wann Walden spricht und wann die Seele
schreit. Wirklich, es ist sehr schwer mit
dem Expressionismus. Immer, wenn man
an dem einen Ende zerrt, hat man sich am
falschen Ende vergriffen. Und da soll ein
anderer noch Kritiken darüber schreiben.
Wo man sich nicht mehr auskennt, wie
man noch weiter südlich sagt. O abend-
ländische Seele. Da bleibt nur übrig,
den Leib daranzusetzen und in dem Geist
der Unendlichkeit zu Schwiemeln. Der
Bruder Hoffmann lässt alle Hoffnung
schwimmen: „Walden versetzt dem sterben-
den Löwen der abendländischen Kultur
seine Fusstritte.“ Nein, Bruder Hoffmann,
ruhe sanft, aber es war nur ein Löwen feil
darüber. Darunter ist höchstens der be-
kannte Schreiner, der fachgemäss alles
vermöbelt sieht. „Wie leicht und billig,
Herr Walden.“ Aber, Herr Hoffmann,
warum haben Sie es mir so leicht und
billig gemacht, wo doch die Preise steigen!
*
Und abermals geht der Stern des Herrn
Hoffmann unter und er wird historisch:
„Boccaccio liegt glücklicherweise ein biss-
chen weit vom Albert-Theater begraben.
Sonst müsste er sich noch im Grabe um-
drehen. Aber so ist man sicher, sicher
vor italienischem leidenschaftlichem Lachen
und vor jenem Renaissancehauch, der diese
Mache in expressioniertem Jugendstil in die
Lüfte wehen würde. Also man machte Die
vier Toten der Fiametta.“ Das kommt nun
wieder von der Bildung. Boccaccio hatte
das Glück, etwa zwei Jahrhunderte vor der
Renaissance zu leben. Er hätte bei per-
sönlicher Mitwirkung nicht einmal jenen
Hauch verspüren lassen können, der dem
Doktor Hoffmann schon bei dem Wort
RenaissanceumdieOhrenweht. Renaissance.
Wiedergeburt. Man fühlt sich wieder-
geboren. Trotzdem man glücklicherweise
nahe vom Albert-Theater begraben werden
wird. Aber auch Doktor Hoffmann hat
Glück. Denn die Novelle „Die vier Toten
der Fiametta“ ist wiederum zwei Jahr-
hunderte eher geschrieben,, bevor Boccaccio
geboren wurde. Das braucht ein Journalist
nicht zu wissen. Warum macht er aber
William Wauer für diese Novelle verant-
wortlich, aus der er ohne jede Aenderung
eine Pantomime gestaltet hat. Der Doktor
Hoffmann redet sich aus der Geschichte
mit Raummangel heraus: „Wir müssen
uns wegen Raummangels versagen, dieses
Dokument der Zeit abzudrucken und es
unseren Lesern zum Besten zu geben.
Entweder man lacht oder man schläft
dabei ein.“ Da hat Dich aber die Zeit
schön zum besten gehabt, Bruder Hoff-
mann! Das elfte Jahrhundert war höchst
anständig. Ohne Wedekind und Stern-
heim. Alles eitel Seele. Nicht einmal
Opern hat es zu dieser Zeit gegeben.
Das kommt davon, wenn man schläft. Man
lacht. Wie jener Mann, den man fragte,
wie ihm die Iphigenie gefallen habe. Wo-
rauf er antwortete: „Nun, man lacht!“ Da
haben wir den italienischen Salat. All-
mählich finde ich das Zitat „Quatsch keine
Opern“ rechtsinnig. Jedenfalls schläft man
nicht dabei ein. Man lacht. Merkst Du,
Bruder Hoffmann, dass es komisch wird?
Dass man Dich nun nicht mehr so ernst
nehmen wird, wie ich es nicht sein möchte?
Bruder Hoffmann, was hat man Dir, Du
armes Kind getan? Ganz ausgelaugt bist
Du schon. Frische Gräber hopsen vergnügt
über sein Laster, dass der Tugend sogar
wieder gut zu Mute wird. Das hättest Du
Dir nicht antun sollen, Bruder Hoffmann!
Du siehst, man kann sogar über Quatsch
stolpern, auch wenn die Musik dazu nur
von Herwarth Walden ist. Ganz aus Deiner
Rolle herausgefallen bist Du, mit zwei
Sternen und ohne Heim. Selbst ein Wede-
kind kann Dich nicht mehr retten. Aus
ist es, sterbender Löwe. Eine Wirkung,
die mir das Herz umwenden könnte, wenn
Du mir nicht die abendländische Seele ab-
gesprochen hättest und Boccaccio glück-
licherweise ein bischen weit vom Albert-
Theater begraben liegt. Lieber Bruder
Hoffmann, mach bloss nichts Geistiges da-
raus. Quatsch keine Opern. Denn wenn
ich die Trompeten blasen lasse, hat kein
Mann mehr etwas zu hoffen, auch wenn
er Doktor und Theaterkritiker der Dresdner
Neuesten Nachrichten ist.
Ruhe sanft über Deinem dritten Stern.
