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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 20.1929-1930

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Heft 8
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Urmuz: Algazy & Grummer
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https://doi.org/10.11588/diglit.47222#0124

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Algazy & Grummer
Urmuz
Algazy ist ein sympathischer Alter, mit einer
Zahnlücke, mit einem Bart: ausrasiert und
seidenartig, auf einen unter das Kinn ange-
schraubten Rost schön geordnet und mit
Stacheldraht umzäunt.
Algazy spricht keine europäische Sprache ....
Wenn du ihn aber bei Tagesgrauen, bei Tages-
anbruch erwartest und ihm „Guten Morgen
Algazy“ sagst, indem du mehr auf den „z“-Laut
beharrst, da lächelt Algazy. Und um seine
Erkenntlichkeit zu zeigen, steckt er die Hand
in die Tasche und zieht das Ende einer Schnur,
wodurch sein Bart vor Freude eine Viertelstunde
lang auffährt . . . Abgeschraubt diente der
Rost dazu, jedwedes schwierige Problem wegen
Reinigung und Ruhe des Hauses zu lösen. . . .
Algazy nimmt keine Bestechung. . . . Ein
einziges Mal hat er sich zu einer ähnlichen
Sache hergegeben, als er Schreiber im Pfarr-
amt war. Aber damals hat er nicht Geld ge-
nommen, sondern nur einige Scherben von
Töpfen von dem Wunsche beseelt, einer seiner
armen Schwestern, die den nächsten Tag
heiraten sollte, eine Mitgift zu verschaffen.
Das größte Vergnügen von Algazy ist — außer
seiner gewohnten Beschäftigung im Geschäft —
sich aus freien Stücken vor einen Schubkarren
einzuspannen, gefolgt auf etwa zwei Meter von
seinem Teilhaber — im vollen Lauf, durch Staub
und Sonnenbrand zu laufen; durchstreifend die
ländlichen Gemeinden zum ausschließlichen
Zweck, alte Fetzen, gelöcherte Oelkannen und
insbesondere Knöchelchen zu sammeln, die
er dann alle zusammen nach Mitternacht im
düstersten Schweigen aufaß.
Grummer hat auch einen aromatischen Holz-
schnabel.
Eine verschlossene Natur und ein verbittertes
Temperament steht er den ganzen Tag hinter
dem Verkaufspult, den Schnabel in ein Loch
im Fußboden hineingesteckt.

Sowie du bei ihnen im Geschäft eintrittst, kitzelt
ein köstlicher Geruch deine Nasenlöcher ....
Du wirst auf der Stiege durch einen anständigen
Jungen empfangen, der am Kopf statt Haare
grünes Baumwollgarn hat. Dann wirst du
von Algazy mit großer Freundlichkeit begrüßt
und ersucht, auf einem Taburett Platz zu
nehmen.
Grummer steht und paßt auf . . ., mit einem
schiefen Blick zieht er zuerst den Schnabel
heraus, den er an einer Rinne, die sich an der
Kante des Pultes befindet, nach oben und unten
wetzt. Dann erscheint er im ganzen. . . . Mit
allen möglichen Bewegungen veranlaßt er
Algazy das Lokal zu verlassen, dann zieht er
dich einschmeichelnd in alle Arten von Dis-
kussionen — besonders über Sport und Literatur
— bis er einen Anfall bekommt — er haut dich
zweimal mit seinem Schnabel über den Bauch,
daß du hinauslaufen mußt auf die Strasse,
brüllend vor Schmerz.
Algazy, der beinahe immer auf Grund dieser
unerlaubten Vorgangsweise des Grummer Un-
annehmlichkeiten und Wortwechsel mit den
Käufern hat, läuft dir nach, bittet dich zurück-
zukommen. Damit er dir die verdiente
Genugtuung gebe, hast du das Recht — wenn
du einen Gegenstand teurer als 15 Bani gekauft
hast — am Schnabel von Grummer ein wenig
zu riechen. Dann, wenn du willst kannst du
ihn beliebig stark an einem aschgrauen Kaut-
schukbläschen drücken, das er am Rücken ein-
geschraubt hat, ein wenig oberhalb der Fessel.
Das ermöglicht ihm, im Magazin herumzusprin-
gen ohne die Kniee zu bewegen, indem er un-
artikulierte Schreie und Töne ausstößt.
Eines Tages nahm Grummer ohne Algazy zu
verständigen den Schubkarren und begann allein
Fetzen und Knöchelchen zu suchen. Beim
Rückweg, als er durch Zufall auch einige Reste
von Gedichten fand, stellte er sich krank und
aß sie im Geheimen unter der Decke. Algazy,
der dies fühlte, trat nach ihm dort ein mit der
aufrichtigen Absicht ihm nur ein wenig Moral

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