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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Zweites Heft
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Walden, Herwarth: Aus der Zeit für die Zeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0055

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Wenn ick schon höre: Jubilar!
Dann wird mir koddrig janz und jar.
Da quasseln welche fürchterlich
Und machen jenem miess vor sich.
Und sabbern ihn uf det Jedeck,
Und fressen ihm det beste weg,
Und erst wenn alle wieder raus,
Dann bricht der Mann in Jubel aus!

In der Gesellschaft dieses siebzigjährigen
Grossmeisters brechen die deutschen In-
tellektuellen in Jubel aus. Gute Mahlzeit.
Weib
Diese Gesellschaft geht auch auf Sylvester-
bälle, nicht ohne hierzu durch Dichtungen
nach Moszkowskiart eingeladen zu werden.
Die Dichtungen sind eigens zu diesem
Zweck von den führenden Komponisten
der Lebensfreude geschaffen worden. So
sieht die Lebensfreude von Berlin aus:

Leon Jessel:
Ihr wollt ’nen Vers, o Gott, da streikt mein
Schädel,
Mein Notenköpfchen gibt nur Töne her,
Es tanzt der Zinnsoldat mit meinem
Schwarzwaldmädel,
Ich schlag den Takt dazu — was wollt ihr
mehr?

Das bewegt die Herzen aller Frauen von
Berlin:
Victor Holländer:
Silvesterball — was soll ich dazu sagen?
Drum frag’ ich meine alten Melodien,
Da schwingt und klingt es und ich höre
schlagen
Die Herzen aller Frauen von Berlin.

Silvesterfrohsinn, Narrheit, tolle Streiche,
Man nimmt den Vorschuss auf die Seligkeit
so gern.
Packt nur das Zipfelchen vom Himmelreiche
Und zollt Applaus dem bess’ren ält’renHerrn.
Eie deutsche Tagespresse möge sich diese
Gedichte für die betreffenden Geburtstags-
feiern der zukünftigen Nestoren sorgfältig
aufbewahren. Angenehme Ruhe.
Gesang
Herr Gerhart Hauptmann ist zum deutschen
Kleinmeister ernannt worden. Zu diesem
Zweck ist eigens ein Verlag gegründet
worden, der behauptet, seine Kunstwerke

nur in der Auflage zu beschränken, sie
aber dafür kostbar auszustatten. DieVossische
Zeitung ist bereits in der Lage, „den Klein-
meister“ der Grossmasse zu empfehlen.
Man erfährt durch die Redaktion nicht nur,
dass „unser grosser Dramatiker“ als Lyriker
begonnen hat, man erfährt auch wieso die
Welt nichts mehr von dieser Lyrik weiss:
„1885 schrieb Hauptmann einen Band Verse
„Promethidenlos“. Er liess ihn aus dem
Handel ziehen, „und die Welt weiss von
dem Lyriker Gerhart Hauptmann nichts
mehr“. Die Handelswelt ertrug diese Baisse
in Lyrik mannhaft. Wenige spekulierten
insgeheim auf die lyrische Hausse: „Fein-
hörige wollen den heimlichen Lyriker Ger-
hart Hauptmann überall erkannt haben“.
Er wurde aber nicht gehandelt. Auch die
Redaktion der Vossischen Zeitung will nicht
so feinhörig gewesen sein. Leise Schwan-
kungen des Marktes. Bis heute: „Heute
bringen wir hier ein bisher unveröffent-
lichtes Gedicht Hauptmanns“. Jetzt wird
nicht mehr gemäkelt, jetzt wird gemäkelt,
der makellose Lyriker wird erkannt: „Auf
der Höhe seines dramatischen Schaffens be-
ginnt der Dichter Sonette zu veröffentlichen.
Eine lyrische Form also, die stets eigentlich
die lyrische Form der Grossen gewesen ist
(Petrarca, Shakespeare, Goethe). Die hier
abgedruckte Dichtung erscheint als erstes
der Bücher der deutschen Kleinmeister“.
Es ist entschieden undemokratisch, Verfasser
von Sonetten einmal zu Grossmeistern und
einmal zu Kleinmeistern zu ernennen,
namentlich wenn sie auf der Hausse des
dramatischen Schaffens stehen. Und wenn
die Lyriker Moszkowski und Victor Holländer
zumSchlusswortkommen,hateinSonetterich
erst recht das Recht sich auszuklingen:
Die heisse Luft aus Süd, die finst’re Wolke,
Die schweigend über den Gebirgen türmet,
Erscheinet überfüllt mit diesem Volke!
Wo starrt derFels, den dieses Heerbestürmet,
Von Kriegern, die mit bösen Stimmen greinen
Wie Kinder, die ein Vater nicht beschirmet,
Und, statt zu kämpfen, Regentropfen weinen?
Hieraus könnte nun wieder der Grossdichter
Moszkowski den philosophischen Witz von
dem Vater ohne Regenschirm ziehen. Man
weinet Regentropfen. Und statt zu kämpfen,
wünscht man sich allseitig, gegenseitig
fröhliche Ostern.

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