berufen, zwei „durchaus zuverlässige Per-
sonen“! Warum haben Sie denn wider-
rufen, wenn die zwei ehrenwerten Ver-
leumder durchaus zuverlässige Personen
waren? Vermutlich, weil Sie dahinter ge-
kommen waren, dass diese ehrenwerte
Ehrabschneider nicht ganz zuverlässig waren.
Namen nennen, Herr Westheim. Wer ist
der Museumsdirektor, der, anstatt sich um
seine Klamotten zu kümmern, anderen
Leuten Verbrechen andichtet, die so dumm
und unmöglich sind, dass selbst Sie
nicht daran geglaubt, sondern nur aus
Lust am Bösen Ihre Schänd - Postkarte
an mich gerichtet haben. Wer war die alte
Vettel, auch genannt Frau eines sehr be-
kannten Malers, die so gemein ist wie ein
redlicher verleumderischer deutscher Mu-
seumsdirektor? Nennen Sie mir gefälligst
die Namen dieser vortrefflichen, von Ihnen
so hoch geschätzten hausierenden Ehrab-
schneider! — So jede Haltung zu verlieren
und zu winseln, ein durchaus zuverlässiger
Verleumder und eine hochachtbare Ver-
leumderin hätten es Ihnen noch gestern
gesagt und doch hätten Sie widerrufen
müssen! So jede Haltung zu verlieren,
und das in der Fussnote eines Artikels, der
so stolz anfing: Paul Westheim / Gegen-
standslose Kunst, so stolz anfing und mit
so klugem Bedacht geschrieben war. Es
ist erst wenige Jahre her, dass Sie nicht
so bedachtsam waren. Da erschien an
einem hässlichen Tage das Kunstblatt, das
sich ganz besonders für die neue Bewegung
in der Kunst einsetzen wollte. Und Sie,
Herr Westheim, hatten die Kühnheit, die
Leitung zu übernehmen, Sie, der wie kein
anderer der deutschen Kunstrichter als Be-
schimpfer dieser neuen Kunst für immer
kompromittiert war. Was, um Gottes Willen,
mag damals in Ihrem Gewissen vorgegangen
sein? Ich kann nur glauben: gar nichts.
Oder Sie haben sich gedacht: Was ich bis-
her geschrieben habe, das weiss morgen
kein Mensch mehr. Gestern war ich da-
gegen, heute bin ich dafür. Und da'ich
damals nicht sagen konnte, warum ich da-
gegen war, so brauche ich heute nicht zu
wissen, warum ich dafür bin. Und noch
weniger brauche ich es zu sagen. Niemand
wird von mir verlangen, dass ich den un-
erklärlichen Wechsel meiner Ansichten er-
klären soll. Es gibt nichts zu erklären. —
So dachten Sie vor einigen Jahren. Heute bin
ich nicht mehr der einzige, der Ihnen auf
die Finger sieht Heute getrauen Sie sich
nicht mehr, mit einem hocus pocus fidibus
als rabiater Anhänger Kandinskys aufzu-
treten. Aber Sie sind jetzt fest entschlossen,
den Übergang zu ihm und zur absoluten
Malerei zu vollziehen. Schweigen Sie.
Widersprechen Sie nicht. Sie sind ent-
schlossen, weil Sie müssen. Sie sind ent-
schlossen, jetzt diesen Übergang zu mas-
kieren. Schritt für Schritt Und eben
haben Sie mit Ihrem Artikel Gegenstands-
lose Kunst einen Hauptschritt getan. „Wie
fange ich es an,“ so räsonnierten Sie, „dass
ich zwar die absolute Malerei nicht nur
grundsätzlich anerkenne, sondern auch den
Anschein erwecke, als hätte ich grundsätz-
lich nie etwas gegen sie geäussert Und
wie tue ich das, ohne mich festzulegen,
sodass ich zwar jederzeit vollends als An-
hänger Kandinskys gelten, aber auch stets
beweisen kann, dass ich meine Anschau-
ungen über ihn nicht geändert habe? Ein
schwieriges Uuternehmen, wie es scheint,
aber für mich, Paul Westheim, ein Kinder-
spiel." Und nun stürzen Sie sich ins Chaos
und beweisen, dass alle absoluten und ab-
strakten Malereien olle Kamellen sind.
Schon Adam und Eva verfertigten Tunk-
papiere und alles war besser als die Bilder
Kandinskys. Aber Kandinsky hat dies ge-
sagt und Kandinsky hat das gesagt und es
gibt von Kandinsky ein häufig reproduziertes
Bild, was zwar schlechtes Deutsch ist, aber
besonderes Interesse verdient, weil es in
das Werden dieser gegenstandslosen Malerei
einen Einblick bietet, der mehr sagt als alles,
was Westheim je dagegen geschrieben hat.
Und Kandinsky hinten und Kandinsky vorn
und es gibt eine folgerichtige Entwicklung
vom ersten malenden Schimpansen bis zu
Kandinsky — — und nur eines haben Sie
vergessen, Herr Westheim: über Ihre Kan-
dinsky-Exegese das richtige Motto zu setzen:
„Und Kandinsky? Das Lebenswerk, das er
jetzt in einer Sonderausstellung des Sturm
vorzuführen wagt, wird endlich doch zu
der Überzeugung verhelfen, dass um ihn
herum schon zu viel der Worte gemacht
sind.“
So schrieben Sie, Herr Westheim, am
23. Oktober 1912. Heute wissen Sie, dass
diese Sonderausstellung nicht einmal Ihnen
118
sonen“! Warum haben Sie denn wider-
rufen, wenn die zwei ehrenwerten Ver-
leumder durchaus zuverlässige Personen
waren? Vermutlich, weil Sie dahinter ge-
kommen waren, dass diese ehrenwerte
Ehrabschneider nicht ganz zuverlässig waren.
