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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Siebentes Heft
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Walden, Herwarth: Unter den Sinnen, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0163
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angefahren worden. Sie klagt über Schmer-
zen in den Füssen.
Ich übe zwar seit einem Jahrzehnt keine
Praxis mehr aus, aber ich bin natürlich
bereit
Verzeihen Sie, ich schickte den Burschen
nach dem nächsten Arzt
Er hat wohl mein Schild einmal gesehen.
In dieser entlegenen Strasse am Ende der
Stadt wohnt natürlich kein Arzt. Wo liegt
die Dame
Bitte
Ich warte hier auf Sie
Nun mein Fräulein, es wird schon nicht
so schlimm sein. Ich bin der Arzt. Wo
haben Sie denn Schmerzen. Nehmen Sie
doch bitte einmal die Decke von dem Kopf
Die Stimme tönt in meinem Blute
Du. Mein Paradiesvogel. Was ist hier ge-
schehen.
Eine Tänzerin bin ich auf der Strasse.
Meine Füsse sind gebrochen
Unmöglich. Lass mich die Decke abnehmen
Warum hat man Dich getufen. Du darfst
mich nicht in Schmerzen sehen
Lass mich die Schmerzen nehmen. Bitte.
Du sollst mich nicht berühren
Und willst Du nicht wieder wandern können,
meine süsse Tänzerin auf der Strasse. So.
Ganz sanft ziehe ich die Decke fort. Nun
muss ich Dir Schuh und Strümpfe aus-
ziehen
Wenn es sein muss, will ich es selbst tun.
Du darfst Dich nicht bewegen
Die Schuh sind schmutzig. Deine weissen
Finger
Unsinn. So.
Die Strümpfe haben sicher Löcher
Nun bekomme ich wirklich die Strümpfe
nicht ab. Ich habe so lange keine Frau
Es ist schon wieder gut. Ich habe keine
Schmerzen mehr.
Ich reisse sie einfach ab. So.
Du darfst mich nicht berühren
Ich tue nicht weh. Kann Dir nicht weh
tun. Die schönen, schönen Füsse. Hände
sind es.
Dornen sind in ihnen
Warum bist Du nicht in mir geblieben
Dornen blühen unter Deinen Händen
Es wird alles wieder gut werden. Nun
musst Du viele Wochen liegen. Wo willst
Du liegen. In meinem Gartenzimmer beugt
der Baum sich Deinen Füssen

Jetzt will ich aufstehen
Ich lasse einen Wagen holen
Er wird mich überfahren
Ich werde Dich in den Wagen tragen
Die Dornen stechen. Leg Deine Hand auf
meine Füsse
Ich lege meinen Mund auf Deine Füsse
Wie sie stechen, die Dornen
Gleich bin ich wieder hier
Meine Füsse sind sicher schmutzig
Gleich trage ich Dich zu mir
Ich habe Durst. Er soll aber nicht hinein-
kommen
Ich hole Dir alles, Wasser und Erde und
Himmel
Ist es schlimm Herr Doktor
Knöchelbruch
Es ist doch heilbar
Wie sind Sie mit der Dame verwandt
Sie ist meine Freundin
Wo wohnen die Eltern
Sie ist von ihnen fortgegangen
Ich werde alles nötige besorgen und die
Dame vorläufig in meine Wohnung nehmen.
Wollen Sie mir bitte die Personalien auf-
schreiben.
Was wollen die Leichenträger von mir
Es sind Krankenwärter mein liebes Fräulein,
die Sie zu mir bringen wollen
Sie haben eine Totenbahre
Sie dürfen sich nicht bewegen. Glauben
Sie, dass ich Ihnen Böses tun werde
Die Leute blicken so böse, weil Sie mich
tragen müssen.
Ich lege Sie selbst auf die Bahre.
Werden Sie manchmal an mein Grab
kommen
Sie träumen, bald sind Sie wieder gesund.
Sie sind wohl nie krank gewesen
Ich bin nicht tot.
Ich trage Sie ganz vorsichtig, dass die bö-
sen Dornen nicht stechen
Sie dürfen meine Hand nicht loslassen
Ich bleibe bei Ihnen, bis Sie ganz gesund
sind
Ich muss doch viele Wochen liegen
Vielleicht geht es schneller als ich denke
Ich möchte viele viele Wochen ruhn
Fortsetzung folgt
 
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