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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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9. Heft
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Hausmann, Raoul: Tanz
DOI article:
Arendt, Erich: Sterben blutenfleck
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0182
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gusskultur war das Gehen fremd. Die
weisse Rasse lernte das Gehen in Amerika
von den Indianern und Negern. Immer
ist das Gehen dem Weissen noch eine
seelische Vorstellung. Er kommt auf
seinen Beinen nicht vom Ort. Da Gehen
eine Veränderung des Ortes in der
Sekunde ist, scheiden Wertunterschiede
von Fuss bis Kopf aus. Der Tanz bewegt
gleichwertig den ganzen Körper. Die
Bewegung gibt dem Körper von Fuss bis
Kopf Ortsfunktion in jeder Sekunde.
Kein Körperteil funktioniert ideell, see-
lisch oder erotisch. Alle Körperteile
stellen gleiche Werte der Bewegung dar.
Alle Körperteile funktionieren divisio-
nistisch miteinander oder gegeneinander.
Sie besitzen die Vielfalt des Ortes und
der dem einzelnen Körper eigenen Viel-
falt der Reakion auf die Sekunde. Der
Tanzort wird von den Körperteilen auf-
genommen und durch die musikalische
Variation der Sekunde verändert. Die
Musik als reines Sekundenelement ist
nicht vom Tanz zu trennen. Tänze ohne
Musik sind stets idelogisch, seelisch oder
erotisch. Nur muss die Musik inhaltlos
und problemlos sein, Sekundenver-
schiebung, wie der TanzOrtsverschiebung-
Ohne Inhalt oder Bedeutung als der der
reinen Bewegung. Im Tanz erfasst der
Körper den Ort und die Sekunde. Ohne
Idee, ohne Seele, ohne Erotik. Die Idee,
die Seele, die Erotik ist nur erforderlich
zur Ausnutzung von Umständen. Der
Tanz ist kein Umstand. Die Musik
ist kein Umstand. Musik ist die
Kunst der Zeitveränderung. Tanz ist
die Kunst der Ortsveränderung. Kunst
ist wie Technik das Resultat der grössten
Wirkung durch grösste Ökonomie der
Mittel. Der Läufer läuft ohne Idee.

Der Boxer boxt ohne Seele. Der
Schwimmer schwimmt ohne Erotik. Eben-
so geht der Tänzer zweckmässig von der
Sekunde des Ortes aus.

Sterben blutenfieck
Flases Fassen bleichhaft schmerzer Stirne . . .
bebe Hände flarren schwirr verstorben . . .
strahe Blicke steinwucht weitab dumpfen
hin auf fratzer Menschenlarven Erz.
Lachrot glirre Sonnen bleisack stumpfen . . .
röchelt Sticken schwell in welke Hirne . . .
fern im Augenschliessen blähst umwoben
schmelzen Nächte milb das heisse Herz.
Mondgerisse, zucke Nächte kerben:
klaffe Wunde kriss das Sehnen rasend.
Sägezerr gehiebte Ängste blechern . . .
Schweres Grauen schlitzt die Munde krumm.
Donnernd steigt die Stille aus dem Sterben,
buckelt tief in Himmel glei verglasend . . .
Zacke Flüche löchern Himmel brechern . . .
Monde neigen Bahnen blutgelb, stumm.
Gleiss zerströmet gellet Schrei nach oben:
Zahllos strammte Schmerz den Pfeil
gewuchtet . . .
Küsse gilben dünn und Wahnen lodert.
Knistern raschelt See ab stirr gebuchtet.
Schläfern fitzt Genebel knöcherfab gewoben ...
Schlenker Kahn der Welt fast steht.
Sternlicht prell zertümpelt modert . . .
Wirre filbert — glast — verweht.
Erich Arendt

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