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vieren, will auch nicht glücken. Dem Maler ist unbehaglich hier vorn zumute.
Und sobald er kann, flieht er die'Nähe, um erst hinter dem zweiten Rahmen,
eben dem dreifachen Fenster im Mittelgrunde, mit freiem Aufatmen seine
Malkunst auszubreiten. Und diese Flucht in das distanzierte Fernbild wird
nun allgemein. Je kleiner und bürgerlicher die Bilder werden, in desto weitere
Fernen lassen sie verschw’enderisch den Blick gehen. Als ein Mittel dient
ihnen die »Verkürzung« — »Verkürzung« wird ihnen die Parole. »Verkürzt«
ist gegenüber dem geschwungenen Spitzbogenrahmen schon der neue be*
queme »natürliche« Vierecksrahmen. Ein Muster geradezu, auf dem kürze*
sten undschnellstenWege möglichstvielzu bringen,istder Ausblick Rogiers,
sein Bild im Bilde. Irgendeine Beziehung zum Thema des Hl. Lukas hat
der Hintergrundsreichtum nicht. Die Personen, die in Verkörperung des
selbstgefälligen Schmunzelns vor der eigenen malerischen Leistung den
weiten Landschaftsblick betrachten, wenden dem heiligen Vorgang getrost
den Rücken zu. — Ein neuer Rahmen, ein neues Bild, ein neues Publikum:
Spaltung des Bewußtseins.

Es verlohnt sich, darauf noch hinzuweisen, daß die Neigung, in das Fern*
bild zu fliehen, wiederum die Neigung zum Gegenständlichen verstärken
muß. Denn erst dem distanzierenden, Abstand nehmenden Betrachter werden
die schwebenden Wunder des Auges zu Gegenstandsbegriffen.

So zieht die profane Gesinnung in die Malkunst ein, in dem gleichen
Tempo, in dem die Malerei sich an den Wänden des Gotteshauses löst und
in die Wohnungen des Bürgers einzieht. Es beginnt die neue Errungenschaft
der »Kunst im Leben«, fortgeführt bis zu einer »Kunst in Handel und In=-
dustrie«. Die Dome werden immer gleichgültiger, die Wohnräume immer
künstlicher, dabei doch nicht reich an Schmuck im wahren Sinne. Denn auch
der Sinn für alles Ornamentnimmt gleichzeitig schnell ab. Der blaue Himmel
der Tafeln löscht die strahlenden, gepunzten Nimben, die Sterne, Kreuze,
Rosetten und Kristalle, alle die feinen, zierlich^zarten Muster der Grundie-
rung aus.

Schon Rogier verzichtet auf jeden Heiligenschein, selbst auf den leisen
dünnen Kreis aus Gold. Wer weiß, ob nicht die Figuren, die da auf der
Brücke die schöne Aussicht aus dem Bilde heraus und doch in das Bild
hinein genießen, ob sie nicht Maria und Lukas sind, die nach der Sitzung
einen Spaziergang machen.

Die einzige Stelle eines Bildes, wo künftig Gold noch erlaubt ist, die ist
außerhalb des Bildes, auf dem Rahmen. AIso Flucht vom Zentrum in den

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