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Rand, eine Tendenz, die noch ständig wächst. Nicht einmal mehr im Stoff
des Baldachins gibt Rogier das Gold als Gold. Und es ist völlig dasNäm-
liche, ob er die schönen Ornamentfarben des Brokates durch seine pfiffige
Verkürzung um ihre schöne Entfaltung bringt oder ob er statt des reinen
Goldes aus Gelb und Grau den Anschein schlecht belichteten verblichenen
Goldes erweckt.

Nun sind wir mit wenigen Schritten am Ende. Bei Rogier ist noch der
heilige Vorgang als Nahbild geblieben, dahinter ein Fernbild ausgemalt.
In Hugo van der Goes »Geburt« im Berliner Museum ist die biblische
Szene in das Fernbild verlegt, und das Nahbild schrumpft zusammen zu
den zwei männlichen Gestalten, die einen Vorhang rechts und links ausein*
anderziehen. Gewiß steht dieses Bild desGoes an künstlerischer Kraftwesent«
lich höher als der Rogier. Wundervoll sind die starken festen Köpfe der
Männer, die ahnungsvoll ergebene Innigkeit der Maria, die zurückgehaltene
Lieblichkeit der feinen Engel. Die verborgene Schwermut dieses Bildes, im
goldbraunen Engel mit goldenen Flügeln fast glasartig sichtbar geworden,
hebt es aus der soviel profaneren Umgebung hoch heraus. Wir haben hier
ein Beispiel, daß fortan der wahre Künstler, gezwungen, gegen den Strom
zu schwimmen, tragisch endet. Bei alledem läßt sich aber nicht übersehen,
daß diese »Geburt« des Goes in der Fortsetzung des Fernbildes als der
eigentlichen Bildform wieder einen wichtigen Abschnitt bedeutet. Alsbald
fallen die hier noch das Nahbild andeutenden Vordergrundgestalten, das
Bild existiert nur noch in der ausschließlichen Form des Fernbildes, das für
die moderne Kunst sowohl der Akademiker Hildebrand wie der Impressios
nist Weisbach stabilieren.

War des Künstlers van der Goes Gemälde bei auffallender Verstärkung
der Zeittendenzen in einer bestimmten Richtung zugleich auch eine ergrei*
fende letzte Ahnung zurückliegender Blüte, so führt der Delfter Vermeer
mit seinem Braunschweiger Gesellschaftsbilde in den vollen, tiefen, unaufi
haltsamen Strom des allgemein Üblichen hinein. Van der Weyden begann
die Trennung von Vorder» und Hintergrund, van der Goes gelang es fast,
den Begriff des Hintergrundes noch einmal trotz aller Widerwärtigkeiten
der Zeitanschauung aufzuheben. (Die Begriffe »Fernbild« und »Hinter*
grund« sind nicht zu verwechseln.) Bei Vermeer fällt das Bild ganz messer*
scharf in Vorgang und Hintergrund auseinander. Dieser Hintergrund ist

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