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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Zweites Heft
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Walden, Herwarth: Kubismus in Stahl
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Walden, Herwarth: Kritik der vorexpressionistischen Dichtung, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0040

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Verdienst, gewisse Äusserungen vonC^zanne
falsch verstanden zu haben, um mich der
Denksprache des Berliner Tageblatts zu be-
dienen. Herr Stahl braucht das nicht zu
wissen, da er vom Fach aus Denker und
nicht Historiker ist. Herr Stahl betreibt
seinen Beruf durchaus privatkapitalistisch.
Er arbeitet so für sein Denkgeschäft, dass
er die Konkurrenz einfach tot macht. Oder
da er es nicht kann, sie wenigstens tot sagt.
Und wenn sie schon tot ist, versetzt er ihr
eins hinterher. So kann er es noch heute
nicht verschmerzen, dass der gefallene Franz
Marc eine lobende Kritik des Herrn Stahl
nicht anerkannt hat. Er behauptet infolge-
dessen, dass Franz Marc nicht denken könne:
„Marc zieht es vor, offenbar von dem
spintisierenden Vater her (man nennt das
philosophieren) belastet, zu denken. Und
wenn Künstler denken,-siehe oben.“
Zwei Gedankenstriche für die Leser des
Berliner Tageblatts drücken die Denkge-
meinschaft zwischen diesem Vordenker und
den abonnierten Nachdenkern bildhaft aus.
Du weisst doch, Bürger Kaufmann, und
auch Sie, hochverehrte gnädige Frau, das
Künstlervölkchen und Denken! Nicht ein-
mal einfache Buchführung können sie.
Arme Luder, ohne Anstellung und Pension,
die sich auf der Leinewand mit Ölfarbe
austräumen, um sich von unsereins begut-
achten zu lassen. Und wenn sie so wie
wir träumen, soll es uns auf einen Hunderter
für den Salon nicht ankommen. Und so-
gar nicht auf einen Tausender, wenn das
Berliner Tageblatt die Seele beglaubigt hat.
Bildungsspesen. Ganz umsonst kann man
nicht Volk der Dichter und Denker genannt
werden. Das Denken hat Herr Stahl gütigst
übernommen, und zwar ausschliesslich auf
Konto Rudolf Mosse, Dichter brauchen das
Hungern für die Vision, es bleibt also der
Tausender für das Volk der Maler übrig,
trotzdem selbst Herr Stahl noch nicht ein-
mal gewagt hat, uns das Volk der Maler
zu nennen. Dafür haben wir die einfache
Buchführung. Und über Ihren Geist, Herr
Fritz Stahl, wird hier einfach Buch geführt.
Über diesen Geist, unter dem der deutsche
Abonnent sich Kunst denkt. Kunst mit
Malheur, vastehste. Ich schimpfe nicht,
Herr Stahl, das tun nur Denker, die auf
diese Weise die absolute Wahrheit ver-
teidigen. Aber ich schlage. Spielend. Was

Kunst ist. Schlage auf die Hände, die Kunst
befassen wollen. Auf die Hände der Ge-
mütsmenschen des Verstandes. Auf die
Hände der Verstandesmenschen des Gemütes*
Die Formen spielen und die Farben. Sie
verstehen sich. Der Vollbart denkt. Denkt
verächtlich: Künstler. Die Kinder schreien
vor Lachen. Vor Lachen, Herr Stahl.
Künstler und Kinder haben keine Seele, die
in der Presse festzustellen ist. Aber sie
haben das Herz zu spielen. Ihr Spiel sich
zu gestalten. Und nur wer spielen kann,
fühlt sehend, dass es schön ist.
Herwarth Walden

Kritik der vor**
expressionistischen Dichtung
Herwarth Walden
Fortsetzung
Es ist durch diese Untersuchung festgestellt,
dass ein künstlerischer Wertunterschied
zwischen den Gedichten Goethes und Heines
nicht vorhanden ist. Die Gedichte dieser
beiden Dichter sind künstlerisch wertlos.
Goethe steht jenseits der Kritik, lehrt die
deutsche Kritik. Die alldeutsche Kritik lässt
wenigstens Heine fallen. Verschiedene ältere
Herren, wie zum Beispiel Herr Professor
Bartels, haben nämlich entdeckt, dass Heine
wegen seines jüdischen Geistes unkünstlerisch
ist. So hat zum Beispiel ein komischer
Alter Herr festgestellt, dass das Gedicht „Du
bist wie eine Blume“ auf eine schwarzhaarige
Jüdin gedichtet und deshalb schlechtsei. Das
widerspricht den Gesetzen der Kunst, die
blond ist, wie jedermann weiss. Die Haar-
farbe der Liebe ist noch nicht endgültig
festgestellt. Und in unserer Zeit, wo man
sich die Haare einwandfrei färben lassen
kann, wird infolgedessen die künstlerische
Entscheidung immer schwieriger. Es ist
ein Glück für die Liebe, dass man ihr nicht
so genau auf die Haare sieht. Immerhin,
für Heine ist reichlich Ersatz gefunden, hat
doch die nachklassische Zeit über genügend
blonde Dichter verfügt. Die Klassiker mit
ihrem Internationalitätsfimmel sind sowieso
nicht einwandfrei und schon deshalb
jenseits der Kritik gestellt. Ein blondes
Gedicht:
 
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