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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Neuntes Heft
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Blümner, Rudolf: Zur Geschichte des Sturm und des deutsche Journalismus, [12]: Briefe gegen Paul Westheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0207

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weniger als gar keine war, so könnte doch
vielleicht die zweite eine sein. Und da
ausserdem diese zweite Frage einer der
spassigsten Sätze ist, die Sie je verfasst
haben, so wird es sich auch sonst lohnen,
diesen Satz noch einmal durchzulesen.
„Sollte der Grund der Aufregung vielleicht
sein, dass gerade Künstler dieser Art immer
mehr Vertrauen zum Kunstblatt zu fassen
scheinen?“
Ich muss freilich gestehen, dass ich mich
wohl vergeblich bemühen werde, diesen
Satz ganz zu begreifen. So gross ist der
Missbrauch, den Sie da mit der deutschen
Sprache treiben, und der Mangel an Logik.
Von welcher Aufregung sprechen Sie denn?
Wer regt sich auf? Die Künstler etwa?
Es muss wohl so sein, da ich nicht wüsste,
an wen Sie sonst denken könnten. Aber
wie denn? Warum regen sich Künstler
„dieser Art“ auf? Weil sie Vertrauen zum
Kunstblatt zu fassen scheinen? Scheinen?
Scheinen? Dieses „scheinen“ muss
ihnen entschlüpft sein. Wir müssen es
noch einmal lesen. Die Künstler Ihrer
Gattung regen sich auf, weil sie Vertrauen
zum Kunstblatt zu fassen scheinen. Wer
sagt „scheinen“? Ich glaube, Sie,
Herr Westheim. Und also sind Sie der-
jenige, dem die Künstler ein solches Ver-
trauen zu fassen scheinen. Beim Teufel,
da ist es kein Wunder, wenn die Künstler
nervös werden. Ich würde mich auch nicht
wenig aufregen, wenn Sie so etwas von mir
glaubten. Wenn Sie vermuten, dass die
Künstler immer mehr Vertrauen zum Kunst-
blatt fassen, sollen sich da die Künstler
nicht aufregen? Aber um wieder ernst-
haft zu sprechen, will ich Ihnen jetzt auf
den Kopf zusagen, dass dieses „scheinen“
Ihnen entschlüpft ist. So etwas Komisches
wollten Sie nicht sagen. Und ich will es
zu meinem eigenen Nachteil darauf an-
kommen lassen, Ihren Satz so hinzuschrei-
ben, wie Sie ihn gedacht hatten:
„Sollte der Grund der Aufregung vielleicht
sein, dass Künstler dieser Art immer mehr
Vertrauen zum Kunstblatt fassen?“
Fassen, Herr Westheim, fassen wollten Sie
schreiben, nicht zu fassen scheinen.
Für diese Verkürzung Ihres drolligen Satzes
sind Sie mir einen Dank schuldig. Jetzt
regen sich die Künstler nicht mehr darüber
auf, dass Sie bei ihnen ein Vertrauen zum

Kunstblatt vermuten, sondern über ihren
eigenen Unverstand. Und da begreift man
die Aufregung gleich besser. Die Herr-
schaften haben alle Ursache, sich über ihr
Vertrauen aufzuregen. Es sieht sogar aus,
als hätten sie vor Aufregung den Kopf ver-
loren. Sie sind so aufgeregt über ihr Ver-
trauen zum Kunstblatt, dass sie dem Ge-
schäftsbetrieb des Herrn Walden entlaufen.
Und darumLeichenräuberundDefraudanten.
Der Grund des Entlaufens ist das Vertrauen
zum Kunstblatt! Dieses, Herr Westheim, ist
nun schon die elfte Auslegung Ihrer Ver-
dächtigung, wenn ich richtig gezählt habe.
Und es ist ausserdem ein so grosser Wider-
sinn, wie es eine Beleidigung der Herren
Entlaufenen ist. Franz Marc, August Macke
und Hermann Essig sind gestorben, weil
sie immer mehr Vertrauen zum Kunstblatt
fassten. Und einige Lebende haben Sie im
Verdacht, dass sie zu einem Blatt Vertrauen
fassen, dessen Herausgeber sich solche Witze
erlaubt. Vertrauen? Zu Ihnen? Was, Herr
Westheim, denken Sie von sich? Halten Sie
sich im Ernst für einen Schriftsteller oder
Kritiker, zu dem ein einziger Künstler
wahres, ehrliches Vertrauen haben kann?
Oder wissen Sie so gut wie ich, dass alle
Künstler über Sie nicht anders denken wie
ich selbst über Sie urteile und schreibe?
Wenn Sie nicht wissen, ob Sie es wissen
dürfen, dann hören Sie von mir: Sie wissen
es! Ja, Herr Westheim, so etwas Spassiges
gibts in Ihrem Leben. Sie wissen, was Sie
noch nicht zu wissen wagen. Vertrauen zu
Ihnen? Und so gross ist dieses Vertrauen,
dass die Künstler ihren Verstand verlieren?
Wenn irgend ein Hans Dampf in allen
expressionistischen Gassen in Ihrem Blatt
über einen unserer Künstler schreibt, ist es
eine Schande für den Künstler? Eine grosse
Ehre mag es nicht sein, aber warum eine
Schande? Ich war einst mit einem Kunst-
kritiker befreundet. Seitdem er mich ge-
tadelt hatte, fand er sich genötigt, mich
nicht mehr zu grüssen. Hatte er ein
schlechtes Gewissen? Warum müssen
Künstler, die ihren Einzug ins Kunstblatt
gehalten haben, dem Sturm entlaufen?
Heisst das nicht, das Schamgefühl über-
treiben? Dass Künstler, die Ihnen Repro-
duktionen gestatten, oder denen Sie diese
Gunst gewähren, oft kein Prima Gewissen
mehr haben, würde ich glauben, wenn

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