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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 20.1929-1930

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Heft 2/3
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Stojanoff, Ludmil: Der Marsch: Fragmente aus der Novelle "Steinzeit"
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https://doi.org/10.11588/diglit.47222#0040
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Der Marsch
(Fragment aus der Novelle „Steinzeit“)
Ludmil Stojanoff
Früh kam der Herbst und wir marschieren,
marschieren Seltsames Schweigen liegt über
der Erde. Die wilde steinerne Wüste, in-
mitten welcher wir marschieren, drückt uns
mit eisiger Gleichgültigkeit. Große Schweiß-
tropfen rinnen von den Stirnen, alle atmen
schwer, niemand spricht. Die kalten Granit-
blöcke, die von den Gipfeln heruntergerissen
wurden, die niedrigen Sträucher und seltenen
Bäume sehen auf uns mit seltsamen Blicken.
Todmüdigkeit drückt uns. Schweigsam und
finster schreitetvorne der ungesellige Burssuk
und sein breiter Rücken verrät unbesiegbare
Entschlossenheit. Mit der Hand über den
Augen, um sich vor den Sonnenstrahlen zu
schützen, betrachtet er genau im Westen
die stolze Erscheinung der Blauen Gebirge,
scharf, durchdringend und anhaltend, als
wenn er hinter das Erkennbare schauen
wolle, schüttelt ungläubig seinen Kopf und
schreitet weiter mit seinem schweren, plumpen
Gang.
Wir bewegen uns langsam mit mechanischer
Ergebenheit hinter den großen geduldigen
Pferden, auf deren starken Rücken wie
schwarze Tierkadaver die furchtbaren Ma-
schinen des Todes liegen.
Es vergehen viele Tage. Wir folgen dem
sich zurückziehenden Feind auf den Fersen.
Das besiegte und unterworfene Land hat
sein Herz für uns verschlossen. Von den
unbetretbaren Gebirgskämmen fallen ver-
einzelte Salven; wir halten an, nehmen die
schwarzen Eisenungetüme herunter und
wenden ihre unheilkündenden Schlunde.

Wir wissen nicht, wo man auf uns im Hinter-
halt lauert. Alles ringsum, die Erde und
der Himmel, die Wälder, die Flüsse und
die Engpässe atmen drohende Feindlichkeit.
Und von irdendeiner geheimen Macht ge-
drängt marschieren wir immer vorwärts,
immer vorwärts, und vor uns, wie ein
trauriger Vorbote, gleitet das graue Gespenst
des Herbstes.
Wir alle sind Schicksalskameraden. Doch
niemand wußte um den seelischen Zustand
des Einzelnen. Bekleidet mit Schafsfellen,
gealtert und hinkend schon, haben sie ein
müdes und gleichgültiges Aussehen, als wenn
ihnen die Natur während einem tausend-
jährigen Kampf den finsteren Stempel der
Ausgestoßenheit aufgedrückt hätte. Sie sind
wirkliche Kinder der Erde, Schäfer und
Pflüger, mit verbrannter und aufgesprunge-
ner Haut, mit geöffneter, schwarzbehaarter
Brust. Der Granit hatte ihnen von seiner
Ausdauer gegeben, aber wie auf dem Granit
hat die Zeit auch auf ihnen fürchterliche
und schicksalsschwere Verwüstungen ange-
richtet. Heute ertragen sie die Prüfungen
des Schicksals unbewußt und ergeben,
empfangen den Tod ohne einen Ton des
Protestes. Und nur allein derjenige, der
Vorstellung von dem Grauen unserer Lage
hatte, konnte in ihren Seelen die von dem
Staub der Vergangenheit bedeckten und
von der Zeit verwischten Schriften einer
fernen Primitivität lesen.
In den ersten Tagen reizte uns immerhin
noch das bittere Geheimnis der Finsternis
und Ungewißheit. Es war uns, als bewegten
wir uns inmitten einer Legende von Hero-
ismus und aufopfernder Größe. Aber bald
verschwand diese Stimmung, nicht zuletzt
unter dem Druck der Landschaft, einem
schwarzen feuchten Gefängnis gleichend.

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