Vermittlung
Herwarth Walden
Der Herr Regierungsassessor a. D. strich sich
nachdenklich dreimal über sein sechsundfünfzig-
jähriges Haar. Nichts kann man diesen Par-
venüs recht machen. Schon seit fünfundzwanzig
Jahren berät er alle besseren Familien beim
Einkauf und auch gelegentlich beim Verkauf
von Wohnungseinrichtungen, Kleinmöbeln und
Kunstwerken. Seit jener Zeit, als man ihm
nahelegte, den Staatsdienst zu quittieren, da
seine nationalliberale Anschauung nicht genehm
sei. Man mußte verdienen. Er entdeckte plötz-
lich seinen sicheren Geschmack. Und da die
anderen ihn auch nicht hatten, wendete man
sich vertrauensvoll an den Regierungsassessor
a. D. Er beriet die Jungvermählten zweiter,
dritter und vierter Ehe in der Anschaffung von
Stilmöbeln, brachte ihnen dezent das Unter-
scheidungsgefühl für Renaissance und Bieder-
meier bei. Sorgte für unpassende Tapeten, ver-
mittelte falsche Rembrandts und echte Lieber-
manns. Auch in Kleinplastiken und Halbleder-
bibliotheken hatte er die nötigen Erfahrungen.
Nebenbei besorgte er Klavierlehrerinnen, promi-
nente Künstler für Abendgesellschaften, Tänze-
rinnen mit Kinderstube, Kunstmaler, die bei
Herrenfrühstücken bauchreden können. Stellte
jede Art von Partien zusammen: nach Onkel
Toms Hütte, Bridge, Einheirat in Landgüter,
alles mit und ohne Damen. Er schätzte Schmuck,
Menschen und Alkohol, überschätzte was gut
und unterschätzte, was besser war. Er half zu
Ehen und Ehebrüchen. Kurz, er war der Rat-
geber der besten Menschen in allen vorkom-
menden Fällen. Sein Ruhm war, daß man ihm
ein Honorar gleichsam aufzwingen mußte. Er
nahm nur Geschenke als Andenken. Die
liefernden Firmen fühlten sich durch das über-
normale Provisionsbegehren des Regierungs-
assessors a. D. schwer benachteiligt. Aber was
sollte man machen. Er war nun einmal der
anerkannte Ratgeber der besten Gesellschaft.
Die Firmen mußten ihm jeden Anspruch be-
willigen, sonst ging er zu den vielen Kon-
kurrenzen. Schließlich wurde von allen Rat-
suchenden doch das getan, gekauft und bezahlt,
was er vorschlug.
Wieder strich er sich dreimal gegen den Strich,
daß selbst die Brillantine ihren Halt verlor und
die Haare sich unkorrekt sträubten. Eine dumme
Geschichte. Frau Großkaufmann Schulz-Greifs-
wald wünschte ein Marinestück, wie sie es in
der Kunsthandlung von Schulz-Berlin gesehen
hatte. Der Regierungsassessor a. D. sollte es
beschaffen. Es sollte genau nach dem Original
ein neues Original gemalt werden, weil ihr
das Meer auf dem ersten Original zu unruhig
war. Ins Esszimmer gehört Ruhe und gerade
hier hat man am wenigsten Neigung seekrank
zu werden.
Das Bild wurde vom Regierungsassessor mit
Änderung bestellt, in wenigen Tagen geliefert
und treu überzahlt. Aber Frau Schulz-Greifs-
wald, mißtrauisch gegen Berlin und die Berliner,
verglich das erste Original mit dem zweiten
und stellte sofort fest, daß Berlin sie betrogen
hatte. Auf dem ersten Original mit dem un-
ruhigen Meer gab es vier Schiffe, auf ihrer
Erwerbung hingegen nur drei. Es fehlte also
das Pendent. Das dritte Schiffchen schwamm
gleichsam im Leeren. Und außerdem hatte
man ihr bei den teuren Zeiten das Bild mit
drei Schiffen so teuer berechnet wie das mit
vier. Frau Schulz-Greifswald hatte ein sehr
erregtes Telephongespräch mit dem Regierungs-
assessor a. D. Sie verlangte das vierte Schiff-
chen oder die Rücknahme des Bildes. Der
Regierungsassessor hatte eine ernste Konferenz
mit seinem Rechtsanwalt. Der glaubte nicht,
daß der Kunsthändler zur Rücknahme des
Bildes verpflichtet sei. Hingegen könnte man
vielleicht einen Teilbetrag der Kaufsumme
zurückfordern. Wegen Minderung. Frau Kom-
merzienrat Schulz-Greifswald hatte dem Sinne
nach vier Schiffchen bestellt und nur drei er-
halten. Auch der Dolus käme in Frage.
