Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 13.1922

DOI Heft:
Viertes Heft
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Kunst in der Presse
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47210#0083
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Tageblatts werden nun wieder nicht wissen,
was Dauerbezieher sind, weil nämlich die
Schriftgelehrten des Tageblatts wieder nicht
deutsch können. Aber Stahl weiss, was
Kubus heisst. Woraus er schliesst, dass der
Expressionismus „eine zu den Ahnen ver-
sammelte Mode sei“. Ein kühnes Bild zwar,
geschaffen von dem Kunstkritiker, der weiss,
was Kubus heisst. Vor längerer Zeit hat
Herr Stahl einmal folgendes festgestellt.
Er habe ein Buch über Kubismus gelesen
von einem Herrn, der in Paris gewesen sei.
Dieser Herr habe von einem anderen Herrn
gehört, dass der Kubismus gestorben sei
und dass man nunmehr in Paris wie Ingres
male. Herr Stahl persönlich teilt mit, dass
er das immer gewusst habe. Der Herr
Kubismus habe überhaupt nie gelebt. In-
folgedessen habe er ganz genau gewusst,
dass dieser Herr Kubismus bald habe sterben
müssen. Was ihm nunmehr von dem Herrn
aus zweitem Munde bestätigt worden sei.
Jetzt hinwiederum, im Februar 1922, habe
er, Herr Stahl, persönlich der Eröffnungs-
feier der Marc-Ausstellung in der National-
Galerie beigewohnt. Er habe sogar per-
sönlich Briefe des Malers vorlesen hören.
Er sei sodann sogar persönlich in die Bilder-
säle hinaufgestiegen: „Aber es war ein Herab-
gleiten. Die hochgezogenen Brauen sanken
in ihre alltägliche Lage zurück. Und als
man einen der Getreuesten nach dem Ein-
druck der Bilder fragte, antwortete er:
Aber die Briefe! So steht es schon heute
um das Werk eines dieser Jungen, die man
als ewige Werte ausgeschrieben hat.“ Dies-
mal hat Herr Stahl also aus erstem Mund
etwas gehört, worauf seine Brauen in die
alltägliche Lage zurücksanken. Und tri-
umphierend schliesst dieser Herr Stahl aus
der Brauenlage, dass es so schon heute um
das Werk dieses Jungen stehe. Anerkennens-
wert bleibt immerhin, dass Herr Stahl per-
sönlich in die Bildersäle hinaufgeglitten ist,
wo ’er doch ruhig abwarten konnte,
bis er den Herrn einmal in seiner alltäg-
lichen Lage getroffen hätte. Aber so steht
es nun einmal um den Herrn Stahl. Er
schreit sich als ewigen Erkenntnis wert aus
und hat immer schon gewusst, was Kubus
heisst und was sterben wird. Er persönlich
ausgenommen. Schliesslich muss man sich
doch für die Einheitsgemeinde erhalten.
Ganz besonders aber weiss Herr Stahl auch

in der Zoologie Bescheid. Er hat das Leben
der Tiere in der Jerusalemer Strasse per-
sönlich so beobachtet, dass ihm der Franz
Marc keinen Stier für ein Behkalb malen
kann. Herr Stahl beruft sich sogar auf
Franz Marc, der nach seinen Briefen sich
selbst noch nicht genug vollkommen vor-
kam. Und das hat der Herr Stahl mit
seinem Scharfblick auch sofort erkannt.
Er brauchte nur die Bilder nicht zu sehen
und wusste trotzdem schon, was Kubus
heisst, dass Franz Marc nicht vollkommen
und der Expressionismus bei den Ahnen sei.
Da staunste! Immerhin wird der Mensch
mit dem zunehmenden Alter vorsichtiger:
„Ein Bild, ein Ganzes in Rhythmus und
Farbe, wie er wollte, hat er in diesen
Jahren des Suchens kaum geschaffen.“
Kaum ist die Vorsicht des Alters. Der
Mensch kann schliesslich auch in fünf Minuten
etwas übersehen haben. Aber man kann
nie vorsichtig genug sein: „Was wirkte und
den Glauben an seine Kraft aufrecht erhält,
sind zwei Dinge“. Nämlich nicht das Reh-
kalb hat gewirkt, sondern Herr Stahl hält
seinen Glauben an einen Hund aufrecht’und
auf einige Gelegenheitspostkarten: „Diese
kleinen Bildchen stellen seine eigentlich
schöpferischen Leistungen dar“. Nämlich:
„Während sonst überall nur Absichten zu
sehen sind, spürt man hier, wo er sich
gehen lässt, einen aus dem Wesen strömen-
den Willen“. Der strömende Wille, der
sich gehen lässt, fährt den Ansichten des
Herrn Stahl in den Weg und zwar so, dass
der kaum verstorbene Expressionismus aus
den Wolken fällt: „Marc wusste garnicht,
dass er hier die neue Malerei, die er bald
hier, bald dort in zweifelhaften Vorbildern
suchte, aus eigenem Gefühl gefunden hatte“.
Das wusste Marc nicht. Dafür weiss es
Herr Stahl, der ausserdem weiss, was Kubus
heisst. Also, um es zusammen zu fassen:
Marc hat aus eigenem Gefühl eine neue
Malerei, wenigstens auf Postkarten und auf
einzelnen Stellen von Bildern, gefunden.
Diese neue Malerei aus eigenem Gefühl
ist eine Mode, die gestorben ist. Nach ihrem
seligen Tode hält sie aber den Glauben an
ihre Kraft aufrecht und wirkt gelegentlich
selbst auf Herrn Stahl. Für wen das nicht
eine klare Analyse ist, der kann unmöglich
die Bücher der „geistigen Führer dieser
merkwürdigen Kunstgemeinde“ verstehen.

63
 
Annotationen