Zwiegespräch
zwischen Jessenin und Majakowsky
Wladimir Pokrowsky
MAJAKOWSKY: Wer da? Kann in der
Dunkelheit nichts unterscheiden.
JESSENIN: Besucher meiner Art erscheinen
nur nachts.
MAJAKOWSKY: Diebe?
JESSENIN: Und Tote.
MAJAKOWSKY: Jessenin? Sie?
JESSENIN: Ich möchte mich mit Ihnen unter-
halten.
MAJAKOWSKY: Hm . . . Das hat seine
Schwierigkeiten.
JESSENIN: Ziehen Sie tatsächlich den Schlaf
einem solchen Gespräch mit mir vor?
MAJAKOWSKY: Nein, nicht auf den Schlaf
kommt es an. Aber . . . aber ein Ge-
spräch mit einem Toten ist etwas . . . .
metaphysisch. Und würde mir als
Materialisten nicht gemäß sein.
JESSENIN: Tut nichts. Niemand wird es er-
fahren. Für das Publikum bleiben Sie
das, was Sie scheinen. Was die Haupt-
sache ist, unser Gespräch ist ja lediglich
eine literarische Form. Und den Gebrauch
dieser Form nur aus dem nichtigen Grunde,
daß einer von uns nicht lebt, zu vereiteln,
wäre unliebenswürdig dem Autor dieses
Zwiegespräches gegenüber. Um so mehr,
da Sie selbst . . .
MAJAKOWSKY: Ich selbst? Erlauben Sie mal,
ich bin doch vollkommen lebendig.
JESSENIN: Ich spreche von etwas ganz
Anderem. Ich wollte sagen, daß Sie selbst
sich nicht gescheut haben, mit Toten zu
sprechen — zum Beispiel: Ihr Jubiläums¬
gedicht an Puschkin: „Alexander Sserge-
jewitsch, gestatten Sie mir, mich Ihnen
vorzustellen. Majakowsky.“ Doch da war
der Tote der Benachteiligte.
MAJAKOWSKY: Wieso?
JESSENIN: Sie ließen ihn nicht zu Wort
kommen. Von Zwiegespräch keine Spur.
Es war ein Monolog. Damit Ihr Gedicht
„An Ssergej Jessenin“ nicht ähnlich einseitig
bliebe, beschloß ich — die Tatsache, daß
ich nicht mehr lebe zu überwinden und
Sie daran zu hindern, es auszunutzen, daß
ich nicht lebe.
MAJAKOWSKY: Ich habe es nicht ausgenutzt.
JESSENIN: Wollen wir uns doch nichts vor-
machen. Uns beiden ist es zu eng in der
zeitgenössischen russischen Literatur. Ge-
rade zwischen uns beiden spielt sich der
große Streit um die Vorherrschaft ab.
Ihnen geht der Erfolg meiner Gedichte
gegen den Strich. Kein Preis wäre Ihnen
zu hoch um damit die Möglichkeit zu er-
kaufen, meine Gedichte und meinen Tod
zu entwerten.
MAJAKOWSKY: Sonderbar, Jessenin, daß
selbst jenseits des Grabes, wie man zu
sagen pflegt, die Manie Sie nicht verlassen
hat, überall und in allem Verfolgungen
zu wähnen.
JESSENIN: Wagen Sie nicht, Ihr Recht des
Lebenden dazu auszunutzen, um mit Ihren
Gedichten billigen entlehnten amerikani-
schen Stils mir Sowjet-Rußland und Sowjet-
Rußland mich zu rauben.
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zwischen Jessenin und Majakowsky
Wladimir Pokrowsky
MAJAKOWSKY: Wer da? Kann in der
Dunkelheit nichts unterscheiden.
JESSENIN: Besucher meiner Art erscheinen
nur nachts.
MAJAKOWSKY: Diebe?
JESSENIN: Und Tote.
MAJAKOWSKY: Jessenin? Sie?
JESSENIN: Ich möchte mich mit Ihnen unter-
halten.
MAJAKOWSKY: Hm . . . Das hat seine
Schwierigkeiten.
JESSENIN: Ziehen Sie tatsächlich den Schlaf
einem solchen Gespräch mit mir vor?
MAJAKOWSKY: Nein, nicht auf den Schlaf
kommt es an. Aber . . . aber ein Ge-
spräch mit einem Toten ist etwas . . . .
metaphysisch. Und würde mir als
Materialisten nicht gemäß sein.
JESSENIN: Tut nichts. Niemand wird es er-
fahren. Für das Publikum bleiben Sie
das, was Sie scheinen. Was die Haupt-
sache ist, unser Gespräch ist ja lediglich
eine literarische Form. Und den Gebrauch
dieser Form nur aus dem nichtigen Grunde,
daß einer von uns nicht lebt, zu vereiteln,
wäre unliebenswürdig dem Autor dieses
Zwiegespräches gegenüber. Um so mehr,
da Sie selbst . . .
MAJAKOWSKY: Ich selbst? Erlauben Sie mal,
ich bin doch vollkommen lebendig.
JESSENIN: Ich spreche von etwas ganz
Anderem. Ich wollte sagen, daß Sie selbst
sich nicht gescheut haben, mit Toten zu
sprechen — zum Beispiel: Ihr Jubiläums¬
gedicht an Puschkin: „Alexander Sserge-
jewitsch, gestatten Sie mir, mich Ihnen
vorzustellen. Majakowsky.“ Doch da war
der Tote der Benachteiligte.
MAJAKOWSKY: Wieso?
JESSENIN: Sie ließen ihn nicht zu Wort
kommen. Von Zwiegespräch keine Spur.
Es war ein Monolog. Damit Ihr Gedicht
„An Ssergej Jessenin“ nicht ähnlich einseitig
bliebe, beschloß ich — die Tatsache, daß
ich nicht mehr lebe zu überwinden und
Sie daran zu hindern, es auszunutzen, daß
ich nicht lebe.
MAJAKOWSKY: Ich habe es nicht ausgenutzt.
JESSENIN: Wollen wir uns doch nichts vor-
machen. Uns beiden ist es zu eng in der
zeitgenössischen russischen Literatur. Ge-
rade zwischen uns beiden spielt sich der
große Streit um die Vorherrschaft ab.
Ihnen geht der Erfolg meiner Gedichte
gegen den Strich. Kein Preis wäre Ihnen
zu hoch um damit die Möglichkeit zu er-
kaufen, meine Gedichte und meinen Tod
zu entwerten.
MAJAKOWSKY: Sonderbar, Jessenin, daß
selbst jenseits des Grabes, wie man zu
sagen pflegt, die Manie Sie nicht verlassen
hat, überall und in allem Verfolgungen
zu wähnen.
JESSENIN: Wagen Sie nicht, Ihr Recht des
Lebenden dazu auszunutzen, um mit Ihren
Gedichten billigen entlehnten amerikani-
schen Stils mir Sowjet-Rußland und Sowjet-
Rußland mich zu rauben.
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