*
Im Dresdner Anzeiger beschwert sich ein
Herr Friedrich Kummer über das Drama
„Trieb“. Herr Kummer vermisst die eigen-
willig gestaltende Hand, die Kühnheiten
1 8
schreit. Wirklich, es ist sehr schwer mit
dem Expressionismus. Immer, wenn man
an dem einen Ende zerrt, hat man sich am
falschen Ende vergriffen. Und da soll ein
anderer noch Kritiken darüber schreiben.
Wo man sich nicht mehr auskennt, wie
man noch weiter südlich sagt. O abend-
ländische Seele. Da bleibt nur übrig,
den Leib daranzusetzen und in dem Geist
der Unendlichkeit zu Schwiemeln. Der
Bruder Hoffmann lässt alle Hoffnung
schwimmen: „Walden versetzt dem sterben-
den Löwen der abendländischen Kultur
seine Fusstritte.“ Nein, Bruder Hoffmann,
ruhe sanft, aber es war nur ein Löwen feil
darüber. Darunter ist höchstens der be-
kannte Schreiner, der fachgemäss alles
vermöbelt sieht. „Wie leicht und billig,
Herr Walden.“ Aber, Herr Hoffmann,
warum haben Sie es mir so leicht und
billig gemacht, wo doch die Preise steigen!
*
Und abermals geht der Stern des Herrn
Hoffmann unter und er wird historisch:
„Boccaccio liegt glücklicherweise ein biss-
chen weit vom Albert-Theater begraben.
Sonst müsste er sich noch im Grabe um-
drehen. Aber so ist man sicher, sicher
vor italienischem leidenschaftlichem Lachen
und vor jenem Renaissancehauch, der diese
Mache in expressioniertem Jugendstil in die
Lüfte wehen würde. Also man machte Die
vier Toten der Fiametta.“ Das kommt nun
wieder von der Bildung. Boccaccio hatte
das Glück, etwa zwei Jahrhunderte vor der
Renaissance zu leben. Er hätte bei per-
sönlicher Mitwirkung nicht einmal jenen
Hauch verspüren lassen können, der dem
Doktor Hoffmann schon bei dem Wort
RenaissanceumdieOhrenweht. Renaissance.
Wiedergeburt. Man fühlt sich wieder-
geboren. Trotzdem man glücklicherweise
nahe vom Albert-Theater begraben werden
wird. Aber auch Doktor Hoffmann hat
Glück. Denn die Novelle „Die vier Toten
der Fiametta“ ist wiederum zwei Jahr-
hunderte eher geschrieben,, bevor Boccaccio
geboren wurde. Das braucht ein Journalist
nicht zu wissen. Warum macht er aber
William Wauer für diese Novelle verant-
wortlich, aus der er ohne jede Aenderung
eine Pantomime gestaltet hat. Der Doktor
Hoffmann redet sich aus der Geschichte
mit Raummangel heraus: „Wir müssen
uns wegen Raummangels versagen, dieses
Dokument der Zeit abzudrucken und es
unseren Lesern zum Besten zu geben.
Entweder man lacht oder man schläft
dabei ein.“ Da hat Dich aber die Zeit
schön zum besten gehabt, Bruder Hoff-
mann! Das elfte Jahrhundert war höchst
anständig. Ohne Wedekind und Stern-
heim. Alles eitel Seele. Nicht einmal
Opern hat es zu dieser Zeit gegeben.
Das kommt davon, wenn man schläft. Man
lacht. Wie jener Mann, den man fragte,
wie ihm die Iphigenie gefallen habe. Wo-
rauf er antwortete: „Nun, man lacht!“ Da
haben wir den italienischen Salat. All-
mählich finde ich das Zitat „Quatsch keine
Opern“ rechtsinnig. Jedenfalls schläft man
nicht dabei ein. Man lacht. Merkst Du,
Bruder Hoffmann, dass es komisch wird?
Dass man Dich nun nicht mehr so ernst
nehmen wird, wie ich es nicht sein möchte?
Bruder Hoffmann, was hat man Dir, Du
armes Kind getan? Ganz ausgelaugt bist
Du schon. Frische Gräber hopsen vergnügt
über sein Laster, dass der Tugend sogar
wieder gut zu Mute wird. Das hättest Du
Dir nicht antun sollen, Bruder Hoffmann!
Du siehst, man kann sogar über Quatsch
stolpern, auch wenn die Musik dazu nur
von Herwarth Walden ist. Ganz aus Deiner
Rolle herausgefallen bist Du, mit zwei
Sternen und ohne Heim. Selbst ein Wede-
kind kann Dich nicht mehr retten. Aus
ist es, sterbender Löwe. Eine Wirkung,
die mir das Herz umwenden könnte, wenn
Du mir nicht die abendländische Seele ab-
gesprochen hättest und Boccaccio glück-
licherweise ein bischen weit vom Albert-
Theater begraben liegt. Lieber Bruder
Hoffmann, mach bloss nichts Geistiges da-
raus. Quatsch keine Opern. Denn wenn
ich die Trompeten blasen lasse, hat kein
Mann mehr etwas zu hoffen, auch wenn
er Doktor und Theaterkritiker der Dresdner
Neuesten Nachrichten ist.
Ruhe sanft über Deinem dritten Stern.
*
Im Dresdner Anzeiger beschwert sich ein
Herr Friedrich Kummer über das Drama
„Trieb“. Herr Kummer vermisst die eigen-
willig gestaltende Hand, die Kühnheiten
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