rr*~i
Es war als hätf der Himmel
Die Erde still geküsst
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen musst
Die kalten Winde bliesen
Mir grad ins Angesicht
Der Hut flog mir vom Kopfe
Ich wendete mich nicht
Auf Zinnen möcht ich springen
In alter Fürsten Schloss
Möcht hohe Lieder singen
Mich schwingen auf das Ross
Und in der Winde Sausen
Und in der Möwe Schrein
In Schaum und Wellenbrausen
Jauchz ich berauscht hinein
Mein Herz gleicht ganz dem Meere
Hat Sturm und Ebb und Flut
Und manche schöne Perle
In seiner Tiefe ruht
Nun bin ich manche Stunde
Entfernt von jenem Ort
Und immer hör ich’s rauschen
Du fändest Ruhe dort
Die ungefärbte Blondheit des Gedichtes ist
sichtbar. Der Dichter lässt sich nur von
der Natur und nicht von gewissen jüdischen
Mädchen ergreifen. Die Liebe zur Natur
spricht aus jeder Zeile: Himmel, Wind,
Ross,Möwe, Sturm, Ort. Insbesondere macht
die Betonung des Meeres das Gedicht sehr
sympathisch. Auch die Perle als Sinnbild
der Reinheit ist nicht vergessen. Ausserdem
ist die Natur bekanntlich eine alldeutsche
Angelegenheit. Etwas, was Deutschland vor
der Welt voraus hat. Während die Liebe
eine jüdische Erfindung ist und daher in
der deutschen Poesie nur mit Massen ver-
wendet werden darf. Deshalb haben die
deutschen Dichter in der Liebe mit Vorliebe
die Untreue besungen. Und zwar in choral-
artigem Mass. Metrisch. Rhythmische Er-
regungen finden nicht statt. Es wird also
mehr die Natur besungen. Und zwar auch
choralartig. Der Dichter, das Subjekt, stellt
sich vor die Natur und betet sie mit An-
merkungen an. Die Natur ist Objekt, ver-
hält sich objektiv und ist sogar untreu.
Denn sie tritt nie in Erscheinung und ist
nie künstlerisch vorhanden. Sie wird eben
durch Schreiben nicht sichtbar. Die Natur
hat nämlich keine Gefühle. Die Sonne ist
nicht lustig und der Regen nicht traurig.
Durch die Bewegungsvorgänge der Natur,
durch ihren Rhythmus, finden rhythmische
Erregungen des Menschen statt. Die Er-
regung des Menschen, seine Bewegung durch
Naturvorgänge, werden daher nur durch
die Bewegung, den Rhythmus, fühlbar und
hörbar. Will man sie sichtbar machen,
wie es die assoziative Dichtung will, so
muss ein logisches oder alogisches Bild ge-
staltet werden: durch die Beziehungen der
Wortwerlc im Rhythmus und ihrer begriff-
lichen Übertragung im optischen Wert.
Durch Beschreibung von Gegenständen und
Benennung von Gefühlswirkungen kann
auch assioziativ nie ein Kunstwerk entstehen.
Nach dem Stand der bisherigen Unter-
suchungen braucht wohl nicht noch einmal
bewiesen zu werden, dass dieses neue
Meistergedicht ohne jeden rhythmischen
Wert ist, dass nicht einmal ein Versuch zur
Gestaltung des inneren Rhythmus vorliegt.
Auch die metrische Gliederung ist völlig
mechanisch. Der Vers wird nach der be-
tonten dritten Silbe abgebrochen. Es wird
auch nicht der geringste Wert darauf gelegt,
dass die betonte Silbe wenn auch nur be-
griffsmässig betont ist. Man dichtet nicht
einmal wie der Vogel singt. Denn der
Vogel singt nicht so, wie Dilettanten es
hören. Jedenfalls zählt der Vogel seine
Töne nicht, und wenn er sie schon zählt,
empfindet er triebhaft, welche Töne zu be-
tonen sind. Wenn die Dichter wirklich die
Sprache der Vögel verstehen würden, oder
gar die Sprache der Töne, wären sie wenig-
stens auf die katastrophale Verwechslung
von Metrik und Rhythmik nie verfallen.
