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auf der Verkennung dessen zu beruhen, was wirklich als höchster Ausdruck
des höchsten Gedankens eine Stadt bekrönen kann.

Die neuen amerikanischen Stadtpläne weisen als Gipfel das Kapitol, die
Regierungsgruppe auf, wie der Plan für die Bundeshauptstadt Australiens
von W. Griffin in Chicago (Abb. 64) zeigt. Die Kirche spielt darin nur eine
sehr kümmerliche oder gar keine Rolle. Es sind letzten Endes Erzeugnisse
eines kühnen Rationalismus, einer Art Rekordsucht, die, auch noch so schön
gestaltet, nicht für die Dauer überzeugen werden. Selbst das formschöne
Kapitolin Washington (Abb.68), das als höchster Regierungssitz des großen
Landes den Staatsgedanken verkörpert, kann nicht mit der sakralen Ver*
quickung von Staat und Religion, wie sie sich in der Antike zeigt, verglh
chen werden. Freilich mag das amerikanische Staatsgefühl nicht allein im
Organisatorischen und im Verwaltungsapparat aufgehen; der Staat ist dort
mehr als in Europa Sinnbild von Zuflucht und Freiheit. Aber eine sakrale
Bedeutung hat er auch dort ganz und gar nicht; er ist auch dort ebenso wie
anderswo Diener des Volkes, und es will uns nicht eingehen, ihn zum Träger
der letzten in Architektur übersetzten Gedanken, des Sehnens und Glau*
bens aller Menschen zu machen. Bureauräume und Sitzungssäle mit einem
riesigen die Stadt beherrschenden Aufbau abzuschließen ist absurd, und
mag von ihnen eine noch so einschneidende Wirkung für das Wohl der
Bürger ausgehen. »Mehr als Staatsbürger sein heißt Mensch sein« (Robert
Saitschik). Der Staat ist und bleibt nur das Gehirn der Gemeinschaft, das
Herz muß anderswo sitzen. Das Gleiche gilt von dem an sich wirkungs*
vollen Justizpalast in Brüssel (Abb. 67), zwar hier noch mehr im negativen
Sinne. Wie fein berührt dagegen der schlichte einstöckige Bau des Auswär*
tigen Amtes in Berlin (Abb. 66), der die treffendste Übereinstimmung von
Form und Inhalt für solche Bauten bedeutet.

Das Gebäude der Landesvertretung scheint jedoch im höchsten Maße zur
Repräsentation geschaffen zu sein. Zunächst aber hat es wenig Beziehung
zu der Stadt, in der es gerade steht, und dann ist sein Wesen doch wohl
weniger das der Repräsentation als der angestrengten Arbeit, zu welcher
sich die Vertreter aller Volksschichten zum Heile des Ganzen vereinigen.
Die dafür gebauten Häuser zeigen aber meistens in ihrer Architektur einen
bombastischen Phrasenschwall, wie wenn die Aufgabe der Volksvertretung
in prunkenden Reden und nicht in guten Gesetzen liegt, wofür leider unser
Reichstagsgebäude trotz seiner historischen Bedeutung ein Beispiel gibt.

Es ist ein Suchen bei den Amerikanern, das wir als solches anerkennen

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