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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 20.1929-1930

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Heft 5/6 (Sonderheft Sowejtunion)
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Walden, Herwarth: Tiflis, die Weltstadt des Kaukasus
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Walden, Herwarth: Charkow
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https://doi.org/10.11588/diglit.47222#0093

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I

Arbeiter kostet 6 Millionen Goldrubel. Das
Gebäude ist ein Meisterwerk der technischen
Architektur. Man hat durch eine geniale
Konstruktion das Problem gelöst, außer-
ordentlich viel Licht, aber keine Sonne in
die Fabrik zu lassen. Logische und rationelle
Verteilung der Räume für besondere Zwecke.
Große Garderoben und Duschen für die
Arbeiter. Speisesäle und Erholungsräume.
In den neuen Fabriken wird alles so hygie-
nisch und ästhetisch angelegt, daß die Arbeit
Beschäftigung, kein Dienst mehr ist. Ma-
schinen der neuesten deutschen und englischen
Konstruktionen. Fast jede Gewerkschaft hat

ihren Winterklub und Sommergarten. Der
schönste gehört der Druckergewerkschaft
mit 2000 Mitgliedern. Die Sommerbibliothek
dieses Klubs enthält 20000 Bücher. Bevor-
zugt wird von den Lesern hier die neue
französische Literatur in Übersetzung. Nicht
weniger als 40 Nationalitäten leben in der
Republik Georgien im besten Einvernehmen.
Trotzdem jede Nation ihre Sprache spricht
und die größeren nationalen Einheiten völlig
selbstständige Verwaltung haben, ist kein
nationaler Chauvinismus entstanden. Ge-
orgien ist ein Musterland politischer und
sozialistischer Kultur.

Charkow
Herwarth Walden
* Die Ukraine ist nicht, die Ukraine war nicht,
und die Ukraine wird nicht sein. Das hat
Peter der Große persönlich falsch prophezeit
und dem Lande großzügig den Namen
Klein-Rußland gegeben. Um die Großrussen
nicht mit der Erlernung der ukrainischen
Sprache zu bemühen, wurde sie schlicht
verboten. Da sollten sich lieber die lumpigen
30 Millionen Ukrainer anstrengen und
russisch lernen. Die Balkanvölker hatten
sich schon vorher für Peter den Großen
gesorgt und eine nette Handelsniederlage
namens Kiew gegründet. Da Kaufleute viel
Zeit haben, auch die entsprechende Kultur
£ mitgebracht. Man brauchte nur noch die
nötige Zahl Kirchen und Klöster zu bauen
und die Hauptstadt Klein-Rußlands war
fertig. Sie hat die Schönheit der Ver-
gangenheit, die Romantik etwa einer italie-
nischen Stadt. Hier kann man träumen.

In Natur und in Museen. Die Ukrainer
aber wollen wachen. Man brauchte Platz
und Atemfreiheit. Man mußte niederreißen
können ohne Rücksicht auf Altertümer, die
der verehrten Großmutter Geschichte wegen
geschont werden müssen. Nur Kinder sind
ohne Tradition. Die Ukrainer der Sowjet-
Union schufen sich die neue Hauptstadt
Charkow. Aus einer harmlosen, vernach-
lässigten Provinzstadt ohne Kanalisation
entwickelte sich in wenigen Jahren eine
Großstadt. Eine Industriestadt. Die geringe
Zahl Fabriken, die das revolutionäre Prole-
tariat von der Bourgeosie übernehmen
konnte, genügen schon jetzt den Ansprüchen
nicht mehr und sind oder werden moderni-
siert und erweitert. Neue Fabriken sind
entstanden. Zwei Neubauten sind besonders
charakteristisch für die Entwicklung der
Stadt und der sozialistischen Ukraine. Auf
einer Fläche von 51000 qm erhebt sich
der „Industriepalast“, das Zentralbüro aller
Trusts. Eisenbeton. Zwölf Stock hoch.
Ein Meisterwerk der modernen Zweck-

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