Dennoch: der verbildete Leser ist von
diesem Gedicht befriedigt. Es gibt Stimmung
und gibt einen Sinn. Der Sinn ist sinnfällig,
trotzdem er Unsinn ist. Was kann man
sich nicht alles darunter denken, dass der
Himmel die Erde geküsst hat, dann die
kalten Winde, die Störung der Liebe, der
Dichter, der sich wegen der Störung nun
durchaus auf das Ross schwingen muss und
trotz der Störung in die Winde berauscht
hineinjauchzt. In solchen erhebenden Mo-
menten pflegt stets irgendwo eine Möwe zu
schreien. Von der Möwe ist es nicht weit
zum Meere, dem das Herz gleicht. Und
jedes Dichterherz ist eine Perle. Und wenn
30
Es war als hätf der Himmel
Die Erde still geküsst
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen musst
Die kalten Winde bliesen
Mir grad ins Angesicht
Der Hut flog mir vom Kopfe
Ich wendete mich nicht
Auf Zinnen möcht ich springen
In alter Fürsten Schloss
Möcht hohe Lieder singen
Mich schwingen auf das Ross
Und in der Winde Sausen
Und in der Möwe Schrein
In Schaum und Wellenbrausen
Jauchz ich berauscht hinein
Mein Herz gleicht ganz dem Meere
Hat Sturm und Ebb und Flut
Und manche schöne Perle
In seiner Tiefe ruht
Nun bin ich manche Stunde
Entfernt von jenem Ort
Und immer hör ich’s rauschen
Du fändest Ruhe dort
Die ungefärbte Blondheit des Gedichtes ist
sichtbar. Der Dichter lässt sich nur von
der Natur und nicht von gewissen jüdischen
Mädchen ergreifen. Die Liebe zur Natur
spricht aus jeder Zeile: Himmel, Wind,
Ross,Möwe, Sturm, Ort. Insbesondere macht
die Betonung des Meeres das Gedicht sehr
sympathisch. Auch die Perle als Sinnbild
der Reinheit ist nicht vergessen. Ausserdem
ist die Natur bekanntlich eine alldeutsche
Angelegenheit. Etwas, was Deutschland vor
der Welt voraus hat. Während die Liebe
eine jüdische Erfindung ist und daher in
der deutschen Poesie nur mit Massen ver-
wendet werden darf. Deshalb haben die
deutschen Dichter in der Liebe mit Vorliebe
die Untreue besungen. Und zwar in choral-
artigem Mass. Metrisch. Rhythmische Er-
regungen finden nicht statt. Es wird also
mehr die Natur besungen. Und zwar auch
choralartig. Der Dichter, das Subjekt, stellt
sich vor die Natur und betet sie mit An-
merkungen an. Die Natur ist Objekt, ver-
hält sich objektiv und ist sogar untreu.
Denn sie tritt nie in Erscheinung und ist
nie künstlerisch vorhanden. Sie wird eben
durch Schreiben nicht sichtbar. Die Natur
hat nämlich keine Gefühle. Die Sonne ist
nicht lustig und der Regen nicht traurig.
Durch die Bewegungsvorgänge der Natur,
durch ihren Rhythmus, finden rhythmische
Erregungen des Menschen statt. Die Er-
regung des Menschen, seine Bewegung durch
Naturvorgänge, werden daher nur durch
die Bewegung, den Rhythmus, fühlbar und
hörbar. Will man sie sichtbar machen,
wie es die assoziative Dichtung will, so
muss ein logisches oder alogisches Bild ge-
staltet werden: durch die Beziehungen der
Wortwerlc im Rhythmus und ihrer begriff-
lichen Übertragung im optischen Wert.
Durch Beschreibung von Gegenständen und
Benennung von Gefühlswirkungen kann
auch assioziativ nie ein Kunstwerk entstehen.
Nach dem Stand der bisherigen Unter-
suchungen braucht wohl nicht noch einmal
bewiesen zu werden, dass dieses neue
Meistergedicht ohne jeden rhythmischen
Wert ist, dass nicht einmal ein Versuch zur
Gestaltung des inneren Rhythmus vorliegt.
Auch die metrische Gliederung ist völlig
mechanisch. Der Vers wird nach der be-
tonten dritten Silbe abgebrochen. Es wird
auch nicht der geringste Wert darauf gelegt,
dass die betonte Silbe wenn auch nur be-
griffsmässig betont ist. Man dichtet nicht
einmal wie der Vogel singt. Denn der
Vogel singt nicht so, wie Dilettanten es
hören. Jedenfalls zählt der Vogel seine
Töne nicht, und wenn er sie schon zählt,
empfindet er triebhaft, welche Töne zu be-
tonen sind. Wenn die Dichter wirklich die
Sprache der Vögel verstehen würden, oder
gar die Sprache der Töne, wären sie wenig-
stens auf die katastrophale Verwechslung
von Metrik und Rhythmik nie verfallen.
Dennoch: der verbildete Leser ist von
diesem Gedicht befriedigt. Es gibt Stimmung
und gibt einen Sinn. Der Sinn ist sinnfällig,
trotzdem er Unsinn ist. Was kann man
sich nicht alles darunter denken, dass der
Himmel die Erde geküsst hat, dann die
kalten Winde, die Störung der Liebe, der
Dichter, der sich wegen der Störung nun
durchaus auf das Ross schwingen muss und
trotz der Störung in die Winde berauscht
hineinjauchzt. In solchen erhebenden Mo-
menten pflegt stets irgendwo eine Möwe zu
schreien. Von der Möwe ist es nicht weit
zum Meere, dem das Herz gleicht. Und
jedes Dichterherz ist eine Perle. Und wenn
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