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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 20.1929-1930

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Heft 5/6 (Sonderheft Sowejtunion)
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Walden, Herwarth: Tiflis, die Weltstadt des Kaukasus
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https://doi.org/10.11588/diglit.47222#0092

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grad gebaut. Das Leninwerk hat schon jetzt
für Tiflis und Umgebung doppelt soviel Strom
als zur Zeit gebraucht wird. Die ganze Be-
dienung besteht aus 7 Arbeitern. Vor dem
Werk auf einem Felsen das Denkmal Lenins.
Zwischen den Maschinenhäusern wohlge-
pflegte tropische Gärten. Formstrenge ku-
bistische Architektur. Die Reinlichkeit des
Werkes blendet wie die südliche Sonne, die
über ihm liegt. Zurück in die Stadt. Vor-
bei an der Universität mit 6500 Hörern. Ein
Blick in die Nationalgalerie. Seltene per-
sische Miniaturen des 16. Jahrhunderts.
Schöne persische Bilder des 19. Jahrhunderts.
Die Georgische Malerei leider von jedem
europäischen Irrtum angesteckt. In der
Kunstakademie rühmt man sich noch heute,
Münchener Schule zu lehren. Der Unfug
ist selbst in der Sowjet-Union nicht auszu-
rotten. Bis man schließlich doch noch einen
georgischen Künstler, ein Original findet.
Und der ist ein Genie. Phirosmanisch wily.
Er starb 1918, 60 Jahre alt. Wenige Jahre
vor seinem Tode wurden einige Literaten
in Tiflis auf ihn aufmerksam, suchten seine
Bilder aus allen möglichen obskuren Stätten
zusammen, schrieben über ihn und brachten
Bilder von ihm in das Museum. Leben
und Schicksal des Künstlers ähnlich wie von
Henri Rousseau le Douanier. Das künst-
lerische Werk von Phirosmanischwily aber
noch eigenartiger, noch eigenwilliger, noch
volkverbundener. Jetzt besitzt der Staat
seine sämtlichen Werke.
Ein Blick in das Revolutionsmuseum. Der
Befreiungskampf des georgischen Proletariats
in Bildern, Urkunden, Photos, Zeitungsaus-
schnitten und Modellen. Besonders er-
schütternd die Dokumente aus dem Leben
des georgischen Terroristen Kamo, der
sechsmal verhaftet wurde, dreimal entfloh,
viermal zum Tode verurteilt war und durch

einen Zufall 1922 starb. Zwei Photos zeigen
verkohlte Leichen zweier Kommunisten, die
durch die menschewistische Regierung (Re-
formpartei) 1921 zum Feuertod verurteilt
wurden. Weiter. Die Kinofabrik der Republik
Georgien „Goskinprom“, die zweitgrößte der
Sowjet-Union. Im neugebauten Atelier
können sechs Gruuppen gleichzeitig arbeiten.
Zur Zeit nimmt man als Kulturfilm das
Leben der kaukasischen Bergvölker auf.
Die Jahresproduktion beträgt 20 Filme. Die
Rosa-Luxemburg-Fabrik. Monatliche Pro-
duktion 70 Millionen Zigaretten. 330 Arbei-
ter 7 Stunden Arbeitszeit. Die Fabrik ist
nationalisiert. Neu eingerichtet wurden in
der ehemaligen Privatwohnung des früheren
Besitzers die Klubs und Erholungsräume
der Arbeiterschaft. Besonders reizvoll ist
das Kinderheim. Die Arbeiterinnen nehmen
in allen größeren Fabriken ihre kleinen
Kinder vom Säugling ab mit und geben sie
in das Kinderheim der Fabrik. Dort werden
sie während der Arbeitszeit von gelernten *
Schwestern versorgt. Mütter, die selbst
stillen, erhalten hierzu zwei bis dreimal je
eine halbe Stunde Urlaub. Das Kinderheim
hat jeden erdenklichen hygienischen Komfort.
Ein Arzt ist zur täglichen Beobachtung der
Kinder angestallt. Die schlafenden gesunden
dicken Kinder in weißen Bettchen beweisen
die ethische Berechtigung der proletarischen
Diktatur. Die Seidenfabrik „Roter Textil-
arbeiter“. 105 Arbeiter, zwei Schichten,
8 Stunden Arbeitszeit. Produktion 8000
Meter monatlich. Hergestellt wird Crepe
de Chine in allen Farben, Serge, Seiden-
leinen und Rohseide. Die große industrielle
Leistung von Tiflis ist die neueröffnete
erste Textilfabrik. Produktion: Wolle und
Kammgarn. 1300 Arbeiter arbeiten in drei
Schichten je 7 Stunden. Die Herstellung
der Fabrik nebst Siedlungsbauten für die

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