brüllenden, schattenlosen Biegungen, Auf-
reckungen, Strahlen des Ich, des Du, des Wir
schütten Worte, Ur-Schreie, die letzte Ballungen
der Sprache, letztes Dichtmachen des Form-
Organismus bedeuten.
Die Worte zischen, peitschen, hacken, quadern,
tropfen mildes Sehnen, speien Gl ut, verdämmern,
sprühen Licht. Und haschen sich und halten
sich; und streicheln,umarmen, beissen, morden
sich: Der Tanz der Worte.
Der Werke Adern sind mit Intensität bis zum
Bersten gefüllt. Die Menschen dialogisieren
nicht. Werfen nicht Körper gegen Körper.
Seele gegen Seele. Letzt-zusammengepresster
Strahl ihrer erlösten Gestalt spielt sie gegen-
einander. Sie 'umkreisen sich nicht. Sind
nicht an die Periferie der Bühne fixiert. Sie
zücken und tanzen wie Schwerter. Zerhacken
einander. Stechen. Schwirren. Biegen. Fliegen.
Umeinen. Das Kraft-Spiel durchstösst mit
Flammen und Flämmchen den Raum. Raum
empfängt kubische Gestalt: Einfach. Alchimie.
AugeundKreis. Schleier. Strahl entschleiernder
Erlösung.
III
Körperlos wächst Spiel des Geschlechts.
Die Liebesgedichte „Du“ sind nicht erotische
Konfessionen: Günther, Goethe, Conradi, Lilien-
cron, Dehmel. Nicht Anbetungen der Madonna:
Novalis. Nicht ist das Geschlecht barbarisch-
brodelnd besungen: Whitman. Nicht bleckende
Verwesung: Skelett und Mors syphilitica: das
Weib Felicien Rops. — Von purpurn welt-
kreisenden Rhythmen gezogen sank Stramm
in die Tänze des Du, Qual und Lust eines
Liebesschicksals von allem Persönlichen ent-
schlackend.
Du ist nicht Leonore, Friederike, Charlotte
von Stein. Nicht Laura am Klavier. Nicht
Daphne, nicht Chloe, nicht Nymphe, nicht
Bacchantin, auch nicht pomphaft Venus
Excelsior, Venus Urania, Venus Heroica. —
Du ist das Geschlecht selbst, schwingt die
Kurve des tiefsten Wissens über die Liebe, die
wir in der Venus von Archipenko wiederfinden.
Trieb-Rhythmen kreisen und pulsen.
Die weiblichen Brüste rollen beherrschende
Kugeln über den Erd-Ball. Alles, was an Qual
und Feier, an Quellkraft und Vernichtung für
den männlichen Menschen in ihren Schächten
brennt, ist leidenschaftlich entmaterialisiert
gestaltet. Besinnungslos geschieht der Sturz
in Blutes Katarakt. Der Körper flammt. Die
Welt erlischt. Tanz des Ich — Du schwebt
zu Allheit. Wird All.
IV
Stramm löste nur das von sich ab, was er als
reinste Gestaltung des Gesichts erlebte und
litt. Er war sich der Gnade der Schau sehr
bewusst und arbeitete, kondensierte, machte
dicht, um seinem All-Erleben letzt-überzeitliche
Form zu hämmern. Er war Fanatiker ewiger
Kunst. Er krümmte sich in Kasteiung und
blutete vor Überwindung menschlicher Form.
Aber der Schrei des Martyriums verstummte
vor dem beseligten Tanz der Vision. Nicht
brach aus ihm Klage über schmerzvoll wütend
geführten Kampf mit der Materie. Er liess sich
nur glühend bezwingen von Flamme erfüllen-
der Gestaltung. Bezwungen zwang er den
Rhythmus. Gehorchend befahl er dem Wort.
Er sah den Anfang der Bewegung. Und wirbelnd
erlöst stürzte Bewegung in Schauer masslosen
Werks.
Kurt Liebmann
Aus der Zeit für die Zeiten
Wein
Durch die Zeitungen erfährt man, dass ein
Herr Alexander Moszkowski siebzig Jahr
alt geworden ist. Dieser Herr Moszkowski
soll allein sechzehntausend sogenannte
Witze für die so genannten Lustigen Blätter
verfasst haben. Das kann nicht nur der
geistige Herr Walter Rathenau fassen. Selbst
die engeren Kollegen geben Ehre, wer Witze
gebiert. Der ältere junge Mann von der
B. Z. am Mittag ernennt diesen Moszkowski
zu Alexander dem Vielseitigen, damit die
B. Z. am Abend ihn von Alexander dem
Grossen unterscheiden kann. Der ältere
junge Mann ist nicht in der Lage, die Ver-
dienste gebührend verrechnen zu können.
Er fordert für das werte Konto des Herrn
Moszkowski einen „gründlichen Kenner der
Philosophie“, einen „Meister der Musik und
der Musikgeschichte“, einen „Philologen“,
einen „Meister der Vortragskunst“ und einen
„Juristen“ für das meistgelesenste Buch der
Rechtswissenschaft, das der Siebzigjährige
einst ebenso ernst wie heiter „Stuss im Jus“
nannte. Solange in Deutschland noch solche
Männer siebzig Jahr alt werden, ist die
deutsche Tagespresse nicht verloren. Um
den vielbeschäftigten Lesern der B. Z. am
Mittag die Lektüre der Werke dieses Nestors
des Witzes zu ersparen, wird dem Jubilar
das Schlusswort erteilt. Zur ewigen Schande
dieser Zeitanhänger mit Einschluss des
Herrn Walter Rathenau und der beteiligten
deutschen Redakteure sei dieses Schluss-
wort hier wiedergegeben:
42
reckungen, Strahlen des Ich, des Du, des Wir
schütten Worte, Ur-Schreie, die letzte Ballungen
der Sprache, letztes Dichtmachen des Form-
Organismus bedeuten.
