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achtung gemacht hat, daß kein strafender deus ex machina sie zurückreißt,
wenn sie die köstlichen feinen Blätter der Miniaturen zu »Bildern« vergrößert,
hält sie ihre Separation, die doch nur Verkümmerung des Gefühls für den
Zusammenhang ist, nun erst für wahre Freiheit. Aber sie merkt es vielleicht
nur nicht, daß sie eben jetzt erst in Knechtschaft geraten ist, in den harten
Zwang des Gegenständlichen. Was waren nicht ihre Farben in dem starken
und breiten Schutz der Architektur. Was hätte dort ihr Sein beeinträchtigen
können. Je mehr sie ihre Kraft hingaben, ihre Stärke ausströmten, desto mehr
gewann ja das Ganze. Mußte nicht der Architekt ihnen die größte Freiheit
selbst wünschen? Heißt das nicht wahre Freiheit? Jetzt hat man die Er*
fahrung gemacht, daß man die Farben auch zu etwas gebrauchen kann, und
weil nun der Maler aus allem Irdischen auswählen kann, wozu er sie ge-
brauchen will, so glaubt er die Malerei befreit, verwechselt aber seine Freb
heit, die niemandem nützt und gar nicht von Interesse ist, mit der Freiheit
der Malerei. Diese existiert nun nicht mehr. DieMalerei ist ein Mittel zum
Zwecke der Nachbildung von Gegenständen geworden, also unfrei. Einst
hatten die Farben Wirklichkeit, jetzt bedeuten sie Wirklichkeiten.

Nun taucht der Rahmen auf, wie wir ihn heute kennen: vier starre Gerade,
vier rechte Winkel. Die Kurve, der Spitzbogen, hat nun freilich keinen Sinn
mehr. Denn nichts mehr verbindet diese Tafeln mit der Welt der Sterne,
oder auch nur mit den kurvengeschwungenen Wölbungsfeldern der Bau*
kunst. Das »Bild« ist eine vergrößerte Buchseite und übernimmt bedingungs*
los von dorther auch die Umrandung. Wie im Buche ein weißer Rand die
Illustration auf allen vier Seiten gleichmäßig umzieht, so umzieht das neue
Bild die schwarze, goldene, glatte oder profilierte Leiste, die nun im Laufe
der Generationen immer kräftiger, immer robuster wird. Die zum Tafelbild
vergrößerte Buchseite bedarf offenbar eines festen Zaunes.der den Gedan*
ken an einUmblättern abzuweisen hat. Nun habenwir dieklanglossneutrale,
begriffliche, nichLseiende Bildumgrenzung fertig, die zum gegenständlichen
Inhalt gehört wie sein Schatten. — Geometrie statt Musik.

Das Triptychon des Rogier van der Weyden ist nun auch in diesem Punkte
von einer überraschenden Mitteilsamkeit. Der Maler empfand nämlich die
neue einfache und schnelle Bildherstellung so sehr als einen herrlichen
Triumph, daß er das Kunststück im Mittelbilde noch einmal wiederholte.
Er öffnet eine Wand hinter den Figuren des Mittelbildes, und indem er in
die Öffnung zwei Säulen einstellt, gewinnt er die Umrißlinien eines neuen
kleineren Triptychons. Dahinein malt er eine Landschaft, die man ohne

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