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Daseins einen gewissen Schein des Höheren hat, beweist nur noch das dicke,
schwere Gold des plastisch gearbeiteten Rahmens, zu dem alle Heiligen«
scheine und Ornamente des Grundes von einst eingeschmolzen sind. Der
Rahmen wird in plastischer Stärke nun auch nötig, um die Gegenstände im
Bilde und die Gegenstände auf dem Tische vor Verwechslungen zu be*
wahren. Die Kunst dient zwar dem täglichen Leben des Bürgers, wird aber
innerhalb der häuslichen Kultur mit Pomp isoliert, so sehr, daß die Rahmen
immer schwerer und breiter werden. In der Betonung des Rahmens spricht
sich — man halte diese Ausführung nicht für Spielerei mit Analogien! — die
deutliche Tendenz einer Zeit aus, die in allen Dingen, allen Fragen und AuL
gaben vom Zentrum fort und an den Rand zu fliehen gewohnt ist, weshalb
man getrost von einer Rahmenkultur sprechen könnte. Klassische Beispiele
sind in der Philosophie David Hume, in der Biologie Charles Darwin, in
der Kunst Claude Monet, in der Kunsttheorie Hippolyte Taine. Vom Rande
der Erfahrung führt kein Weg in das Zentrum der Erkenntnis, von der Ent-
wicklung keine Treppe zum Organischen, von der Beobachtung keine Mühe
zur Gestaltung und vom Milieu keine Spitzfindigkeit zur Kunst.

Als eine Ietzte Steigerung der gedachten Tendenzen wirkt ein Gemälde
Ludwig von Hofmanns. Es ist betitelt: Bild mit Rahmen, aber es ist in Wirk-
lichkeit ein Rahmen ohne Bild. Sein Inhalt ist ein Strich in der oberen Hälfte,
den Horizont bezeichnend. Darüber ist eine gleichmäßige Fläche, darunter
eine fast ganz gleichmäßige Fläche: Himmel undMeer. Ganz fern gesehen,
ganz Begriff. Ein gangbares Vorsatzpapier ist interessanter und gehaltreicher.
Um dieses Nichts aber ist ein reicher, belebter Rahmen, der rechts und links
von einem Beethovemähnlichen, geflügelten Haupte eine männliche und
eine weibliche Gestalt zeigt, darunter viele stark geführte, zum wenigsten
auffallende Ornament»Versuche.

So sind wir am Ende angelangt. Der Weg führte uns vom Bilde ohne
Rahmen zum Rahmen ohne Bild.

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