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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Zweites Heft
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Walden, Herwarth: Kritik der vorexpressionistischen Dichtung, [4]
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Liebmann, Kurt: Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0043

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es nicht eine Perle ist, so ruht sie wenig-
stens für es in der Tiefe des Meeres.
Schliesslich muss auch ein Dichter einmal
schlafen gehen, nicht ohne auch im Schlaf
das Meer rauschen zu hören. Dieses Ge-
dicht ist ein typisches Gedicht. Es ist so-
gar komponiert. Ich habe es nämlich in
fünf Minuten aus fünf beliebigen Gedichten
von fünf beliebten Dichtern wieder einmal
zusammengestellt. Die fünf Dichter heissen:
Joseph von Eichendorff, Wilhelm Müller,
Eduard Mörike, Emanuel Geibel und Heinrich
Heine. Der jüdische Geist hat sich ganz
brav emanzipiert. Also auch die nach-
klassische Zeit hat keinen einzigen Wort-
künstler gehabt. Man wende mir nicht etwa
Nikolaus Lenau ein. Bitte:
0 dann ist es keine Lüge
Dass im Schoss der Wellennacht
In verborgener Genüge
Ein Geschlecht von Menschen wacht
Denke lieber, dass ein Freund
Dir getreulich steht zur Seite
Der es gut mit Dir nur meint
Und Dir gern gibt sein Geleite
Dort auch darf der Freund nicht fehlen
Wie im hellen Sonnentag
Dem Natur ihr Leid erzählen
Der mit ihr empfinden mag.
Die zweite Strophe ist aus einem Neujahrs-
gedicht der Botenfrau der Berliner Morgen-
post, dafür sind die beiden andern Strophen
garantiert echte Lenaus. Die Botenfrau ist
wenigstens optimistisch und glaubt noch
an das Geleit. Hingegen:
So hab ich nun die Stadt verlassen
Wo ich gelebet lange Zeit
Ich ziehe rüstig meiner Strassen
Es gibt mir niemand das Geleit
Man hat mir nicht den Rock zerrissen
(es wär auch schade um das Kleid)
Noch in die Wange mich gebissen
Vor übergrossem Herzeleid
Diese Besorgnis um einen Gegenstand des
täglichen Bedarfs bei übergrossem Herze-
leid lässt auf jüdischen Geist schliessen.
Dafür ist aber das Gedicht von Ludwig
Uhland, der von Bartels als rasserein an-
erkannt ist. Die Sache liegt aber viel ein-
facher. Uhland musste sich um das Kleid

sorgen, weil er sonst das Herzeleid nicht
anbringen konnte. Und eines Reimes wegen
lässt der Dichter manches nachsagen.
Fortsetzung folgt

Gedichte
Kurt Liebmann


Mondverweben
Die linde Leise
weint
und leise
leiser
leis
weiss schüchert Kuss
verwelkt
verweht die Narbe Fluch
zerflattern
Schlattern
Schlorr
zerwehen
Ahn
Das Ahnen starrt
Hart
Knackt
zerhackt
umzacken Schwanenflammen
silberirr
flirrreigen
flimm
umwinden
schwinden
schwimm
Du schwimmst bleichleicher Wimmer
Schrei
Dein Kopf zerschleiert
Schlucken tieft
und
Tiefen schlucken
sinken
sinken
Du
und
stürzen
sinken
O
0
0
Dein Blut enttaucht
Du
einsamst Mond.

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