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Appendix zum Pharosspiegel
Auch bei Wolfram von Eschenbach im Parzival spielt dieses „piler" noch eine Rolle. Es ist der besondere Schmuck des Zauber-
schlosses (Schaste Marveil): eine wunderbare Säule, deren Schein und Lichtglanz 6 Meilen weit ringsum leuchte und auf deren
Oberfläche man sehen könne, was in weitentfernten Ländern vorgeht:
„So daß was in dem Kreis geschieht
Man alles in der Säule sieht,
Es sei Geflügel, sei Getier
Wer fremd, wer heimisch im Revier
Zu Wasser und Gefilde
Erscheint im Spiegelbilde."
In der französischen Vorlage Wolframs, bei Crestien, fehlt diese Spiegelsäule. Ober ihre Entlehnung aus Wolfram im j. Titurel,
bei Heinrich von Neustadt, im Reinfried, bei Hermann von Sachsenheim siehe W. Hertz (Parzival S. 535, Anm. 202).
Dieser langgezogene Schweif von Sagen und Märchen hat offenbar im Pharos von Alexandria seinen realen Ausgangspunkt
gehabt. Dieser ist der strahlende Kopf des Kometen, der jahrhundertelang leuchtend am flimmernden Firmament der mittelalterlichen
Phantasie stand. Wenn das bisher nicht erkannt worden ist1), liegt es nur daran, daß die arabische Überlieferung über den Pharos
in ihrer langen Kontinuität und ihrem frühen Ursprung nicht bekannt war. Die arabische Tradition ist mit jenen abendländischen
Sagen überhaupt kaum in Verbindung gebracht worden. Das einzige Glied der langen orientalischen Kette, das man bis vor kurzem
herangezogen, war Benjamin von Tudela's Bericht (Comparetti2 II, 85, A. Graf I, 208; vgl. oben S. 44 u. 59), und das ist schon einer
der jüngeren in der Reihe. Den wahren Sachverhalt hat aber dann Maspero erkannt und dargestellt gelegentlich einer Besprechung
des von Carra de Vaux aus dem Arabischen übersetzten „L'Abrege des Merveilles" (Journ. des Savants 1899, p. 84ff. und 154 ff.):
die gemeinsame Quelle, aus der die arabischen wie die abendländischen Sagen schöpfen, sind koptische Bearbeitungen des antiken
Ägyptens, welche selbst wieder auf spätantike Erzeugnisse zurückgehen wie das märchenhaft ausgeschmückte Buch des Pseudo-
Kallisthenes. „Mirabilia Alexandriae" von dieser Art wären der Ausgangspunkt gewesen. Darin mag der Pharos mit seiner reichen,
wunderbaren, mechanischen Ausstattung keine geringe Rolle gespielt haben. Masperos Analyse deckt sich also genau mit meinem
Resultat.
Wenn bei dem „Turm des Herkules" zu Coruna in Spanien ebenfalls von einem Spiegel erzählt wird,2) in dem man die ent-
ferntesten Schiffe habe sehen können, so wird das vielleicht ebensowenig auf Sage, sondern auf eine ganz reale, dem Pharos
analoge, teleskopische Ausrüstung dieses antiken Leuchtturms zurückgehen.
Das Bindeglied zwischen der antiken Realität und den abendländischen Sagen waren also jene alexandrinischen Legenden. Mit
diesen allein, ohne ihren Kontakt mit dem Abendland weiter zu berühren, hat sich Berthelot befaßt im Journal des Savants 1899,
242 — 253 u, 271 — 277. Er weist nach, wie den meisten der im „Livre des Merveilles" erzählten Wunder eine spezifisch alexan-
drinisch-antike Realität zugrunde liegt, wie es im Grunde die mechanischen Kunststücke und Errungenschaften der ptolemäisch-
alexandrinischen Hochschule sind, welche auf diese Weise ausgeschmückt wurden. S. 248 sagt er: „les miroirs jouent un grand
röle dans l'Abrege des Merveilles", et la tradition de la science alexandrine est ici surtout manifeste, les proprietes
optiques des miroirs plans et des miroirs concaves ayant donne lieu ä toutes sortes d'effets constates, que l'imagination populaire
a grossis et transformes jusqu'aux affirmations les plus etranges." Vgl. dazu seine lehrreiche Zusammenstellung von märchen-
haften Pharosbauten verschiedener sagenhafter Pharaonen (aus dem genannten Wunderbuch): auf der Spitze des Turmes ist ein
sieben Ellen großer Spiegel aus Chrysolith, weithin leuchtend; oder: die Kuppel darüber vergoldet, strahlt während der Nächte
weithin einen Lichtglanz aus, der mit dem Morgengrauen erlischt; oder: die Kuppel wechselt täglich die Farbe, im Spiegel kann man
alle Länder sehen mit ihren Bewohnern; der Spiegel des Pharos sei zylindrisch und von Glas gewesen, aus einer Mischung ver-
schiedener Dinge und auf einer grünen Marmorsäule, er habe die feindlichen Schiffe ans Ufer gezogen mit unsichtbarer Gewalt
und dort so lange festgehalten, bis sie Tribut gezahlt, usw____ Vgl. zu diesen Stellen auch die von Wüstenfeld (in „Orient und
Occident" I, 326) aus einem arabischen Manuskript zu Gotha übersetzten Stellen über König Saurid (p. 331), Kersun (334) und
Sä (335). (Gesteigert erscheinen die Künste des Brennspiegels dann bei Roger Bacon, der (Tractatus de speculis, opus III, cap. 23)
mit einem Dutzend solcher Spiegel die ganzen Sarazenen ohne Blutvergießen verjagen zu können vorgibt.)
