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Taut, Bruno
Die Stadtkrone — Jena, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.29957#0068
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haben. Diese Instinkte sind von den Führern klar erkannt1 und mitmanchem
Glück zur Veredlung gebracht worden. Der Wunsch nach Vergniigen, der
die Menschen in solchen ungeheueren Mengen in die Theater treibt (in
Briissel beträgt die Zahl der Theaterbesucher nach Zeitungsberichten all-
abendlich 20 000 bei einer Einwohnerzahl von rund 600 000), dieser Wunsch
darf keineswegs als roher Unterhaltungstrieb gedeutet werden, sondern es
steckt in ihm der Schrei der Seele nach dem Höheren, nach Erhebung iiber
das Alltagsdasein. Wird doch von Theaterleuten gerade der deutsche
Theaterbesucher als dankbar andächtiger Gast angesehen, der mit sonntäg*
lichen Empfindungen ins Theater geht. Die andere Seite des Volkstriebes,
die in Volkshäuser führt, beruht ebenfalls auf einem inneren edlen Zuge.
Es ist der Wille, sich an der Gemeinsamkeit zu bilden und sich mit der Mit*
welt eins, als Mensch unter Menschen zu fühlen. Es liegen hier offensicht*
lich volksethische tiefgreifende Tendenzen zugrunde, die viele Bauten,
darunter recht opulente (Volksbühne in Berlin) und schöne (Diamant*
arbeiter?Gewerkschaftshaus im Haag) erzeugt haben. Es gilt sie zusammen*
zufassen, damit sie nicht zerflattern und sich im politischen Getriebe ver«
lieren. Es ist offenbar eine einzige völlig homogene große Strömung, die
diese Tendenzen darstellen. Und es ist sicher die Strömung, die am brei-
testen und stärksten weite, ja man kann behaupten alle Volksteile umspannt.
In ihr liegt das verhüllt, was die Sehnsucht unserer Zeit bedeutet, ans Licht
will und nach einer sichtbaren Verklärung ruft. Das ist der bauende Wille
unserer Welt.

Wir haben die Idee der neuen Stadt, zwar einer Stadt ohne Haupt. Nun
wissen wir aber, wie ihr Haupt, ihre Krone sein muß.

DIE STADTKRONE

Der nachstehend abgebildete Entwurf ist ein Versuch zu zeigen, wie vieb
leicht in der neuen Stadt die Bekrönung, das Höchste angestrebt wer*
den könnte. Es mag nach den hier gezeigten und erwähnten Beispielen mehr
als kühn, ja vermessen erscheinen, etwas in gleicher Richtung Liegendes zu
wagen. Einmal muß aber der Versuch gemacht werden, auch auf die Gefahr
hin, unbescheiden und utopistisch gescholten zu werden. Er soll lediglich
in konkreter Fassung die zur Höhe drängenden Tendenzen verdeutlichen
und nicht so sehr als Selbstzweck angesehen werden wie vielmehr als An-

1 Es sei auf den neuerdings begründeten VolkshaussBund hingewiesen.

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