Namen nennen, Herr Westheim. Wer ist
der Museumsdirektor, der, anstatt sich um
seine Klamotten zu kümmern, anderen
Leuten Verbrechen andichtet, die so dumm
und unmöglich sind, dass selbst Sie
nicht daran geglaubt, sondern nur aus
Lust am Bösen Ihre Schänd - Postkarte
an mich gerichtet haben. Wer war die alte
Vettel, auch genannt Frau eines sehr be-
kannten Malers, die so gemein ist wie ein
redlicher verleumderischer deutscher Mu-
seumsdirektor? Nennen Sie mir gefälligst
die Namen dieser vortrefflichen, von Ihnen
so hoch geschätzten hausierenden Ehrab-
schneider! — So jede Haltung zu verlieren
und zu winseln, ein durchaus zuverlässiger
Verleumder und eine hochachtbare Ver-
leumderin hätten es Ihnen noch gestern
gesagt und doch hätten Sie widerrufen
müssen! So jede Haltung zu verlieren,
und das in der Fussnote eines Artikels, der
so stolz anfing: Paul Westheim / Gegen-
standslose Kunst, so stolz anfing und mit
so klugem Bedacht geschrieben war. Es
ist erst wenige Jahre her, dass Sie nicht
so bedachtsam waren. Da erschien an
einem hässlichen Tage das Kunstblatt, das
sich ganz besonders für die neue Bewegung
in der Kunst einsetzen wollte. Und Sie,
Herr Westheim, hatten die Kühnheit, die
Leitung zu übernehmen, Sie, der wie kein
anderer der deutschen Kunstrichter als Be-
schimpfer dieser neuen Kunst für immer
kompromittiert war. Was, um Gottes Willen,
mag damals in Ihrem Gewissen vorgegangen
sein? Ich kann nur glauben: gar nichts.
Oder Sie haben sich gedacht: Was ich bis-
her geschrieben habe, das weiss morgen
kein Mensch mehr. Gestern war ich da-
gegen, heute bin ich dafür. Und da'ich
damals nicht sagen konnte, warum ich da-
gegen war, so brauche ich heute nicht zu
wissen, warum ich dafür bin. Und noch
weniger brauche ich es zu sagen. Niemand
wird von mir verlangen, dass ich den un-
erklärlichen Wechsel meiner Ansichten er-
klären soll. Es gibt nichts zu erklären. —
So dachten Sie vor einigen Jahren. Heute bin
ich nicht mehr der einzige, der Ihnen auf
die Finger sieht Heute getrauen Sie sich
nicht mehr, mit einem hocus pocus fidibus
als rabiater Anhänger Kandinskys aufzu-
treten. Aber Sie sind jetzt fest entschlossen,
den Übergang zu ihm und zur absoluten
Malerei zu vollziehen. Schweigen Sie.
Widersprechen Sie nicht. Sie sind ent-
schlossen, weil Sie müssen. Sie sind ent-
schlossen, jetzt diesen Übergang zu mas-
kieren. Schritt für Schritt Und eben
haben Sie mit Ihrem Artikel Gegenstands-
lose Kunst einen Hauptschritt getan. „Wie
fange ich es an,“ so räsonnierten Sie, „dass
ich zwar die absolute Malerei nicht nur
grundsätzlich anerkenne, sondern auch den
Anschein erwecke, als hätte ich grundsätz-
lich nie etwas gegen sie geäussert Und
wie tue ich das, ohne mich festzulegen,
sodass ich zwar jederzeit vollends als An-
hänger Kandinskys gelten, aber auch stets
beweisen kann, dass ich meine Anschau-
ungen über ihn nicht geändert habe? Ein
schwieriges Uuternehmen, wie es scheint,
aber für mich, Paul Westheim, ein Kinder-
spiel." Und nun stürzen Sie sich ins Chaos
und beweisen, dass alle absoluten und ab-
strakten Malereien olle Kamellen sind.
Schon Adam und Eva verfertigten Tunk-
papiere und alles war besser als die Bilder
Kandinskys. Aber Kandinsky hat dies ge-
sagt und Kandinsky hat das gesagt und es
gibt von Kandinsky ein häufig reproduziertes
Bild, was zwar schlechtes Deutsch ist, aber
besonderes Interesse verdient, weil es in
das Werden dieser gegenstandslosen Malerei
einen Einblick bietet, der mehr sagt als alles,
was Westheim je dagegen geschrieben hat.
Und Kandinsky hinten und Kandinsky vorn
und es gibt eine folgerichtige Entwicklung
vom ersten malenden Schimpansen bis zu
Kandinsky — — und nur eines haben Sie
vergessen, Herr Westheim: über Ihre Kan-
dinsky-Exegese das richtige Motto zu setzen:
„Und Kandinsky? Das Lebenswerk, das er
jetzt in einer Sonderausstellung des Sturm
vorzuführen wagt, wird endlich doch zu
der Überzeugung verhelfen, dass um ihn
herum schon zu viel der Worte gemacht
sind.“
So schrieben Sie, Herr Westheim, am
23. Oktober 1912. Heute wissen Sie, dass
diese Sonderausstellung nicht einmal Ihnen
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