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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Contr.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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Die Komposition und ihre Quellen

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Michelangelo (Faro di Messina II, 368—373) die Inspiration des
Meisters durch die Divina Commedia hervorgehoben worden war,
durch Wolfgang Kallab (in den „Beiträgen zur Kunstgeschichte,
Franz Wickhoff gewidmet", Wien 1903) und Ernst Steinmann in
seinem Werke über die Sixtinische Kapelle die Bedeutung des Ein-
flusses, welchen Dantes Dichtung auf das Jüngste Gericht gehabt habe,
näher erörtert worden. Es gilt zu untersuchen, in wie weit diese
Behauptung begründet ist, und zu diesem Behufe heisst es, erstens
zunächst scharf hervorzuheben, welche Elemente in Michelangelos
Werk schon der vorhergehenden Kunst zu eigen waren und daher
unmittelbar aus dieser zu erklären sind, und zweitens, welche Vor-
stellungen er dem Studium der Bibel, deren eifriger Leser er ge-
wesen ist, verdanken konnte. Erst Das, was nicht auf diese beiden
Quellen zurückzuführen ist, kann als ein der Anregung durch Dante
Verdanktes in Frage kommen. Es will mich bedünken, als habe
man die Hauptquelle der Inspiration, die Bibel, bisher zu wenig be-
rücksichtigt.
I. Die Verwerthung älterer künstlerischer Motive.
Aus dem Zusammenhang der Erscheinungen ergiebt sich, dass
unter den früheren Darstellungen des Gerichtes diejenigen von
Giotto, im Camposanto zu Pisa, von Signorelli und auf dem Revers
der Medaille Filippos Strozzis von Bertoldo es waren, die auf Michel-
angelo den stärksten Eindruck hervorgebracht, in geringerem Grade
die Skulpturen Niccolö und Giovanni Pisanos, die Bilder Fra Gio-
vannis und das Fresko Fra Bartolommeos. Die Beziehungen zeigen
sich in Folgendem:
I. Das Gesamtschema seinen Grundzügen nach: Christus in
Mandorla in der Höhe, umgeben von Heiligen, links unten
die Seligen, rechts die Verdammten ist das Traditionelle. Die
Anordnung der Posaunen blasenden Engel in der Mitte unter
Christus und des Engels, welche die Marterwerkzeuge tragen,
in der Höhe über ihm links und rechts geht auf das Fresko
in Pisa als Vorbild zurück.
2. Die Auffassung Christi als des im Zorn mit erhobener Hand
die Verdammten in den Abgrund Schmetternden ist die gleiche,
wie auf dem Pisaner Gemälde.
3. Die Leidenswerkzeuge: Säule, Kreuz, Stab mit Ysopschwamm,
Dornenkrone hatte Michelangelo in Signorellis Deckenbild in
Orvieto, welches die Engelgruppe zeigt (signa judicium in-
dicantia), gesehen. Auch auf der Medicimedaille, auf welcher
ein Engel mit dem Kreuz, ein anderer mit der Säule erscheint,
also eine ähnliche Gegenüberstellung gebracht ist.
 
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