Ebenso gehen nach Berthelot (p. 271 ff.) die tönenden, sich bewegenden Statuen auf die automatischen Künste der Antike
zurück, besonders auf die hydraulischen und hydropneumatischen Apparate Herons. Vgl. z. B. Herons Statue mit der tönenden
Posaune bei W. Schmidt (Heronis Opera I, 227), den singenden Mönch oder den Flötenbläser des „Archimedes" und des Apollonius
von Perge in dem arabischen Traktat (Journ. Asiatique 1891, XVII, 305 ff.) und dazu meine Vermutung über die akustischen Künste
der Tritonen auf der ersten Pharosplattform (oben S. 55).
Der Nachweis dieser Zusammenhänge fügt sich als ein neues Glied in die Kette, welche unsern mittelalterlichen Okzident mit
dem von dem antiken Alexandria zehrenden Orient verbindet. Vgl. was Burdach (zitiert bei Strzygowski, Mschatta S. 373) von andrer
Seite her für die Tatsache dieser vergessenen alexandrinischen Erbschaft in unserer abendländischen Kultur beibringt.
1) Maassmann a. a. 0. 424ff. hatte sich als Entstehung der Sage der Salvatio Romae eine deutsche figurenreiche Spieluhr (wie in
Straßburg, Nürnberg, Augsburg usw.) gedacht. Mit Recht hat dies schon Comparetti-Dütschke, S. 253 zurückgewiesen. Aber die dafür vor-
geschlagene Vermutung vom byzantinischen Ursprung hält auch nicht Stand. Diese kunstvollen Uhrwerke gehen vielmehr wieder über arabi-
sche Vermittlung - vgl. das Geschenk Harun er-Raschids an Karl d. Gr., oben S. 94 - auf die alexandrinische Antike zurück. 2) Bei
Arturo Graf I, 208, nota 48.
Appendix zum Pharosspiegel
Auch bei Wolfram von Eschenbach im Parzival spielt dieses „piler" noch eine Rolle. Es ist der besondere Schmuck des Zauber-
schlosses (Schaste Marveil): eine wunderbare Säule, deren Schein und Lichtglanz 6 Meilen weit ringsum leuchte und auf deren
Oberfläche man sehen könne, was in weitentfernten Ländern vorgeht:
„So daß was in dem Kreis geschieht
Man alles in der Säule sieht,
Es sei Geflügel, sei Getier
Wer fremd, wer heimisch im Revier
Zu Wasser und Gefilde
Erscheint im Spiegelbilde."
In der französischen Vorlage Wolframs, bei Crestien, fehlt diese Spiegelsäule. Ober ihre Entlehnung aus Wolfram im j. Titurel,
bei Heinrich von Neustadt, im Reinfried, bei Hermann von Sachsenheim siehe W. Hertz (Parzival S. 535, Anm. 202).
Dieser langgezogene Schweif von Sagen und Märchen hat offenbar im Pharos von Alexandria seinen realen Ausgangspunkt
gehabt. Dieser ist der strahlende Kopf des Kometen, der jahrhundertelang leuchtend am flimmernden Firmament der mittelalterlichen
Phantasie stand. Wenn das bisher nicht erkannt worden ist1), liegt es nur daran, daß die arabische Überlieferung über den Pharos
in ihrer langen Kontinuität und ihrem frühen Ursprung nicht bekannt war. Die arabische Tradition ist mit jenen abendländischen
Sagen überhaupt kaum in Verbindung gebracht worden. Das einzige Glied der langen orientalischen Kette, das man bis vor kurzem
herangezogen, war Benjamin von Tudela's Bericht (Comparetti2 II, 85, A. Graf I, 208; vgl. oben S. 44 u. 59), und das ist schon einer
der jüngeren in der Reihe. Den wahren Sachverhalt hat aber dann Maspero erkannt und dargestellt gelegentlich einer Besprechung
des von Carra de Vaux aus dem Arabischen übersetzten „L'Abrege des Merveilles" (Journ. des Savants 1899, p. 84ff. und 154 ff.):
die gemeinsame Quelle, aus der die arabischen wie die abendländischen Sagen schöpfen, sind koptische Bearbeitungen des antiken
Ägyptens, welche selbst wieder auf spätantike Erzeugnisse zurückgehen wie das märchenhaft ausgeschmückte Buch des Pseudo-
Kallisthenes. „Mirabilia Alexandriae" von dieser Art wären der Ausgangspunkt gewesen. Darin mag der Pharos mit seiner reichen,
wunderbaren, mechanischen Ausstattung keine geringe Rolle gespielt haben. Masperos Analyse deckt sich also genau mit meinem
Resultat.
