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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Drittes Heft
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Walden, Herwarth: Kritik der vorexpressionistischen Dichtung, [5]
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Liebmann, Kurt: Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0064

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was diese Angelegenheit mit Kunst zu tun
hat. Denn das Drama soll doch eine Kunst-
form sein. Es ist weiter zu fragen, wenn
man schon auf die Kunst verzichten will,
wie dieser Konflikt dargestellt oder, noch
dümmer gesagt, geschildert ist. Zunächst
jedenfalls so, dass selbst ein so hochge-
bildeter Mensch wie Herr Direktor Beller-
mann die Handlung für eine Idee und die
Idee für ein psychologisches Wachstum
hält. Bei aller noch so bescheidener An-
wendung des Wunders, das nach Lessing
zu verwerfen ist. Um gleichzeitig die sitt-
liche Nutzanwendung Schillers vorwegzu-
nehmen: der Mensch versuche die Götter
nicht oder in ungehobener Sprache: Wer
für eine Idee lebt, muss auf das Leben
verzichten, wenigstens soweit es sich um
eine Frau und um die Liebe handelt. Das
dürfte man unnatürlich nennen, aberSchiller
ist eben Idealist. Und die Jungfrau von
Orleans muss daran glauben. Worin be-
steht nun die sittliche Kraft dieser Tragödie?
Darin, dass die Jungfrau so schwach ist
zu lieben, oder darin, dass sie sterben muss,
weil sie nicht glaubt. Und die versitt-
lichende Wirkung besteht also darin, dass
die Menschen einsehen sollen, man möge
noch so fest für eine Idee kämpfen, schliess-
lich muss man doch als Mensch daran
glauben. Oder man wird erstochen, wenn
man im Kampf den Glauben verliert, was
sonst nicht vorkommen kann. Die ganz
grossen Strategen behaupten zwar, dass
Gott immer mit den stärksten Bataillonen
sei, dafür gibt es aber hier das Wunder,
das wiederum des Glaubens liebstes Kind
ist. Also es reimt sich alles, nur fehlt die
versittlichende Wirkung. Nun ist der un-
natürliche Mensch kein Mensch. Denn was
man so beim Menschen unnatürlich nennt,
wird wohl doch natürlich sein. Ich habe
da einen gewissen Verdacht gegen die Psy-
chologie, trotzdem sich recht ehrenwerte
Männer ihrer befleissigen. Aber mit der
Psychologie der Männer ist es recht schwach
bestellt, da diese Lehre im seelenleeren
Raum erzeugt wird. Um mich pädagogisch
auszudrücken: die sittliche Frage kann nur
in einer einzigen Form aufgeworfen werden.
Nämlich: wann und wie Triebe zu hemmen
sind. Das ist so einfach, dass es Psy-
chologen nie verstehen werden. Um nun
endlich auf die Kunst zu kommen, die

durch den Konflikt verhindert wurde, da
muss ich mich an das Wort halten, wenn
es auch als kleinlich empfunden werden
sollte. Aber auch den schönsten Konflikt
kann man im Drama nur durch das Wort
wahrnehmen.

Fortsetzung folgt

Gedichte
Kurt Liebmann


Zeit erstarrt
Wund
bäumt des Schreis schmerzhaster Rücken
lastes All
und
weite klage Frage
armt
und
sehnt
zerbricht.
Hak
krallt
aus Seele Dickicht
Qualstern
fahlt
und
zackt.
Mein Schweigen *
zitterwickelt sich in Atemangesicht
verwebt
und
nachtenttropft
ich winke meiner Seele suchem Kahn
wahn
legt
und
ahnumhascht
aschbluter Schatten
gramzernagt
die Stundenschnur des Ewignichts
mir um den Hals
und würgt
würgt
würgt.

Blute Verwandlung
Die Krone meiner Hände
atmet
perlenlied


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