Der Regierungsassessor haßte Prozesse. Außer-
dem hatte er die fünfzigprozentige Provision
80
Herwarth Walden
Der Herr Regierungsassessor a. D. strich sich
nachdenklich dreimal über sein sechsundfünfzig-
jähriges Haar. Nichts kann man diesen Par-
venüs recht machen. Schon seit fünfundzwanzig
Jahren berät er alle besseren Familien beim
Einkauf und auch gelegentlich beim Verkauf
von Wohnungseinrichtungen, Kleinmöbeln und
Kunstwerken. Seit jener Zeit, als man ihm
nahelegte, den Staatsdienst zu quittieren, da
seine nationalliberale Anschauung nicht genehm
sei. Man mußte verdienen. Er entdeckte plötz-
lich seinen sicheren Geschmack. Und da die
anderen ihn auch nicht hatten, wendete man
sich vertrauensvoll an den Regierungsassessor
a. D. Er beriet die Jungvermählten zweiter,
dritter und vierter Ehe in der Anschaffung von
Stilmöbeln, brachte ihnen dezent das Unter-
scheidungsgefühl für Renaissance und Bieder-
meier bei. Sorgte für unpassende Tapeten, ver-
mittelte falsche Rembrandts und echte Lieber-
manns. Auch in Kleinplastiken und Halbleder-
bibliotheken hatte er die nötigen Erfahrungen.
Nebenbei besorgte er Klavierlehrerinnen, promi-
nente Künstler für Abendgesellschaften, Tänze-
rinnen mit Kinderstube, Kunstmaler, die bei
Herrenfrühstücken bauchreden können. Stellte
jede Art von Partien zusammen: nach Onkel
Toms Hütte, Bridge, Einheirat in Landgüter,
alles mit und ohne Damen. Er schätzte Schmuck,
Menschen und Alkohol, überschätzte was gut
und unterschätzte, was besser war. Er half zu
Ehen und Ehebrüchen. Kurz, er war der Rat-
geber der besten Menschen in allen vorkom-
menden Fällen. Sein Ruhm war, daß man ihm
ein Honorar gleichsam aufzwingen mußte. Er
nahm nur Geschenke als Andenken. Die
liefernden Firmen fühlten sich durch das über-
normale Provisionsbegehren des Regierungs-
assessors a. D. schwer benachteiligt. Aber was
sollte man machen. Er war nun einmal der
anerkannte Ratgeber der besten Gesellschaft.
Die Firmen mußten ihm jeden Anspruch be-
willigen, sonst ging er zu den vielen Kon-
kurrenzen. Schließlich wurde von allen Rat-
suchenden doch das getan, gekauft und bezahlt,
was er vorschlug.
Wieder strich er sich dreimal gegen den Strich,
daß selbst die Brillantine ihren Halt verlor und
die Haare sich unkorrekt sträubten. Eine dumme
Geschichte. Frau Großkaufmann Schulz-Greifs-
wald wünschte ein Marinestück, wie sie es in
der Kunsthandlung von Schulz-Berlin gesehen
hatte. Der Regierungsassessor a. D. sollte es
beschaffen. Es sollte genau nach dem Original
ein neues Original gemalt werden, weil ihr
das Meer auf dem ersten Original zu unruhig
war. Ins Esszimmer gehört Ruhe und gerade
hier hat man am wenigsten Neigung seekrank
zu werden.
Das Bild wurde vom Regierungsassessor mit
Änderung bestellt, in wenigen Tagen geliefert
und treu überzahlt. Aber Frau Schulz-Greifs-
wald, mißtrauisch gegen Berlin und die Berliner,
verglich das erste Original mit dem zweiten
und stellte sofort fest, daß Berlin sie betrogen
hatte. Auf dem ersten Original mit dem un-
ruhigen Meer gab es vier Schiffe, auf ihrer
Erwerbung hingegen nur drei. Es fehlte also
das Pendent. Das dritte Schiffchen schwamm
gleichsam im Leeren. Und außerdem hatte
man ihr bei den teuren Zeiten das Bild mit
drei Schiffen so teuer berechnet wie das mit
vier. Frau Schulz-Greifswald hatte ein sehr
erregtes Telephongespräch mit dem Regierungs-
assessor a. D. Sie verlangte das vierte Schiff-
chen oder die Rücknahme des Bildes. Der
Regierungsassessor hatte eine ernste Konferenz
mit seinem Rechtsanwalt. Der glaubte nicht,
daß der Kunsthändler zur Rücknahme des
Bildes verpflichtet sei. Hingegen könnte man
vielleicht einen Teilbetrag der Kaufsumme
zurückfordern. Wegen Minderung. Frau Kom-
merzienrat Schulz-Greifswald hatte dem Sinne
nach vier Schiffchen bestellt und nur drei er-
halten. Auch der Dolus käme in Frage.
Der Regierungsassessor haßte Prozesse. Außer-
dem hatte er die fünfzigprozentige Provision
80