ich es nicht wüsste. Aber dass sie sich
darüber bis zur Besinnungslosigkeit und
Dummheit aufregen sollen, nein, HerrpVest-
heim, das dürfen Sie Niemandem weis
machen. Wenn sich Einer der Opfer künst-
lerischen Glaubens ein paar Jahre durch-
gehungert und die Beschimpfungen mitge-
macht hat, die er von Ihnen erdulden muss,
weil er seine Bilder im Sturm zeigt, wenn
ihm die treufürsorgende Gattin das Paradies
gezeigt hat, in das er schnurstracks hinein-
rennt, sowie er dem Sturm entlaufen ist,
wenn er vor Ihren Beschimpfungen für den
Bagatellpreis einer Treulosigkeit sicher sein
kann, lebwohl, mein tapferer Streiter! Ich
will ihn nicht‘bewundern. Aber weil ich
ihn nicht schmähe, braucht er selbst sich
nicht für so verworfen zu halten, dass er
Verbrechen zwischen uns ersinnen muss.
Ja, Herr Westheim, nun habe ich Sie end-
lich, endlich verstanden. Es sind meine
Schuldner, die sich mit mir verzanken
müssen. Oh, was muss ich für ein Schuft
werden, damit sie mich nicht zu bezahlen
brauchen. Ein vlämischer Schriftsteller
kam nach Deutschland. Er besuchte Her-
warth Walden und begeisterte sich für ihn
in Worten und Artikeln. Und nachdem
ihm Walden mit einem Darlehen aus der
Not geholfen hatte, und da der Vlame das
Geld nicht zurückzahlen wollte, — nun,
Herr Westheim, was tat er da? Sie solltens
erraten. Der liebe Mensch schrieb einen
Artikel gegen Herwarth Walden. Hat einer
dem Sturm seine Förderung und die allge-
meine Anerkennung zu verdanken, so muss
es ihn wohl in Aufregung versetzen, wenn
er etwas unternimmt, das wie Vertrauen
zum Kunstblatt aussieht. Und was tut er
in seiner Aufregung? Er entläuft, das heisst
er geht mit sich oder mit Ihnen zu rate,
wie er entlaufen sein könnte. So ein
Stümper ist keiner, dass er dafür keinen
Grund ersinnen könnte, und wenn es meine
Nase wäre oder eine Zeichnung von Rudolf
Bauer. Wenn mans so betrachtet, dann sieht
es wirklich aus, als hätten Sie Ihre grosse
Frage nach dem Grunde des Entlaufens
nicht so übel beantwortet. Sogar besser
als Sie glauben. In ihrer Verwirrung und
Scham vergessen die Künstler, dass sie dem
nicht entlaufen können, an das sie nie ge-
bunden waren, — bis auf einen, Herr West-
heim, mit dem ich Ihnen noch einen Ver-
druss bereiten werde. Die andern aber,
die ihrer Freiheit entliefen, um sich in einen
goldenen Käfig sperren zu lassen, könnten
es schon nötig haben, sich von Ihnen se-
kundieren zu lassen. Wer entlaufen sein
will, ohne dass er entlaufen war, und darum
die albernsten Gründe erfindet, für den
wüsste ich keinen besseren Grund, als das
Vertrauen zu einem Kunstblatt und zu einem
Westheim. Mehr kann ich für Ihre Antwort
nicht tun, als in ihr den Sinn eines solchen
Unsinns zu finden. Und also ist auch Ihre
eigene zweite Beantwortung Ihrer grossen
Frage nicht besser als gar keine. Noch
immer fragen Sie vergeblich, warum Künstler
dem Geschäftsbetrieb des Herrn Walden
entlaufen. Die drei Toten können Ihnen
den Mund nicht mehr stopfen, um vor Ihnen
Ruhe zu haben. Einige Lebende haben den
Mut gefunden und es sich verbeten, dass
sie von Ihnen zu Begaunerten gemacht
werden. Oder war das auch eine plumpe
und dreiste Unterstellung? Wareri Klee,
Feininger und Jawlensky auch Schwindler
und Fälscher, als sie Ihre zweideutigen Ver-
dächtigungen so eindeutig verstanden wie
Walden und ich? Vor einem Jahr haben
Sie vergessen, darüber nachzudenken. Holen
Sies nach oder lassen Sie mich die Arbeit
für Sie besorgen! Rudolf Blümner
Inhalt
Lothar Schreyer: Buss Schrei
Vlatislav Goth: Gedicht
Herwarth Walden: Uuter den Sinnen / Eine Dichtung zwischen Menschen
Rudolf Blümner: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus / Briefe gegen
Paul Westheim / Zwölfter Brief
Jacoba van Heemskerck: Zeichnung
William Wauer: Der Wurf / Zeichnung
Alexander Archipenko: Femme se coiffant / Terracotta
September 1921
168
darüber bis zur Besinnungslosigkeit und
Dummheit aufregen sollen, nein, HerrpVest-
heim, das dürfen Sie Niemandem weis
machen. Wenn sich Einer der Opfer künst-
lerischen Glaubens ein paar Jahre durch-
gehungert und die Beschimpfungen mitge-
macht hat, die er von Ihnen erdulden muss,
weil er seine Bilder im Sturm zeigt, wenn
ihm die treufürsorgende Gattin das Paradies
gezeigt hat, in das er schnurstracks hinein-
rennt, sowie er dem Sturm entlaufen ist,
wenn er vor Ihren Beschimpfungen für den
Bagatellpreis einer Treulosigkeit sicher sein
kann, lebwohl, mein tapferer Streiter! Ich
will ihn nicht‘bewundern. Aber weil ich
ihn nicht schmähe, braucht er selbst sich
nicht für so verworfen zu halten, dass er
Verbrechen zwischen uns ersinnen muss.