Wenn bei dem „Turm des Herkules" zu Coruna in Spanien ebenfalls von einem Spiegel erzählt wird,2) in dem man die ent-
ferntesten Schiffe habe sehen können, so wird das vielleicht ebensowenig auf Sage, sondern auf eine ganz reale, dem Pharos
analoge, teleskopische Ausrüstung dieses antiken Leuchtturms zurückgehen.
Das Bindeglied zwischen der antiken Realität und den abendländischen Sagen waren also jene alexandrinischen Legenden. Mit
diesen allein, ohne ihren Kontakt mit dem Abendland weiter zu berühren, hat sich Berthelot befaßt im Journal des Savants 1899,
242 — 253 u, 271 — 277. Er weist nach, wie den meisten der im „Livre des Merveilles" erzählten Wunder eine spezifisch alexan-
drinisch-antike Realität zugrunde liegt, wie es im Grunde die mechanischen Kunststücke und Errungenschaften der ptolemäisch-
alexandrinischen Hochschule sind, welche auf diese Weise ausgeschmückt wurden. S. 248 sagt er: „les miroirs jouent un grand
röle dans l'Abrege des Merveilles", et la tradition de la science alexandrine est ici surtout manifeste, les proprietes
optiques des miroirs plans et des miroirs concaves ayant donne lieu ä toutes sortes d'effets constates, que l'imagination populaire
a grossis et transformes jusqu'aux affirmations les plus etranges." Vgl. dazu seine lehrreiche Zusammenstellung von märchen-
haften Pharosbauten verschiedener sagenhafter Pharaonen (aus dem genannten Wunderbuch): auf der Spitze des Turmes ist ein
sieben Ellen großer Spiegel aus Chrysolith, weithin leuchtend; oder: die Kuppel darüber vergoldet, strahlt während der Nächte
weithin einen Lichtglanz aus, der mit dem Morgengrauen erlischt; oder: die Kuppel wechselt täglich die Farbe, im Spiegel kann man
alle Länder sehen mit ihren Bewohnern; der Spiegel des Pharos sei zylindrisch und von Glas gewesen, aus einer Mischung ver-
schiedener Dinge und auf einer grünen Marmorsäule, er habe die feindlichen Schiffe ans Ufer gezogen mit unsichtbarer Gewalt
und dort so lange festgehalten, bis sie Tribut gezahlt, usw____ Vgl. zu diesen Stellen auch die von Wüstenfeld (in „Orient und
Occident" I, 326) aus einem arabischen Manuskript zu Gotha übersetzten Stellen über König Saurid (p. 331), Kersun (334) und
Sä (335). (Gesteigert erscheinen die Künste des Brennspiegels dann bei Roger Bacon, der (Tractatus de speculis, opus III, cap. 23)
mit einem Dutzend solcher Spiegel die ganzen Sarazenen ohne Blutvergießen verjagen zu können vorgibt.)
Ebenso gehen nach Berthelot (p. 271 ff.) die tönenden, sich bewegenden Statuen auf die automatischen Künste der Antike
zurück, besonders auf die hydraulischen und hydropneumatischen Apparate Herons. Vgl. z. B. Herons Statue mit der tönenden
Posaune bei W. Schmidt (Heronis Opera I, 227), den singenden Mönch oder den Flötenbläser des „Archimedes" und des Apollonius
von Perge in dem arabischen Traktat (Journ. Asiatique 1891, XVII, 305 ff.) und dazu meine Vermutung über die akustischen Künste
der Tritonen auf der ersten Pharosplattform (oben S. 55).
Der Nachweis dieser Zusammenhänge fügt sich als ein neues Glied in die Kette, welche unsern mittelalterlichen Okzident mit
dem von dem antiken Alexandria zehrenden Orient verbindet. Vgl. was Burdach (zitiert bei Strzygowski, Mschatta S. 373) von andrer
Seite her für die Tatsache dieser vergessenen alexandrinischen Erbschaft in unserer abendländischen Kultur beibringt.
1) Maassmann a. a. 0. 424ff. hatte sich als Entstehung der Sage der Salvatio Romae eine deutsche figurenreiche Spieluhr (wie in
Straßburg, Nürnberg, Augsburg usw.) gedacht. Mit Recht hat dies schon Comparetti-Dütschke, S. 253 zurückgewiesen. Aber die dafür vor-
geschlagene Vermutung vom byzantinischen Ursprung hält auch nicht Stand. Diese kunstvollen Uhrwerke gehen vielmehr wieder über arabi-
sche Vermittlung - vgl. das Geschenk Harun er-Raschids an Karl d. Gr., oben S. 94 - auf die alexandrinische Antike zurück. 2) Bei
Arturo Graf I, 208, nota 48.