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Thilly, Frank
Leibnizens Streit gegen Locke in Ansehung der angeborenen Ideen — Heidelberg, 1891

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Einleitung.

Die neuere Philosophie theilt sich in zwei grosse Richtungen,
welche einander grundsätzlich entgegengesetzt sind, in Empiris-
mus und Rationalismus. Nach dem Grundsätze des ersteren ist
wahre Erkenntniss nur durch Erfahrung möglich, also nur das
erkennbar, was in den Bereich der Sinne fällt, während der
Rationalismus sich auf das klare und deutliche Denken stützt.
Bacon begründet die Erfahrungsphilosophie, welche von Locke
weiter ausgebildet wird und in Hume ihren Abschluss findet.
Die rationalistische Richtung hat in Descartes, Spinoza, Leibniz
und Wolf ihre Hauptvertreter. Q
Erhebt man die Erfahrung zum Prinzip, so versteht sich
die Verneinung angeborener Ideen von selbst. „Nihil est in
intellectu quod non fuerit in sensu." Bildet die Erfahrung die
Quelle unseres Wissens, so ist die Annahme einer ursprüng-
lichen Erkenntniss vollständig verfehlt. Erkennen wir jedoch
nur durch das reine Denken, so müssen dem Geiste Ideen an-
geboren sein. Wäre er von Hans aus leer, so wäre nicht zu
begreifen, wie man durch das Vermögen des Verstandes allein
zu irgend welcher Erkenntniss gelangen könnte. Wir stehen
daher vor einer Alternative: Entweder, es giebt angeborene
Begriffe oder, die Erkenntniss stammt aus der Sinneswahr-
nehmung.
Wir werden im Laufe dieser Untersuchung ersehen, welch'
eine scharfe Trennung diese Frage in der neuern Philosophie
verursacht. Bacon verwirft die Existenz angeborener Ideen,
Descartes behauptet: Ohne dieselben könne überhaupt nichts
gewusst werden: sie bilden den Ausgangspunkt des Wissens.
Locke beginnt sein Werk mit einer Kritik der Lehre Descartes'
1) Siehe Kuno Fischer, Geschichte der neuern Philosophie, Band I, 1,
Seite 142—144; Band III, Seite 14. Ueberweg, Grundriss der Geschichte der
Philosophie, Band III, S. 48. Kuno Fischer, Logik und Metaphysik, S. 104ff
 
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