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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Mitarb.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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Das Gebet in Gethsemane

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mich der doch offenbar auf ein bestimmtes Ziel gerichtete
Blick und die Technik, die mir auf eine spätere Zeit zu deuten
scheint. Die Annahme, es sei die Maria einer Verkündigung,
dünkt mich höchst wahrscheinlich. Dann hätten wir hier den
Entwurf zu einer sehr ruhig gehaltenen Darstellung der Szene,
der Michelangelo schon in einer früheren Periode seines Lebens
(etwa in den dreissiger Jahren?) mit dem Vorwurfe be-
schäftigt zeigt.
VI. Oxford, Univ. Gall. 74. Thode 448. Br. 1575. Kreide. Die
schöne, reich behandelte Zeichnung zeigt insoferne gleichsam
eine Verbindung der Motive in den von Venusti gemalten
Kompositionen, als Maria links sitzend, der Engel rechts
schreitend dargestellt sind. Maria erhebt die Rechte und
streckt die Linke aus; der Engel bewegt die Rechte zu ihr
hin und hält die Linke vor der Brust. Sein linkes Spielbein
ist in zwei verschiedenen Stellungen skizzirt. Verglichen mit
jenen anderen Entwürfen erscheint die Handlung hier ohne
Erregung, feierlich gehalten. Von einer Notiz, die auf dem
Blatte befindlich, lese ich ... vei ... al pictore p. dio dio a
pasquino per (mandare?) a chastel durante... legnio. Berenson
schliesst mit Recht aus dem Worte Casteldurante, dass die
Zeichnung nach Urbinos Tod (3. Dez. 1555), also frühestens
1556, als Cornelia, Urbinos Gattin, nach Casteldurante ge-
zogen war, entstanden sein muss. Auch der Stil weist auf
die späte Zeit. So wird es wahrscheinlich, dass sie eine
letzte Beschäftigung des Meisters mit dem Sujet der Ver-
kündigung verräth.
XV
Das Gebet in Gethsemane
Es wurde bereits erwähnt, dass Lionardo Buonarroti eine
Zeichnung dieses Inhaltes nach dem Tode Michelangelos von Jacopo
del Duca und Michele Alberti, denen sie der Meister gegeben,
erwarb und dem Herzog Cosimo schenkte, wovon auch Vasari
weiss (s. oben II, S. 456). Zahlreiche Gemäldekopien sind erhalten,
in denen die Landschaft, zumeist übereinstimmend, vermuthlich von
Venusti geschaffen, auf hügeligem Terrain Jerusalem mit dem Rund-
bau des Tempels und Ruinen zeigt. Nur das Figürliche giebt den
Entwurf des Meisters wieder.
Christus ist zweimal dargestellt. Einmal sehen wir ihn, ganz
en face, auf einer kleinen Bodenerhöhung knieen, die beiden Hände
vor der Brust erhoben und bewegt, die rechte wie mit einer Gebärde
 
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