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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Fünftes Heft
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Walden, Herwarth: Unter den Sinnen: Dichtung zwischen Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0109
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DER STURM
MONATSSCHRIFT / HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN

Unter den Sinnen
Dichtung zwischen Menschen
Herwarth Walden
Was soll aus unseren Töchtern werden.
Du machst Dir immer Sorgen. Alles wird
sich finden.
Niemand wird sich finden. Heute wollen
die Männer Geld.
Warum die Mütter sich das ganze Leben
vergrämen. Deine Kinder werden es Dir
nicht danken.
Anna braucht ein neues Kleid. Wo soll
ich das Geld hernehmen.
Schliesslich kommt alles darauf hinaus,
dass ich zahlen soll.
Ich kann das Geld doch nicht zusammen-
stehlen. Mädchen in diesem Alter brauchen
eben mehr.
Du verwöhnst sie eben.
Es ist eine Schande, wie die Mädchen
herumlaufen. In keine Gesellschaft trauen
sie sich mehr. Wo sollen Herren sie kennen
lernen.
In unserem Hause, wie es sich gehört.
Wer verkehrt denn bei uns. Deine paar
alten ehemaligen Regimentskameraden.
Du solltest mit etwas mehr Achtung über
meine Freunde sprechen.
Du bist ja so grenzenlos dumm. Du hast
niemals das Leben verstanden. Ich gehe
in ein Sanatorium. Ich halte es nicht mehr
aus. Und gelernt haben die Mädchen
auch nichts, dass sie wenigstens selbst ihr
Geld verdienen könnten, da Du es nicht
hast.
Meine Töchter brauchen nichts verdienen.
Das verbietet mein Stolz. Du willst sie wo-
möglich in ein Geschäft stecken, damit sie
liederlich werden. Töchter gehören in die
Familie.

Ich kann sie nicht mehr bewachen. Mir
gehorcht keine. Ich werde verrückt. Ich
halte es nicht mehr aus.
Warum traust Du den Mädchen immer
Böses zu. Sie wissen, was sie ihrer Familie
schuldig sind.
Den ganzen Nachmittag sind sie schon fort.
Alle vier. Nicht einmal zum Abendbrot
können sie da sein.
Mahlzeit.
Gehst Du aus?
Heut ist Mittwoch, meine einzige Erholung
in der Woche.
Du tust überhaupt weiter nichts als Dich
erholen.
Unerhört. Willst Du mir mein Unglück
vorwerfen.
Zehn Jahre lebst Du schon auf Dein Un-
glück. Und lässt Deine Familie von den
paar lumpigen Zinsen leben. Such Dir
endlich etwas Einträgliches. So alt bist Du
doch schliesslich nicht.
Es ist schon neun Uhr. Jeden Mittwoch
lasse ich die Kameraden warten. Ich bin
vor zwölf zurück.
Meinetwegen brauchst Du überhaupt nicht
mehr nach Haus zu kommen.
Komm, Anna, sei vernünftig und gib mir
einen Kuss
Scher Dich zum Teufel
Ist mein Mantel abgebürstet?
Ich bin nicht Dein Dienstmädchen
Eine schöne Wirtschaft in diesem Hause.
Ich lasse mir eben zuviel gefallen. Aber
ich sage Dir, nächstens werde ich einmal
gründlich durchgreifen.
Hier sind drei Rechnungen zu bezahlen.
Rechnungen, Rechnungen. Das ist das Ein-
zige, was ich zu hören bekomme
Das ist mein letzter Abend in Deinem Hause
Ich verbiete Dir hiermit, heute auszugehen.
Guten Abend.

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