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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 20.1929-1930

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Heft 2/3
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Stojanoff, Ludmil: Der Marsch: Fragmente aus der Novelle "Steinzeit"
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https://doi.org/10.11588/diglit.47222#0041

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Manchmal war es uns, als liefen wir in einem
verzauberten Kreis. Vom Himmel nieselte
es dünnen Regen. Aus den bröckeligen
Abhängen sprangen wilde Bäche, rasender
Sturmwind stieß in unser Gesicht. Schwere
Tage kamen für uns, regnerische und nebelige
Tage, voll Wildheit und finsterer Häßlich-
keit. Wir schritten über die kotigen Wege
mit ergebenen und teilnahmslosen Mienen,
wie Menschen, die zu ewigem Wandern
und ewigem Krieg verurteilt sind.
Abends halten wir an einem dunklen schweig-
samen Wald und richten unser Lager ein.
Für eine kurze Zeit ist die Müdigkeit ab-
gelegt, die zornige Verbissenheit gestillt,
sind die nutzlosen Flüche heruntergeschluckt.
Elenoff bringt Buchenäste und macht Feuer.
Grobe erfrorene Hände strecken sich nach
seinen kupfernen Blumen, die Gestalten
werfen Riesenschatten in der Dunkelheit
und mit gekreuzten Beinen, schweigsam
und finster, sitzt der düstere Burssuk.
Ringsum nur das Murmeln halblauter Ge-
spräche. Hoch über uns, in der tauben Tiefe
der Nacht wiegt sich der ungeheuere zer-
zauste Vorhang des Nebels, das Schweigen
wickelt uns langsam in seinen Mantel und
allmählich erlischt das Feuer. In dem
dämmerigen Schleier des Nebels erscheinen
die Bäume wie Gespenster und der Mond
wird zu einem verschwommenen formlosen
Fleck.
Morgens marschieren wir weiter. Der Nord-
wind bläßt die Novembertrompete. Der
Regen hört auf, die schweren feuchten Winde
heben sich, die fernen Gebirge tauchen in
bleigrauem Ton unter. Schwere Ahnungen
werden in uns wach. Immer marschieren,
marschieren wir nach dem Westen. Unser
Marsch hat kein Ende. Viele essen schon
Wurzeln.

Zusammen mit dem Unglück des Hungers
und der Krankheiten überkommt uns auch
das Grauen des Todes. Es ist eine unsicht-
bare Pest, unerwartet und brutal, sie wird
von Mensch auf Mensch übertragen. Dagegen
machtlos, treten wir ihr stoisch gegenüber
und warten auf den Tod, mit zusammen-
gebissenen Zähnen. Und wenn sogar der
große, kräftige Elenoff fällt, begreifen wir,
daß für uns alles verloren ist. Er ist
fürchterlich anzublicken. Sein gigantischer
Körper zittert wie Espenlaub und er schreitet
mit langsamen, unsicheren Schritten, bis ihn
die Agonie niederreißt. Und unsere finstere
Karawane schreitet fort, hinauf auf dem
engen Gebirgswege, und über uns pfeifen
die Winde des Winters.
Der erste Schnee fällt. Erschöpft sterben
auch die Pferde oder versinken in den
Gebirgsabgründen zusammen mit den Leuten
und den Maschinengewehren. Wir irren wie
blind durch dieses steinerne Labyrinth des
Todes, ohne Gedanken, ohne Ziel, ohne
Kampf, ohne zu wissen wohin, ohne zu
verstehen warum. Das dauert viele Tage.
Wir klettern auf die wilden Felsenkämme,
erfroren, erschöpft und bleich in der unend-
lichen Schneewüste. Nichts zeigt, daß dieser
ewige Weg ein Ende nehmen wird. Taube
Apathie übermannt alle, viele schlafen im
Gehen. Endlich halten wir an. Mitten im
Herz des Gebirges. Eiserner Winter über-
fällt uns. Es ist grausig zu sehen, wie neben
den ausgegangenen Feuern die einge-
schlafenen Leute bedeckt mit weißer Decke
erwachen, morgens, wenn im Himmel und
auf der Erde eine unendliche Stille herrscht.
Die Felsen hängen weiß und drohend, wie
bereit einzustürzen und die Welt zu zer-
quetschen — hängen über jeden Weg, wo
grausame Schneestürme Lawinenhaufen und

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