Das Märchen vom neuen Künstler
Walter Seidl
Der neue Künstler stand endlich vor der
allmächtigen Königin.
Ihre Fülle, von krachender Seide mühsam
zusammengehalten, zerfloß auf dem er-
höhten prunkvollen Thron. Der war nicht
von edelstem Geschmack. Denn sie war
erst vor kurzem zum Range der Königin
emporgeraten. — Sie stank nach läufigen
Katzen. Wangen und Lippen traten in
unnatürlichem Karmin aus ihrem ruinierten
bleichbestaubten Antlitz. Wuchtiger als
die Platinsäulen, die den königlichen Sitz
trugen, lasteten ihre unwahrscheinlichen
Beine auf dem azurblauen Teppich. Die
Knie, wie Sonnen darüber, gingen in
massige Schenkel über, für die Untertanen
noch sichtbar. In der Linken den Punkt-
roller, in der Rechten die güldene Puder-
dose, regierte sie launenhaft und tyran-
nisch. Um sie herumgestellt ihr Gefolge:
die Hauptaktionäre beherrschender Unter-
nehmungen.
Aus hängenden, schattigen Tränensäcken
erfaßten die belladonnadurchglühten
Augen der Königin des Künstlers elende
Gestalt zu ihren Füßen, seine verkommene
Physiognomie:
„Wir haben deine Erscheinung beschworen.
Man soll Uns nicht nachsagen, Wir hätten
für Künste keinen Sinn! Unser Leib-
pediceur ist dein Freund, er hat für dich
gesprochen. Wir wollen versuchen, dir
aufzuhelfen. Was kannst du?“
Erschöpft von dieser langen Rede und
ohne Atem fiel die Königin an die Thron-
lehne zurück. Der Künstler wollte zu
sprechen anheben, hundert Hände machten
ihm Zeichen, daß er warte. Der Dekan
der medizinischen Fakultät und Ueber-
wirklich Geheimer Medizinalrat stach ihr
mit einer Spritze in den Schenkel.
„Sprich!“ — röchelte endlich die Königin.
„Kurz und präzise!“ setzte der Zentral-
direktor ihres Hauses flüsternd hinzu.
„Erhabene Herrscherin —“, begann ver-
wirrt der Künstler, „— mächtige Herren!
Ich habe mein Werk in Dunkelheit und
Verlassenheit geschaffen. Das Dunkel
und die Verlassenheit töten mich jetzt,
da es fertigsteht. Helft mir ans Licht!
Kennt mein Werk und wertet es! Ihr
werdet reicher an ihm werden!“
Einige Bewegung rann bei seinen letzten
Worten in die Reihen der Höflinge:
„Phantast, sag ich Ihnen! — Was heißt!
Wissen Sie? — Bittsi! — Versuch —
rationelle Organisation — Versuchen Sie !
Ich nicht. — Könnte man!—vorsichtig -—“
Die Königin erhob Schweigen gebietend
den Punktroller:
„Welche Branche betreibst du, Künstler?“
„Königin! Ich fühle so viel, was euch
verborgen bleibt. Das alles gestalte ich.“
„Zum Beispiel?“
„Die Blumen der seltsamsten Träume sind
in meinem Werk —“
„Blumen sind schlecht.“
„Mein Werk, o Königin, spricht eben-
diesen Gedanken aus!“
Der Zentraldirektor machte auf seiner
Stirn dem Künstler ein Zeichen:
62
Walter Seidl
Der neue Künstler stand endlich vor der
allmächtigen Königin.
Ihre Fülle, von krachender Seide mühsam
zusammengehalten, zerfloß auf dem er-
höhten prunkvollen Thron. Der war nicht
von edelstem Geschmack. Denn sie war
erst vor kurzem zum Range der Königin
emporgeraten. — Sie stank nach läufigen
Katzen. Wangen und Lippen traten in
unnatürlichem Karmin aus ihrem ruinierten
bleichbestaubten Antlitz. Wuchtiger als
die Platinsäulen, die den königlichen Sitz
trugen, lasteten ihre unwahrscheinlichen
Beine auf dem azurblauen Teppich. Die
Knie, wie Sonnen darüber, gingen in
massige Schenkel über, für die Untertanen
noch sichtbar. In der Linken den Punkt-
roller, in der Rechten die güldene Puder-
dose, regierte sie launenhaft und tyran-
nisch. Um sie herumgestellt ihr Gefolge:
die Hauptaktionäre beherrschender Unter-
nehmungen.
Aus hängenden, schattigen Tränensäcken
erfaßten die belladonnadurchglühten
Augen der Königin des Künstlers elende
Gestalt zu ihren Füßen, seine verkommene
Physiognomie:
„Wir haben deine Erscheinung beschworen.
Man soll Uns nicht nachsagen, Wir hätten
für Künste keinen Sinn! Unser Leib-
pediceur ist dein Freund, er hat für dich
gesprochen. Wir wollen versuchen, dir
aufzuhelfen. Was kannst du?“
Erschöpft von dieser langen Rede und
ohne Atem fiel die Königin an die Thron-
lehne zurück. Der Künstler wollte zu
sprechen anheben, hundert Hände machten
ihm Zeichen, daß er warte. Der Dekan
der medizinischen Fakultät und Ueber-
wirklich Geheimer Medizinalrat stach ihr
mit einer Spritze in den Schenkel.
„Sprich!“ — röchelte endlich die Königin.
„Kurz und präzise!“ setzte der Zentral-
direktor ihres Hauses flüsternd hinzu.
„Erhabene Herrscherin —“, begann ver-
wirrt der Künstler, „— mächtige Herren!
Ich habe mein Werk in Dunkelheit und
Verlassenheit geschaffen. Das Dunkel
und die Verlassenheit töten mich jetzt,
da es fertigsteht. Helft mir ans Licht!
Kennt mein Werk und wertet es! Ihr
werdet reicher an ihm werden!“
Einige Bewegung rann bei seinen letzten
Worten in die Reihen der Höflinge:
„Phantast, sag ich Ihnen! — Was heißt!
Wissen Sie? — Bittsi! — Versuch —
rationelle Organisation — Versuchen Sie !
Ich nicht. — Könnte man!—vorsichtig -—“
Die Königin erhob Schweigen gebietend
den Punktroller:
„Welche Branche betreibst du, Künstler?“
„Königin! Ich fühle so viel, was euch
verborgen bleibt. Das alles gestalte ich.“
„Zum Beispiel?“
„Die Blumen der seltsamsten Träume sind
in meinem Werk —“
„Blumen sind schlecht.“
„Mein Werk, o Königin, spricht eben-
diesen Gedanken aus!“
Der Zentraldirektor machte auf seiner
Stirn dem Künstler ein Zeichen:
62