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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 20.1929-1930

DOI issue:
Heft 8
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Moldov: Schmaje
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https://doi.org/10.11588/diglit.47222#0120

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Schmaje
Moldov
Schmaje ist eine Gestalt, zusammengesetzt aus:
Augengläser,Warenballen; Kalender und Trapez
aus Holz mit springenden Menschen.
In allen Jahreszeiten trägt er denselben Anzug,
denselben Hut und dieselben Touristenschuhe,
von denen er sich nie trennt. Ebenso trägt er
immer bei sich das Buch „Traum der Mutter
Gottes“, das er selbst nie gelesen hat, er aber
zum lesen anbietet im Tausch gegen eine
Renumeration oder im Tausch gegen 27 Kitze-
lungen mit einer Pfauenfeder am Rückgrat.
Er schläft auf einundzwanzig Enteneiern, in
einem Kanal einer Gerberei, denn der Geruch
der gegerbten Leder kitzelt seine Nasenlöcher,
was ihn sehr angenehm erregt.
Er starb einigemal, trotzdem lebt er wieder
auf sobald ihn die Sonne gebadet hat, und der
Mann aus Holz begann Saltomortale zu machen
auf der Schnur des Trapezes, gebunden auf
den Knopf des Anzuges.
Er trinkt nicht Wasser aus sozialem Prinzip:
wenn er Wasser trinken würde, hätte die
Feuerwehr der Stadt nichts, um das Feuer zu
löschen. Er trinkt nicht aus medizinischem
Prinzip. Es ist noch niemand an Wein in der
Lunge gestorben, nur an Wasser. Er trinkt
nur Spiritus, denn der Wein enthält Wasser.
Er hatte eine Frau, alt und einäugig, die sich
von Klee, Maiskohlen, Stengeln, Stroh und
Heu nährte. Sie hatte für alle diese Sachen
ein ausgedehntes Magazin aus Brettern, abge-
sperrt mit einem Schloß System „Dämon“.
Sie hatte eine besondere Vorliebe für Ziegen-
böcke und haßte tötlich die Ziegen. Die Mond-
nächte verbrachte sie in Gemeinschaft eines
Ziegenbockes, dem sie liebreich und mit
der Wollust einer Messaline den Knebelbart
a la Henry IV. streichelte und mit dem sie

sich manchmal Massagen machte; die gaben
ihr solche Erregungen, daß sie ihr Gebiß her-
ausnahm, ihr Haar aufflocht und mit Grausen
rhythmisch schrie.
Sofort nachdem sie sich mit Schmaje verhei-
ratet hatte, bemerkte sie beim Licht seiner Ein-
drücke, daß Schmaje nur dem Aussehen nach
ein Mann war, während ein Teil seines Körpers
die Form einer Schnecke hatte.
Da ihr Schmaje die Eindrücke eines Ziegen-
bockes nicht verschaffen konnte und ihr Stolz
als „Frau“ einen Stoß eilitten hatte, warf sie
ihn aus dem Haus, nachdem sie ihm ein Paar
Hörner auf die Stirn gesetzt und ihm die
Adresse eines berühmten Arztes gegeben hatte.
Ueberwältigt von Schande und Schmerz läuft
er aus der Stadt, bleibt 31 Tage in Gesellschaft
einer alten Maulwürfin, in deren unterirdischem
Gemache er mit einem „Metro“ spazieren
fährt, im rückläufigen Sinn, 8 Stunden lang,
dann spielte er mit ihr Tricktrack; es gelang
ihm sie zu besiegen, mit der Meisterschaft, mit
der er dies Spiel beherrschte.
Am einunddreißigsten Tag vertrieb ihn die
Maulwürfin, nachdem er ihr ein Glas von der
Brille, ein Holztrapez (von einem Freund Hanzin
mit großer Kunst in Miniatur gearbeitet), und
sämtliche Knöpfe von der Hose gestohlen
hatte.
In die Stadt zurückgekehrt, taucht er in einem
Variete unter, wo ihm die Abwechslungen der
Nummern, die man aufführte, ein großes Ver-
gnügen bereiteten; damit er nicht ohne Be-
schäftigung sei, begann er sechzehn Jahre alte
Kalender zu verkaufen.
Angeklagt wegen Hochstapelei, wurde er ver-
urteilt: er dürfe kein Glück haben, seinen Bart
und Schnurrbart niemals rasieren, jede Nacht
müsse er sein Kopfhaar mit Mehl pudern;
auch dürfe er nie ins Dampfbad gehen wegen
der Unsicherheit seines Geschlechtes.

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