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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Sechstes Heft
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Blümner, Rudolf: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus [9]: Briefe gegen Paul Westheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0145
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ganz von der Hand zu weisen.“ So über-
legten Sie. Und um dem Problem der
gegenstandslosen Malerei vollends auf den
Grund zu kommen, erfanden Sie gar noch
eine Klage Kandinskys gegen den Sturm.
Diese trügerische Idee kann Sie zwar
künstlerisch nicht sonderlich erleuchtet
haben, aber Sie gab Ihnen den festen Vor-
satz, mit der absoluten Malerei Frieden zu
schliessen. Auch konnte Ihnen nicht länger
entgehen, dass Sie mit Ihrer Antipathie
gegen Kandinsky ein einsamer Mann ge-
** worden waren. Auf Ihrer Seite blieben
wohl noch Leute wie Fritz Stahl und Kurt
Glaser. Und auch Franz Servaes wird stets
bereit sein, Ihnen den Rang streitig zu
machen. Aber wenn ich mich diesmal
nicht sehr täusche, behagt Ihnen diese Ge-
sellschaft gar nicht. Zwar Ihr kolle-
giales Verhältnis kann ausgezeichnet sein,
wenigstens was die Beobachtung der urbanen
Umgangsformen betrifft. Sonst mögen sich
die Kollegen sonderbare Gedanken über Sie
machen. Sie würden sich selbst nicht
wundern, wenn die Herren die Achseln
zucken und äussern: „Der Westheim glaubt
selbst nicht an den ganzen expressionis-
tischen und kubistischen Schwindel. Dafür
ist er ein viel zu kluger und geistreicher
Kopf, ein grundgelehrtes Haus und ein
trefflich vorgebildeter Kunsthistoriker.“ Sie
machen sich aus dem einen so wenig wie
aus dem andern, weil Sie selbst wissen,
dass Sie mal dafür sind und mal dagegen.
Die Umgangsformen aber bleiben korrekt.
„Tag, lieber Kollege, wie geht’s?“ —- „Danke,
es macht sich!“ — „Immer noch für den
verrückten Kubismus?“ — „Selbstverständ-
lich, man will doch leben!“ — „Aber ge-
wiss doch!“ — „Wiedersehen, Kollege!“ —
„Wiedersehen!“ Durchaus korrekt. Un-
sympathisch ist es nur, in puncto Kandinsky
mit Leuten konform zu gehen, die sich in
der Beurteilung neuer Kunst bei Gross und
Klein um jeden Kredit gebracht haben.
„Stahl und Westheim stimmen darin über-
ein -“ wie sich das anhört! Und doch
ist Ihnen entgangen, dass „Glaser und
Westheim“ nicht viel besser klingt. Wie
konnten Sie so unvorsichtig sein, kürzlich
in der Frankfurter Zeitung sich auf Glaser
zu berufen, um Puni eins auszuwischen.
Haben Sie denn in den vergangenen Jahren
den Reichtum Ihrer Schimpfworte so voll-

kommen vergeudet, dass Sie Glasers Worte
vom „sauren Kitsch“ zitieren müssen?
Freilich waren es die Arbeiten Kurt
Schwitters, die Glaser für sauren Kitsch
hielt, jenes Kurt Schwitters, gegen den Sie
selbst zur Zeit noch in der Defensive
kämpfen. Aber trotzdem olim meminisse
juvabit, dass Sie in der Aprilnummer Ihres
Blattns, zunächst klein und unauffällig,
wenigstens den Namen Kurt Schwitters und
das Wort „Merz“ als existierend anerkannt
haben. Das ist ein Anfang und es wird Sie
noch mehr Kunststücke kosten, bis Sie sich
auf seine Seite geschlagen haben, als wäre
vorher nichts geschehen. Denn was Sie
bisher über Schwitters geschrieben haben,
drückt Ihnen schon schwer genug aufs Herz.
Wenn Sie von mir einen Rat annehmen
wollen, so schreiben Sie vielleicht ein paar
Zeilen an Schwitters, Hannover, da und da.
Fragen Sie ihn, ob er ein paar nette kleine
Differenzen mit dem Sturm für Sie übrig
hat, Unterschlagungen werden bevorzugt,
aber auch das geringste Missverständnis
wird dankbar angenommen. Verlangen Sie
Prospekt, garantierte f. f. Verdächtigungen,
absolut widerruffrei. Klagen Sie ihm Ihr
Malheur mit Campendonk — — ja, sagen
Sie, Herr Westheim, ä propos Campen-
dank. Was haben Sie für unsausstehliche
polemische Manieren? Sie verbreiten in
Ihrem Blatt eine für den Sturm ehren-
rührige Behauptung Campendonks. Ich
bringe ein Facsimile Campendonks, durch
das ich gleich zwei Lügen auf einmal auf-
decke. Und jetzt schreiben Sie von neuem:
„Es lässt sich weder bestreiten noch wider-
rufen.“ An Ihrer Bosheit habe ich nie ge-
zweifelt. Aber jetzt zweifle ich, dass Sie
Ihre Sinne zu gebrauchen wissen. Sie
können wohl nicht lesen? Campendonk
bat, man möge ihn als Lehrer der Sturm-'
schule militärisch reklamieren. Verstehen
Sie das nicht? Ich glaubs, dass Sie bei
Campendonks Widerruf Galle gespuckt
haben. Aber dass Sie dabei so ganz und
gar jede Haltung verlieren, dass Sie in
einer Fussnote wie ein eigensinniger Schul-
junge heulen: Der Campendonk hat’s aber
gesagt! Oder sich zuletzt auf den Boden
werfen, den Widerruf Ihrer Leichenfledderer-
Postkarte bejammern und sich auf „einen
deutschen Museumsdirektor und die Frau
eines sehr bekannten deutschen Malers“
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