Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

DOI Heft:
Elftes Heft
DOI Artikel:
Blümner, Rudolf: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus, [14]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0246
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zur Geschichte des Sturm und
des deutschen Journalismus
Briefe gegen Paul Westheim
Vierzehnter Brief
Kaum hatte ich Ihnen vor einem Jahr den
ersten Begriff gegeben, dass ich es mit der
Aufklärung Ihrer dunklen Verdächtigungen
genauer nehmen werde als Sie mit der’An-
fertigung Ihrer Beschuldigungen, so ent-
schlossen Sie sich, vor den Lesern Ihres
Blattes mit einer freimütigen Erklärung
aufzutreten:
„An die Leser des Kunstblatts!
In einem Artikel dieser Zeitschritt hatte ich
die Frage gestellt, warum alle die Künstler,
die nicht blos nur „Sturm-Künstler“ sind,
dem Geschäftsbetrieb des Herrn
Walden entlaufen: Kokoschka, Klee,
Feininger, ganz zu schweigen von den
Fällen Marc, Macke, Essig, Jawlensky,
Chagall? Da Herr Rudolf Blümner durch
eine Fabel, die er im Sturm veröffentlichte,
mir zu erkennen gab, wie falsch er meinen
„Fall Marc“ verstanden hatte, teilte ich ihm
auf einer Postkarte mit, auf welche Schand-
tat ich mit diesem „Fall Marc“ hingedeutet
hatte: dass Herwarth Walden sich an den
Bildern Franz Marc’s habe vergreifen wollen.
Ich trug kein Bedenken, Herwarth Walden
darum der Leichenfledderei zu beschuldigen.
Nachdem ich diesen ehrenrührigen Vorwurf
in einem Privatbrief zurückgenommen habe,
halte ich es für meine Pflicht, hiermit auch
öffentlich zu bekennen, dass . . . .“
Es mag sein, dass ich Ihren Stil nicht auf
das glücklichste getroffen habe. Aber ich
muss Ihnen auch einmal zugeben, dass Sie es
damals nicht leicht hatten, diese Pflicht zu er-
füllen. Denn ohne meinen Geist zu forcieren,
kann ich sagen, dass Sie es sich zu leicht
gemacht hatten, den Widerruf nicht für
Ihre Pflicht zu halten. Und da Sie statt
dessen ein über das andere Mal versichern,
es gäbe für Sie nichts zu berichtiget, so
hätten Sie sich auch anders ausdrücken
können. Und Sie wären dabei der Wahr-
heit um einen Schritt näher gekommen:
„An die Leser des Kunstblatts!
Ich habe Herrn Blümner wissen lassen,
dass ich mit meinem „Fall Marc“ auf eine
Leichenfledderei des Herrn Walden an-
spielen wollte. Da ich diese Beschuldigung

auf die Mitteilung eines hochgeschätzten
deutschen Museumsdirektors und einer
hochachtbaren Malersgattin gegründet hatte,
musste ich sie als grundlose Verdächtigung
zurücknehmen. Weil ich aber im Kunst-
blatt von keiner Leichenfledderei, sondern
nur von einem „Fall Marc“ geschrieben
habe, bin ich in der Lage, den Widerruf
an dieser Stelle abzulehnen. Ich bestreite
jetzt sogar, mit meinem „Fall Marc“ Herrn
Walden einer unreellen Handlung bezichtigt
zu haben. Vielmehr ist dieser „Fall Marc“
nunmehr so zu verstehen, dass Franz Marc
aus künstlerischen und ideellen Gründen
dem Geschäftsbetrieb . . . .“
Auch dieses mag Ihren Stil nicht treffen.
Aber wie sollte es mir gelingen, da Sie
selbst keine Worte gefunden
haben. So leicht Sie es hatten, sich Ihrer
Pflicht zu entziehen, so schwer wäre es
Ihnen geworden, die Wahrheit zu sagen.
Um zu leugnen, dass Sie mit Ihren Ent-
laufenen und Fällen auf unreelle Handlungen
anspielen wollten, dazu bedurfte es nur
eines kräftigen Entschlusses. Aber Sätze, die
wenigstens etwas Törichtes bedeuten konn-
ten, solange sie von fern an Leichenbe-
raubung, Namensmissbrauch, geschäftliche
Ausbeutung und Zahlungsverweigerung er-
innerten, wurden zum Unsinn, als Sie von
allen den unsauberen Dingen nichts mehr
wissen wollten. Es bedurfte einiger An-
strengungen, wenn Sie diese Sätze, die es
inzwischen zu einer Berühmtheit gebracht
haben, nicht als völlige Sinnlosigkeit zum
Teufel jagen wollten, Biegen oder Brechen,
dachten Sie, und besorgten gleich beides.
Fürs erste machten Sie sich daran, Ihre
Fälle, wie sie auch heissen mochten, ins
Ideal-Künstlerische umzudeuten. Dass die
Künstler „entlaufen“ waren, mochte mit
Hängen und Würgen zu Ihrer neuen Version
passen. Dass sie aber ausserdem einem
„Geschäftsbetrieb“ entlaufen waren, stand
den ideellen und künstlerischen Gründen so
schlecht an, dass Sie sich entschlossen, auf
Ihren eigenen „Geschäftsbetrieb“ zu pfeifen.
Zuip zweiten erkannten Sie selbst, dass Ihre
ideellen und künstlerischen Gründe an allen
Ecken und Enden nicht ausreichten, um
Herwarth Walden oder den Sturm so zu
diskreditieren, wie Sie es wünschten. Auch
Sie wussten, dass es weniger als eine
Bagatelle ist, wenn Herr Campendonk oder

198
 
Annotationen