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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Fünftes Heft
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Walden, Herwarth: Unter den Sinnen: Dichtung zwischen Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0110

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Ich möchte mich von allen Männern küssen
lassen.
Und mir versagst Du alles.
Du bist ein Junge
Ich bin so alt wie Du
Männer fangen erst mit fiinfunddreissig an
Da sind sie schon verlebt. Aber ich habe
Leidenschaft.
Du wirst mein Page
Ich habe Dich ganz unwirklich lieb. Hör
mal ernsthaft zu, Friedel, ich weiss im
Leben ganz genau Bescheid. In vier Jahren
bin ich mündig, dann bekomme ich mein
ganzes Geld ausgezahlt und wir können
uns sofort heiraten
Glaubst Du, dass ich auf Dich warten brauche
Du kennst das Leben garnicht, Friedel.
Ich will Dir nicht wehe tun, aber Ihr habt
doch kein Geld
Das ist eine Frechheit. Woher weisst Du das ?
Ich werde Dir wunderbare Kleider aus Bast-
seide kaufen. Bastseide muss Dir entzückend
stehen.
Ich mag Bastseide nicht
Ich kaufe Dir was Du willst. Ich gebe Dir
mein ganzes Geld und Du allein sollst
darüber bestimmen. Nicht einmal fragen
brauchst Du mich
Ich habe immer was ich will
Bei mir brauchst Du doch nicht stolz zu
sein, Friedel. Und wenn Dir vier Jahre
zu lang sind, ich habe einen Freund, der
mir jetzt schon Geld verschaffen kann.
Immer protzst Du mit Deinem Geld. Du
bist ein grässlich nüchterner Junge
Was soll ich Dir schenken
Einen Flügel
Was willst Du mit einem Flügel
Nun fragst Du schon genau wie Vater.
Wozu musst Du das wissen, wenn Du alles
schenken willst
Aber Deine Eltern werden sich doch wundern,
wenn plötzlich ein Flügel bei Euch an-
kommt.
Du musst nur dafür sorgen, dass er Mitt-
woch abend ankommt. Da geht Vater
kneipen und Mutter jedesmal zu ihren
Eltern, um nie wiederzukommen.
Ist Dein Vater so schlecht zu ihr
Mutter ist eine alte Schraube
Gott sei Dank, ich habe keine Eltern
Kannst Du denn machen was Du willst
Mein alter Pastor glaubt mir alles
Meine Eltern glauben mir nichts, aber ich

mache doch was ich will.
Dein Vater sieht sehr vornehm aus
Mutter ist zu ihrem Glück sehr dumm
Wenn ich Dich doch auf der Stelle heiraten
könnte
Ich habe Dir bereits tausend Mal gesagt,
dass ich Dich nie heiraten werde und über-
haupt keinen Mann
Du wirst auch einmal älter und dann musst
Du heiraten
Wie spät ist es?
Bekomme ich einen Kuss, wenn Du den
Flügel hast
Du bist genau so gemein wie alle
Ich liebe Dich unendlich
Ist das Schenken? Gute Nacht.
Kommst Du morgen wieder
Wenn ich Laune dazu habe
Also nächsten Mittwoch kommt der Flügel
Den andern Flügel lasse Dir wachsen, mein
Engel.
Friedel
Anna
Gehst Du jetzt erst nach Haus
Gut, dass ich Dich treffe
Hoffentlich sind die andern schon da
Mutter wird wohl schon für immer bei den
Grosseltern sein
Er hat heute seinen Doktor gemacht
Dann bist Du also bald erlöst
Wenn er nur Glück mit der Praxis hat. Er
ist zu bescheiden
Frauen gehen gern zu Ärzten
Ich würde es nie tun
Du bist eine richtige Tante
Wenn ich Deinen Mut hätte
Ich darf doch öfters bei Euch schlafen, wenn
ihr eine Wohnung habt
Ernst hat ein wunderbares Abzahlungsge-
schäft entdeckt. Für wenig Geld bekommt
er eine ganze Einrichtung gleich geliefert
Ich schenke Euch einen Flügel zur Hochzeit
Was Du immer für tolle Ideen hast. Erstens
hast Du kein Geld und zweitens spiele ich
nicht Klavier.
Ein Flügel macht sich immer gut im Warte-
zimmer
Wir müssen uns beeilen
Der Abend ist so schön. Hast Du Geld
Ich muss doch für die Wohnung sparen
Wenn Du mir etwas leihst, lade ich Dich
zu Eis ein.

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