derne Kunstschule — und noch viel mehr. Doch ist man gewohnt,
aus Prospekten wenig wesentliches zu erfahren.
Kritiker antworten: Bunthäutige Tölpel — Neger im Frack] —
Hottentotten im Oberhemd — Aesthetische Gigerl — Galerie eines
Irrenhauses — Horde farbenspritzender Brüllaffen — das heißt:
die Kritiker, die nichts wesentliches sagen können und die man
besser Kunstreporter nennt. Denn:
Kritiker antworten: Es hat etwas Ueberwältigendes, überall Kämpfer
und Vertreter der neuen Prinzipien am Werke zu sehen . ...
daß die Kräfte, die hier an der Arbeit sind, bestimmt sind, An-
regung und Ausgang für die Wege zu geben, die die Kunst der
Zukunft einst gehen wird . . . Diese „Jüngsten" sind keine Re-
volutionäre; gereift und abgeklärt, aber reichlich exzentrisch sind
die meisten.
Vertreter der neuen Prinzipien — Anregungen für Kunst der Zu-
kunft — damit kommen wir dem Wesen des Sturms etwas näher.
Doch sind diese Deutungen viel zu weit oder viel zu eng. Etwas
Lebendiges läßt sich auch nicht in einem kurzen Satze klar ein-
schließen. Das ist das seltsame Verhängnis: Glaubt man mit
einer Aussage ein Wesen in seinen eindeutigen Ausdruck ge-
zwängt zu haben, so liegt eine tote Formel da. Die gerade Linie
verfehlt das Ziel. Drum ist die Umschreibung der kürzere Weg,
da sie Sinn und Wesen lebendig erhalten kann.
So sei der Sturm zuerst ein Herz, worin das ungebrochene Leben
stürmisch schlägt. Ein Herz, aus dessen Kammern und Vorhöfen
wundervolle Reichtümer an Kunstbegeisterung und heiterem
Schaffen leuchten. Ein Herz und viele Menschen. Viele Künstler
und ein Körper, wo man an allen Gliedern und in jedem Teile
den gleichen Pulsschlag fühlt — bald deutlich, bald schwächer.
Dann — und vor allem — ist der Sturm ein Glaube. Der
L. H. Neitzel
Yul
d320
Prospekte antworten: Ein Verlag — Eine Monatsschrift — Eine
Kunstausstellung — Eine Gruppe von Künstlern — Eine mo-
derne Kunstschule — und noch viel mehr. Doch ist man gewohnt,
aus Prospekten wenig wesentliches zu erfahren.
Kritiker antworten: Bunthäutige Tölpel — Neger im Frack] —
Hottentotten im Oberhemd — Aesthetische Gigerl — Galerie eines
Irrenhauses — Horde farbenspritzender Brüllaffen — das heißt:
die Kritiker, die nichts wesentliches sagen können und die man
besser Kunstreporter nennt. Denn:
Kritiker antworten: Es hat etwas Ueberwältigendes, überall Kämpfer
und Vertreter der neuen Prinzipien am Werke zu sehen . ...
daß die Kräfte, die hier an der Arbeit sind, bestimmt sind, An-
regung und Ausgang für die Wege zu geben, die die Kunst der
Zukunft einst gehen wird . . . Diese „Jüngsten" sind keine Re-
volutionäre; gereift und abgeklärt, aber reichlich exzentrisch sind
die meisten.
Vertreter der neuen Prinzipien — Anregungen für Kunst der Zu-
kunft — damit kommen wir dem Wesen des Sturms etwas näher.
Doch sind diese Deutungen viel zu weit oder viel zu eng. Etwas
Lebendiges läßt sich auch nicht in einem kurzen Satze klar ein-
schließen. Das ist das seltsame Verhängnis: Glaubt man mit
einer Aussage ein Wesen in seinen eindeutigen Ausdruck ge-
zwängt zu haben, so liegt eine tote Formel da. Die gerade Linie
verfehlt das Ziel. Drum ist die Umschreibung der kürzere Weg,
da sie Sinn und Wesen lebendig erhalten kann.
So sei der Sturm zuerst ein Herz, worin das ungebrochene Leben
stürmisch schlägt. Ein Herz, aus dessen Kammern und Vorhöfen
wundervolle Reichtümer an Kunstbegeisterung und heiterem
Schaffen leuchten. Ein Herz und viele Menschen. Viele Künstler
und ein Körper, wo man an allen Gliedern und in jedem Teile
den gleichen Pulsschlag fühlt — bald deutlich, bald schwächer.
Dann — und vor allem — ist der Sturm ein Glaube. Der