Ja, Herr Westheim, nun habe ich Sie end-
lich, endlich verstanden. Es sind meine
Schuldner, die sich mit mir verzanken
müssen. Oh, was muss ich für ein Schuft
werden, damit sie mich nicht zu bezahlen
brauchen. Ein vlämischer Schriftsteller
kam nach Deutschland. Er besuchte Her-
warth Walden und begeisterte sich für ihn
in Worten und Artikeln. Und nachdem
ihm Walden mit einem Darlehen aus der
Not geholfen hatte, und da der Vlame das
Geld nicht zurückzahlen wollte, — nun,
Herr Westheim, was tat er da? Sie solltens
erraten. Der liebe Mensch schrieb einen
Artikel gegen Herwarth Walden. Hat einer
dem Sturm seine Förderung und die allge-
meine Anerkennung zu verdanken, so muss
es ihn wohl in Aufregung versetzen, wenn
er etwas unternimmt, das wie Vertrauen
zum Kunstblatt aussieht. Und was tut er
in seiner Aufregung? Er entläuft, das heisst
er geht mit sich oder mit Ihnen zu rate,
wie er entlaufen sein könnte. So ein
Stümper ist keiner, dass er dafür keinen
Grund ersinnen könnte, und wenn es meine
Nase wäre oder eine Zeichnung von Rudolf
Bauer. Wenn mans so betrachtet, dann sieht
es wirklich aus, als hätten Sie Ihre grosse
Frage nach dem Grunde des Entlaufens
nicht so übel beantwortet. Sogar besser
als Sie glauben. In ihrer Verwirrung und
Scham vergessen die Künstler, dass sie dem
nicht entlaufen können, an das sie nie ge-
bunden waren, — bis auf einen, Herr West-
heim, mit dem ich Ihnen noch einen Ver-
druss bereiten werde. Die andern aber,
die ihrer Freiheit entliefen, um sich in einen
goldenen Käfig sperren zu lassen, könnten
es schon nötig haben, sich von Ihnen se-
kundieren zu lassen. Wer entlaufen sein
will, ohne dass er entlaufen war, und darum
die albernsten Gründe erfindet, für den
wüsste ich keinen besseren Grund, als das
Vertrauen zu einem Kunstblatt und zu einem
Westheim. Mehr kann ich für Ihre Antwort
nicht tun, als in ihr den Sinn eines solchen
Unsinns zu finden. Und also ist auch Ihre
eigene zweite Beantwortung Ihrer grossen
Frage nicht besser als gar keine. Noch
immer fragen Sie vergeblich, warum Künstler
dem Geschäftsbetrieb des Herrn Walden
entlaufen. Die drei Toten können Ihnen
den Mund nicht mehr stopfen, um vor Ihnen
Ruhe zu haben. Einige Lebende haben den
Mut gefunden und es sich verbeten, dass
sie von Ihnen zu Begaunerten gemacht
werden. Oder war das auch eine plumpe
und dreiste Unterstellung? Wareri Klee,
Feininger und Jawlensky auch Schwindler
und Fälscher, als sie Ihre zweideutigen Ver-
dächtigungen so eindeutig verstanden wie
Walden und ich? Vor einem Jahr haben
Sie vergessen, darüber nachzudenken. Holen
Sies nach oder lassen Sie mich die Arbeit
für Sie besorgen! Rudolf Blümner
Inhalt
Lothar Schreyer: Buss Schrei
Vlatislav Goth: Gedicht
Herwarth Walden: Uuter den Sinnen / Eine Dichtung zwischen Menschen
Rudolf Blümner: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus / Briefe gegen
Paul Westheim / Zwölfter Brief
Jacoba van Heemskerck: Zeichnung
William Wauer: Der Wurf / Zeichnung
Alexander Archipenko: Femme se coiffant / Terracotta
September 1921
168