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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Mitarb.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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488 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes

die Idee seines Engels mit der Dornenkrone und den Nägeln ent-
lehnt haben. Michelangelo seinerseits aber erinnerte sich desselben,
als er die Albertinazeichnung entwarf, und benutzte für diese den
älteren Entwurf zu der Londoner Grablegung.
XXI
Die Pieta, die Beweinung und die Grablegung
Die Entwürfe zu Darstellungen dieser drei Vorgänge zusammen-
fassend zu betrachten, scheint geboten, da, wie wir sehen werden,
nahe Beziehungen und Übergänge zwischen ihnen zu gewahren sind.
Bezüglich der Zeit ihrer Entstehung gilt das Gleiche, wie von den
Entwürfen für den Gekreuzigten. Sie sind, von einigen Vorläufern
abgesehen, kennzeichnend für die im Verkehr mit Vittoria Colonna
sich steigernde und weiterhin immer mehr der Phantasie sich be-
mächtigende religiöse Erregung des alternden Künstlers, dem nur
noch die Versenkung in das Erlösungsmysterium der Passion Christi
Beschwichtigung seines tiefen Sehnens zu gewähren vermochte. Die
meisten der zu erwähnenden Zeichnungen sind in den vierziger und
fünfziger Jahren entstanden.
Wie sehr neuere Forscher den gewaltigen, mit hoher Originalität
und Leidenschaftlichkeit sich in ihnen äussernden Geist verkannten,
wenn sie diese ergreifendsten Zeugnisse übermächtiger innerer Er-
lebnisse eines grössten Genius dem Sebastiano del Piombo zu-
schrieben, habe ich bereits früher dargelegt. Im Folgenden wird
auch die nachzuweisende innige Beziehung, in welche die Motive
der einzelnen Entwürfe zu einander und zu den Pietägruppen des
Florentiner Domes und des Palazzo Rondanini stehen, die Unhalt-
barkeit jener Hypothese erkennen lassen.
Der Übersichtlichkeit halber unterscheide ich, wie bei dem
Crucifixus, Haupttypen. Deren Anordnung dürfte, wenn auch nicht
im Einzelnen, so doch im Allgemeinen, der zeitlichen Aufeinander-
folge entsprechen.
A. Christus vor der sitzenden Maria am Boden
liegend.
Der nicht erhaltene Entwurf (I) für Sebastianos del Piombo
Gemälde in Viterbo (s. oben II, S. 401). Der Leichnam liegt flach
ausgestreckt, nur den Kopf an eine Erhöhung gelehnt, auf dem
Leichentuch am Boden. Maria, die gefalteten Hände seitwärts vor
der Brust erhebend, den Mantel auf den Knieen, ein Tuch über
dem Kopfe, blickt gen Himmel. Auch hier, wie bei der Madonna
del Velo, scheint eine Komposition Raphaels, die uns in dem be-
 
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