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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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11. Heft (Sonderheft Architektur)
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Loos, Adolf: Die moderne Siedlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0211
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gibt es Mauern rechts und links. Für den
Fall, daß zwei Siedler bezüglich der Mauer-
umfriedigung ihre Gärten Zusammenlegen, so
hat der eine Siedler morgens volle West-
sonne, der andere Siedler volle Ostsonne
auf seiner Mauer, am Abend umgekehrt.
Diese Mauern werden mit Spalierobst be-
pflanzt. Bäume hat es überhaupt im Garten
nicht zu geben. Der Baum ist ein unsoziales
Wesen. Er gibt nicht den Schatten demjenigen,
der ihn haben will, sondern gewöhnlich dem
Nachbar. Ein Baum im Garten ist ein Unglück,
eine Ursache von Zank und Streit. Außer-
dem weigert sich ein Deutscher, einen Baum
zu fällen; der Deutsche ist kein Amerikaner,
der den Baum fällt, wenn sein Erträgnis
nachläßt. Wenn Sie heute an Leipzig vor-
überfahren, so werden Sie zahlreiche Schreber-
gärten sehen: Ein wildes Buschwerk von
Obsibäumen, fast ohne Ertrag. Das sind
keine Gärten mehr, die Leute haben gar nichts
davon. Sie besuchen den Garten höchstens
zur Pflaumen- oder Äpfelernte und damit
ist der Schrebergarten erledigt. Es fällt keinem
mehr ein, einen solchen Garten im Laufe des
Jahres zu betreten. Es ist Dickicht. Daher
darf kein Baum gepflanzt werden außer
Spalierobst.
Für den Fall, daß der Bebauungsplan nicht
nur aus Straßen bestehen kann, die scharf
von Osten nach Westen gehen, dann soll
trotzdem der Garten von Norden nach Süden
gerichtet sein. Die Häuser stehen daher nach
der Straßenseite wie die Zähne einer Säge
(s. Abb. 3).
Das Siedlerhaus hat vom Garten aus ent-
worfen zu werden, denn vergessen wir nicht:
Der Garten ist das Primäre, das Haus das
Sekundäre.
Fragen wir zuerst, welche Räume ein Haus
haben muß.

Vor allen anderen einen Abort mit Dung-
verwertung. Ein Wasserklosett darf es im
Siedlungshaus nicht geben, denn der Dünger,
die Abfallstoffe des ganzen Hauses samt den
menschlichen Fäkalien sind notwendig für die
Bodenbereitung. Da ist es wichtig, daß man
eine Art Tonnensystem oder Kübelsysiem hat,
auf keinen Fall eine große Düngergrube.
Das darf es nicht geben, das wäre sehr anti-
sozial. Wenn eine solche Grube nur alle
halbe Jahre einmal ausgeleert wird, dann
können Sie sich vorstellen, welch gewaltiger
Gestank da entsteht, den nicht nur der eigene
Grubenbesitzer, sondern die ganze Siedlung
zu ertragen hat. Wenn ein jeder Siedler von
einem Tag zum andern, der eine heute, der
andere morgen, diese Grube entleert, dann
kommt die arme Siedlung aus dem Gestank
nicht heraus. Der Kübel ist täglich auf den
ersten Komposthaufen zu entleeren und um-
zuschaufeln. Eine solche Möglichkeit macht
die ganze Siedlung geruchlos. Es sind drei
Komposthaufen anzulegen. Der Kompost-
haufen soll, wenn er mit allen Abfallstoffen
vermischt ist, ein Jahr daliegen, um ganz
durchgären zu können. Es darf nicht der
Kübel auf das arme Gemüse gebracht werden.
Das riecht man besonders bei dem Blumen-
kohl sehr stark. - Dieser Abort darf daher
auf keinen Fall innerhalb des Hauses an-
geordnet werden. Es gibt noch kein deutsches,
aber ein englisches Gesetz, das verbietet, daß
der Abort vom Hausinnern betreten werden
kann. Er kann im Grundriß des Hauses
liegen, aber die Türe muß ins Freie führen.
Wenn man den Weg zum Abort mit Hilfe
eines Regendachs oder eines Vorbaus im
1. Stock regensicher macht, um so besser
für die Hausbewohner. Die Angst, daß man
sich erkältet und andere so schöne städtische
Dinge, sind hier lächerlich. 80 Prozent der
Einwohner Amerikas gehen auf diese Art

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