Die Worte zischen, peitschen, hacken, quadern,
tropfen mildes Sehnen, speien Gl ut, verdämmern,
sprühen Licht. Und haschen sich und halten
sich; und streicheln,umarmen, beissen, morden
sich: Der Tanz der Worte.
Der Werke Adern sind mit Intensität bis zum
Bersten gefüllt. Die Menschen dialogisieren
nicht. Werfen nicht Körper gegen Körper.
Seele gegen Seele. Letzt-zusammengepresster
Strahl ihrer erlösten Gestalt spielt sie gegen-
einander. Sie 'umkreisen sich nicht. Sind
nicht an die Periferie der Bühne fixiert. Sie
zücken und tanzen wie Schwerter. Zerhacken
einander. Stechen. Schwirren. Biegen. Fliegen.
Umeinen. Das Kraft-Spiel durchstösst mit
Flammen und Flämmchen den Raum. Raum
empfängt kubische Gestalt: Einfach. Alchimie.
AugeundKreis. Schleier. Strahl entschleiernder
Erlösung.
III
Körperlos wächst Spiel des Geschlechts.
Die Liebesgedichte „Du“ sind nicht erotische
Konfessionen: Günther, Goethe, Conradi, Lilien-
cron, Dehmel. Nicht Anbetungen der Madonna:
Novalis. Nicht ist das Geschlecht barbarisch-
brodelnd besungen: Whitman. Nicht bleckende
Verwesung: Skelett und Mors syphilitica: das
Weib Felicien Rops. — Von purpurn welt-
kreisenden Rhythmen gezogen sank Stramm
in die Tänze des Du, Qual und Lust eines
Liebesschicksals von allem Persönlichen ent-
schlackend.
Du ist nicht Leonore, Friederike, Charlotte
von Stein. Nicht Laura am Klavier. Nicht
Daphne, nicht Chloe, nicht Nymphe, nicht
Bacchantin, auch nicht pomphaft Venus
Excelsior, Venus Urania, Venus Heroica. —
Du ist das Geschlecht selbst, schwingt die
Kurve des tiefsten Wissens über die Liebe, die
wir in der Venus von Archipenko wiederfinden.
Trieb-Rhythmen kreisen und pulsen.
Die weiblichen Brüste rollen beherrschende
Kugeln über den Erd-Ball. Alles, was an Qual
und Feier, an Quellkraft und Vernichtung für
den männlichen Menschen in ihren Schächten
brennt, ist leidenschaftlich entmaterialisiert
gestaltet. Besinnungslos geschieht der Sturz
in Blutes Katarakt. Der Körper flammt. Die
Welt erlischt. Tanz des Ich — Du schwebt
zu Allheit. Wird All.
IV
Stramm löste nur das von sich ab, was er als
reinste Gestaltung des Gesichts erlebte und
litt. Er war sich der Gnade der Schau sehr
bewusst und arbeitete, kondensierte, machte
dicht, um seinem All-Erleben letzt-überzeitliche
Form zu hämmern. Er war Fanatiker ewiger
Kunst. Er krümmte sich in Kasteiung und
blutete vor Überwindung menschlicher Form.
Aber der Schrei des Martyriums verstummte
vor dem beseligten Tanz der Vision. Nicht
brach aus ihm Klage über schmerzvoll wütend
geführten Kampf mit der Materie. Er liess sich
nur glühend bezwingen von Flamme erfüllen-
der Gestaltung. Bezwungen zwang er den
Rhythmus. Gehorchend befahl er dem Wort.
Er sah den Anfang der Bewegung. Und wirbelnd
erlöst stürzte Bewegung in Schauer masslosen
Werks.
Kurt Liebmann
Aus der Zeit für die Zeiten
Wein
Durch die Zeitungen erfährt man, dass ein
Herr Alexander Moszkowski siebzig Jahr
alt geworden ist. Dieser Herr Moszkowski
soll allein sechzehntausend sogenannte
Witze für die so genannten Lustigen Blätter
verfasst haben. Das kann nicht nur der
geistige Herr Walter Rathenau fassen. Selbst
die engeren Kollegen geben Ehre, wer Witze
gebiert. Der ältere junge Mann von der
B. Z. am Mittag ernennt diesen Moszkowski
zu Alexander dem Vielseitigen, damit die
B. Z. am Abend ihn von Alexander dem
Grossen unterscheiden kann. Der ältere
junge Mann ist nicht in der Lage, die Ver-
dienste gebührend verrechnen zu können.
Er fordert für das werte Konto des Herrn
Moszkowski einen „gründlichen Kenner der
Philosophie“, einen „Meister der Musik und
der Musikgeschichte“, einen „Philologen“,
einen „Meister der Vortragskunst“ und einen
„Juristen“ für das meistgelesenste Buch der
Rechtswissenschaft, das der Siebzigjährige
einst ebenso ernst wie heiter „Stuss im Jus“
nannte. Solange in Deutschland noch solche
Männer siebzig Jahr alt werden, ist die
deutsche Tagespresse nicht verloren. Um
den vielbeschäftigten Lesern der B. Z. am
Mittag die Lektüre der Werke dieses Nestors
des Witzes zu ersparen, wird dem Jubilar
das Schlusswort erteilt. Zur ewigen Schande
dieser Zeitanhänger mit Einschluss des
Herrn Walter Rathenau und der beteiligten
deutschen Redakteure sei dieses Schluss-
wort hier wiedergegeben:
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